Es scheint in diesen Tagen en vogue zu sein, gegen Thomas Gottschalk und seine Vorabend-Show im Ersten zu wettern. Seit dem kürzlich markierten Tiefpunkt bei gerade mal noch 930.000 Zuschauern, mit denen "Gottschalk Live" sogar deutlich hinter der preiswert produzierten RTL II-Soap "Berlin - Tag & Nacht" landete, gestaltet sich das natürlich erst recht besonders einfach. Was warf man Gottschalk bislang nicht alles vor? Dass er Namen verwechselt, Informationen vertauscht oder seine Karteikarten nicht findet - und dass Nachlässigkeiten dieser Art seinen guten Ruf als Entertainer blitzschnell vermiesen werden.

Neu ist diese Kritik jedenfalls nicht, schließlich musste sich Gottschalk all das bereits seit Jahren bei "Wetten, dass..?" anhören. Das Problem von "Gottschalk Live" ist nicht etwa, dass er Anke Engelke Annette nennt oder Nina Hagen zur Adeligen befördert. Nein, nach vier absolvierten Wochen, in denen Gottschalk mehr Sendungen präsentierte als im kompletten Jahr zuvor, drängt sich insbesondere eine Frage auf: Warum nur fällt seiner Redaktion so wenig ein? Besonders deutlich wurde die Problematik etwa in jener Sendung, in der Eva Padberg zu Gast war, um ihr bislang wenig gefragtes Model-Casting bei Vox zu bewerben.

Viel, so schien es, hatte man für Padbergs Auftritt nicht vorbereitet. Gottschalk gingen schneller die Fragen aus als ihm lieb sein konnte - und das einzige, das die Redaktion beisteuerte, war eine vorhersehbare Facebook-Umfrage, ob Castingshows reine Unterhaltung seien oder doch Karrierechancen böten. Dazu ein ständiges Hin und Her im Studio zwischen Padberg und Oliver Kalkofe, der aus unerfindlichen Gründen kurzerhand zum Kino-Experten erklärt wurde und nun zur Überraschung aller eine wöchentliche Film-Kolumne bei "Gottschalk Live" sein Eigen nennen kann. Das ist insofern kurios, weil Gottschalk zu seiner Tele 5-Zeit selbst eine eigene Film-Kolumne hatte.

Und überhaupt: Die Gäste! Tut es wirklich Not, jeden Promi nur deshalb einzuladen, weil er sich gerade um die Ecke aufhält, um einen Film zu bewerben? Gäste sind gut, aber sie müssen etwas zu den Ereignissen des Tages erzählen können - so wie es Anke Engelke oder auch Atze Schröder taten. Ein seit 60 Jahren verheiratetes Ehepaar am Valentinstag einzuladen, ist zwar nett, mehr aber gewiss nicht. Auch mit den offenkundig vorgefertigten Witzen tut die Redaktion Gottschalk kein Gefallen. Um es nochmal festzuhalten: "Gottschalk Live" ist keine Comedyshow.

Viel mehr sollte das Format vom sponanten Witz seines Gastgebers leben. Ohnehin: Die Sendung benötigt noch viel mehr Gottschalk! Dabei könnte es doch so einfach sein: Schickt Gottschalk tagsüber mit einem Kameramann auf die Straße und lasst ihn machen, was er möchte. Das ist allemal unterhaltsamer als das Vorlesen vermeintlich spaßiger Bildergeschichten über Guttenberg oder lächerlicher SMS-Scherze über Franz Müntefering und dessen jüngere Ehefrau - fast schon schade, dass zu Beginn der Woche Oliver Pocher für den Job als Straßenreporter engagiert werden musste.

Auch der Einsatz von Social Media muss besser werden: In der Sendung gibt es zwar immer wieder Hinweise auf Facebook und Twitter, doch noch scheint die Redaktion kein Rezept gefunden zu haben, um all das sinnvoll in das im Übrigen viel zu kurze Format zwischen Talk, Werbung und Wetter zu integrieren.

Ist Thomas Gottschalk also überhaupt noch zu retten?

Bei aller Kritik: Schon in den ersten fünf Wochen mischten sich bei "Gottschalk Live" zwischen schale Witze und falsche Gäste durchaus gute Sendungen - die Schalte zu Korrespondent Rainald Becker, der über den Bundespräsidenten-Kandidaten Joachim Gauck sprach, war ebenso gelungen wie das Interview mit dem Taxifahrer, der Gauck am Sonntag zum Kanzleramt chauffierte. All das sind gute Ansätze, die es nun auszubauen gilt. Helfen soll dabei ab März Markus Peichl, der das Format "langfristig konzeptionell näher an den Zuschauer binden" soll.

Dass es möglich ist, nach einem verkorksten Start noch in die Spur zu finden, zeigt der Blick zu einem Kollegen, der es derzeit ebenfalls alles andere als leicht hat: Harald Schmidt. Nach seiner Rückkehr zu Sat.1 lieferte er reihenweise schwache Sendungen ab, spulte sein Stand-Up gelangweilt herunter und präsentierte uninsprierte Studio-Aktionen. Erst in den vergangenen Wochen fand Schmidt zunehmend seine Form. Warum sollte "Gottschalk Live" das nicht auch gelingen?

Ob das von den Zuschauern noch goutiert wird, steht dagegen selbstverständlich auf einem anderen Blatt. Genau das könnte sich als ernstes Problem erweisen. Denn: Bleiben die Zuschauer weiter fern, dürfte Thomas Gottschalk die Lust auf sein riskantes Vorabend-Experiment verlieren. Aller Kampfansagen zum Trotz könnte das womöglich schneller passieren als angenommen. Immerhin: Inzwischen ist es gelungen, den bitteren Abwärtstrend bei den Einschaltquoten zu stoppen. Ohne langen Atem wird der Kampf aber wohl nur schwer zu gewinnen sein.