Wenn ich so Woche für Woche den „Tatort“ begutachte und oft schier verzweifeln möchte an der Wucht des Banalen, an der Masse des nicht Gelungenen, an den Verrenkungen von Dilettanten, dann hilft es, wenn ich mir hin und wieder die eigene Position bewusst mache. Ich bin kein normaler „Tatort“-Gucker. Für mich ist dieses in der Beliebtheit nur knapp hinter großen internationalen Fußballspielen rangierende Fernsehprodukt keines, das mir mit großer Gleichförmigkeit das Wochenende verschließt, für mich ist das Arbeit. Eine schöne Arbeit, die wie eigentlich alle Tätigkeiten, von gelegentlichem Unwohlsein begleitet wird, denn ich bin ein Genau-Gucker.
Ich sehe Dinge, die all jene nicht sehen, denen der „Tatort“ allein der Entspannung dient, die in ihm die Chance sehen, sich an einem der letzten Lagerfeuer der deutschen Fernsehnation zu wärmen. Solche Menschen reden mit ihrem Partner, während die Kommissare schuften, sie machen sich vielleicht einen Spaß daraus, die anstehenden Dialoge zu prognostizieren und tippen, wie viele Sekunden es braucht, bis für all die Deppen vor den Bildschirmen mal wieder die Handlung zusammengefasst wird. So etwas kann viel Spaß machen und veredelt auch übelste Filme zu einer launigen Angelegenheit. Der Spaß wird umso größer, je mehr Menschen an solcher Aktion beteiligt sind. Das erklärt möglicherweise auch den Erfolg von „Tatort“-Kneipen. Je mehr Menschen drum herum, desto schöner das Erlebnis.
Um es mal für den neuen Bodensee-„Tatort“ sehr vorsichtig zu formulieren. Es bräuchte möglicherweise eine größere Halle voll mit Menschen, um diesen Film in die Ertragbarkeit zu transferieren. Man könnte dann vielleicht mittendrin Würstchen holen gehen oder einen Toilettengang so weit ausdehnen, dass das Schlimmste auf dem Bildschirm vorüber ist, wenn man wieder seinen Platz erreicht.
Es ist vor allem die Bräsigkeit der Klara Blum, die nervt. Ich dachte, ich hätte mich daran gewöhnt, und die Art von Eva Mattes, ihre Klara durch den Fall stapfen zu lassen, sei Intention. Nach diesem Fall bin ich anderer Meinung. Es ist keine Intention, es ist ein Unfall, ein 90 Minuten dauernder Unfall.
Auf einer Bodenseefähre, die zwischen der Schweiz und Deutschland verkehrt, wird kurz vor dem Anlegen die Leiche eines Mannes entdeckt. Prompt geraten Klara Blum und ihr Schweizer Kollege Matteo Lüthi (Roland Koch – nein, nicht der) aneinander. Es geht um Zuständigkeiten, und so zoffen sich die beiden fröhlich, ketten sich mit Handschellen aneinander und zeigen aber schon sehr bald Sympathie füreinander.
Das Opfer war vor seinem plötzlichen Ableben sterbenskrank, was im „Tatort“ natürlich folgendermaßen erklärt wird. Klara Blum: „Was hatte er denn?“ Die Witwe: „Krebs, Blutkrebs.“ Matteo Lüthi: „Also Leukämie.“ Der „Tatort“ als flimmernder Wikipedia-Eintrag. Natürlich ist in all die Schweinerei ein Pharmakonzern verwickelt. Und eine Initiative, deren Leiter ein todkrankes Kind hat. Dazu blitzt etwas mit Geheimdienst auf, und die Rolle des Herrn Lüthi bleibt lange zweifelhaft.
Bei all dem Gewirr verwundert dann kaum, dass irgendwann in der Pharma-Firma auch große Sätze fallen. „Es geht auch um das Ansehen der Schweiz“, muss da jemand sagen, bevor es wieder einen Schwenk gibt auf Klara Blums Assistenten. Kai Perlmann (Sebastian Bezzel) muss sich natürlich in eine Todkranke verlieben. Natürlich unglücklich. Man kennt das, denn keine Beziehung im „Tatort“ darf das Ende der jeweiligen Folge überleben. Natürlich wird auch wieder Tango gespielt. Filmemacher mögen Tango. Wenn Tango erklingt, dann fallen Sätze wie „Mein Kopf ist ein leerer Turnsaal“ nicht mehr so sehr ins Gewicht. Und die Depression des Kai Perlmann, der seine Midlife-Krise schon mal vorab durchlebt und lange über die ihm irgendwann zustehende Rente sinniert, erst gar nicht.
Ich revidiere meine Meinung. Eine große Halle voller Menschen, wäre nicht genug, um diesen „Tatort“ erträglich zu machen. Es müsste schon ein Fußballstadion sein. Ein sehr großes.
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