Sommerpause. Die Frischware ruht bis Mitte August noch in den Kühlhäusern der Anstalten. Was jetzt serviert wird, ist Aufgekochtes, Abgehangenes aus der Produktion der letzten Jahre. Man macht das so im Fernsehen dieser Tage. Ressourcen schonen heißt die Devise. Guckt eh keiner hin im Sommer. Alle sind draußen, grillen, chillen und lassen den Programmdirektor bei sommerlichen Temperaturen einen guten Mann sein. Alle? Das darf nicht sein. Ich wünsche mir für dieses Wochenende explizit sauschlechtes Wetter. Es soll regnen, ein bisschen stürmen, meinetwegen auch hageln. Hauptsache, die Menschen treiben sich nicht draußen rum, sondern hocken pünktlich um 20.15 Uhr vor den Fernsehapparaturen. Damit diese „Tatort“-Wiederholung aus der Frankfurter Produktion mit einer möglichst hohen Quote belohnt wird. Sie lief 2012 schon einmal, aber man kann nicht oft genug sehen, wie Nina Kunzendorf und Joachim Krol gemeinsam mit Autor Lars Kraume und Regisseur Stefan Kornatz die Grenzen des Genres ausloten und eines der besten Stücke des Fernsehjahres liefern. Wenn nicht gar das beste.



Seit ich an diesem Platz den „Tatort“ vorab besprechen darf, sind mir nur halbgare Möchtegern-Produktionen untergekommen, viel Dilettantismus, jede Menge Unvermögen und eine Lieblosigkeit, die ihresgleichen sucht. Ich war schon kurz davor, in eine Kritikerdepression zu verfallen, beim örtlichen Therapeuten  vorstellig zu werden und um die Verabreichung stimmungsaufhellender Substanzen zu bitten. Aber dann flatterte auf DVD dieser Film herein, den ich vor über einem Jahr schon einmal gesehen habe, allerdings als stinknormaler „Tatort“-Kunde, der am Sonntagsausklang mit der Gattin nach einem gemeinsamen Wochenschluss sucht. Schon damals im April fand ich „Es ist böse“ ziemlich gut, vergaß das aber schnell wieder. Als ich den Film nun mit Kritikeraugen einer erneuten Sichtung unterzog, kam ich aus dem Staunen gar nicht mehr heraus.

Was da alles stimmt, wenn sich Kunzendorf und Król als Conny Mey und Frank Steier auf die Suche nach einem Prostituiertenmörder machen, der sich erst in Frischhaltefolie einwickelt und seine Opfer dann mit dem Messer aufs Allerübelste malträtiert. Übertöten nennen das die Kommissare, und es klingt keine Sekunde wie die übliche Fachhuberei von profilneurotischen Drehbuchautoren, die bei der Recherche in der Polizeiarbeit etwas Dolles herausgefunden haben und das nun in die Welt verstreuen müssen. Nein, hier geht es um die Geschichte, um die Frage, wer dieser Psychopath ist, der da mordet. Früh ist der Zuschauer bei den Taten zugegen, aber er sieht den Irren nicht wirklich. Nur verschwommen taucht er auf, nie ist sein Gesicht zu sehen. Das lässt die Chance, mitzuraten und genauso in die Irre zu laufen wie die Kommissare, die irgendwann an einem Endpunkt ankommen, als Conny Mey die Faxen dicke hat und den Job hinschmeißt. Man ist bei ihr in diesem Moment. Zu gewaltig die Kluft zwischen brutal überwältigendem Erlebnis und bürokratischer Kälte.

Es ist aber nicht nur die Geschichte, die in diesem Film stimmt, es ist beispielsweise die von Stefan Will und Marco Dreckkötter gesetzte Musik, die ganz und gar außergewöhnlich Stimmungen ausmalt oder Kontrapunkte setzt. Das ist nicht die übliche, lieblos über eine Story ausgekippte Klangsoße, da hat sich jemand sehr genau überlegt, was wohl naheliegend wäre und dann etwas ganz anderes genommen. Dazu kommt eine Kameraarbeit, die in ihrer Diffusität gelegentlich schwer zu ertragen ist, die aber genau das vermittelt, was dieser „Tatort“ zeigt: die Endlichkeit des Bemühens, die Grenzen des Erkennens, die Unmöglichkeit, einer wie auch immer gearteten Wahrheit gerecht werden zu können.

Und dann sind da noch, Tusch, Fanfare, Jubelchöre, Nina Kunzendorf und Joachim Król. Es ist natürlich ein bisschen gemein von den „Tatort“-Planern diesen „Tatort“ just zu einem Zeitpunkt zu wiederholen, da die beiden beschlossen haben, der Reihe den Rücken zu kehren. So wird noch deutlicher, dass sie die besten waren, dass ihre Klasse eben keine ist, die der „Tatort“ auf Dauer verträgt. Sie sind einfach zu echt, da haben es überkandidelte Figuren wie die aus Münster oder Saarbrücken deutlich leichter. Kunzendorf und Król sind in jeder Phase dieses Films so echt, dass sie nie Kunzendorf und Król sind, sondern immer Conny Mey und Frank Steier. Sie sind mit jedem gehetzten Blick, mit der in ihre Mienen geschriebenen Ratlosigkeit, mit all ihrer Einsamkeit Verlorene auf der Suche nach der Wahrheit.

Wie dieses exzellente Stück bei der jüngsten Grimme-Preis-Verleihung durch den Rost fallen konnte, ist mir schleierhaft. Da aber auch ich beim ersten Schauen nicht die ganze Größe erfasst habe, kann ich mir vorstellen, wie es auch den Gremiengremlins in Marl durchgeflutscht ist. Man sieht manches eben erst in der Wiederholung.

Ein großer Dank der ARD für dieses großartige Stück deutschen Fernsehens. Es wird nur einen sauer machen: Meinen Therapeuten, der seine Stimmungsaufheller nun jemand anderem verschreiben muss. Ätsch.