Natürlich Schnee. Im Juni. Fein ausgedacht. Die von der Sonne erhitzten Gemüter mal wieder ein bisschen runter kühlen mit weißer Wucht. Überall Schnee also. Dazu eine Mutter, die an einem verschneiten See nach ihrer Tochter sucht, die immer wieder deren Namen schreit. Die Schreie verhallen, und unten drunter liegt Musik, die sehr offensichtlich geheimnisvoll, ja beinahe verwunschen klingen soll. Das hat ein bisschen was David-Lynch-haftes, aber leider ist die Musik nicht von Angelo Badalamenti, sondern irgendein Tango-Schmus. Er dröhnt aus dem Autoradio eines Mannes, der sich gerade die Pulsadern aufschneidet. Eine blutige Rasierklinge im Bild. Dazu schreit die verzweifelte Mutter weiter, und der Tango schmust. Natürlich ist das Kind tot.

Natürlich haben auch die Leipziger Kommissare Eva Saalfeld (Simone Thomalla) und Andreas Keppler (Martin Wuttke) mit diesem See zu tun. Es geht im „Tatort“ nun mal nicht ohne diesen Flash ins Persönliche. Man weiß ja, dass sie einst ein Paar waren. In grauer Vorzeit, als Keppler, also Wuttke, noch trank und etwas mit Katja Riemann hatte. Also nicht mit Katja Riemann direkt, sondern mit der Figur, die Katja Riemann spielt, die sich nun wieder in sein Leben drängt. Erst auf seinem Handy, dann direkt. Die Botschaft ist deutlich. Die Vergangenheit holt dich immer ein. Egal, wohin du dich wendest, egal, was du machst. Irgendwann stehen die Kommissare am Ufer des Sees, wo sie einst ein bisschen glücklicher waren, wo nun die Kinderleiche zu begutachten ist. „Irgendwann tötet dieser Beruf noch unsere letzten schönen Erinnerungen“, sagt sie, und es klingt genau so pathetisch wie es sich liest.

Das hat etwas sehr Gewolltes. Hier darf nichts so sein wie es scheint. Es muss immer eine Ebene darüber oder darunter eingezogen werden. Fahrstuhl-Fernsehen. Erster Stock, Metaebene, bitte alles aussteigen.

Wer sagt den „Tatort“-Autoren eigentlich, dass nichts mehr direkt sein darf, dass man Charaktere nicht zeichnen kann, wenn man sie nicht mindestens durch zig Wendungen schickt, schüttelt und aufschlagen lässt auf dem knallharten Boden der Fernsehen gewordenen Realität. So als ob der Zuschauer an der ARD-Theke steht und eine Bestellung aufgibt. 90 Minuten Verworrenes, bitte.

Zwischendrin sehen Thomalla und Wuttke noch älter aus als sie ohnehin schon sind. Thomalla wirkt da mit ihrer dunklen Wallemähne ein bisschen wie ein in die Jahre gekommener Winnetou. Und Wuttke, der über weite Strecken eine Mütze mit „Polizei“-Schriftzug tragen muss, ist Old Shatterhand. Also very old Shatterhand.

Es stellt sich die Frage, warum das Leben so ungerecht sein muss. Joachim Król und Nina Kunzendorf hören auf beim „Tatort“, Thomalla und Wuttke machen immer weiter. Es ist sehr deutlich: Sie hören niemals auf. Sie werden immer da sein. Und es hat schon seinen Grund, warum sie sich immer mal wieder mit den von der Mentalität her ähnlich gestrickten Kölner Kommissaren paaren. Wuttke wird immer düster gucken und jeglichen Anflug von guter Laune an seinem mürrischen Äußeren abprallen lassen. Er wird immer Taxi fahren, weil das mit dem Führerschein nicht passt.

Auch Katja Riemann fährt viel Taxi in diesem Film. Sie fährt immer Taxi, wenn es für sie mal wieder brenzlig wird. Dann ruft ihr Assistent sie an, und sie macht etwas, das ihrem Ex nicht gefällt. Dann guckt der noch ein bisschen mürrischer in die Schneelandschaft.

Es ist viel Bemühen zu spüren, aber spannend mag es trotzdem zu keiner Sekunde werden. Vielmehr schleppt sich die Handlung zur Auflösung. Und erreicht sie irgendwann mit echter Mühe und viel Not. Plötzlich keimt die Erkenntnis, dass es eine sehr gute Einrichtung ist, dass so ein „Tatort“ nie länger als 90 Minuten dauert. Sonst würden Thomalla und Wuttke immer noch wegen der pittoresken Bilder am verschneiten See stehen und über all ihre Beziehungsnostalgie die schwer verkühlte Kinderleiche vergessen. Wenigstens hört der Tangoschmus irgendwann auf. Er versandte einfach so und trägt nichts zur Aufklärung bei. Wenigsten das ist ein bisschen mutig. Eine sehr deutliche gelegte Spur einfach so ins Leere laufen zu lassen. Aber das rettet diesen „Tatort“ dann auch nicht mehr. Der Rest ist Schnee. Schnee im Fernsehjuni. Wer koordiniert eigentlich die Themen im „Tatort“?