Als Piers Morgan, Star-Moderator von "Good Morning Britain", kürzlich in die Schlagzeilen geriet, weil er sich in seiner Sendung abfällig über Herzogin Meghan äußerte, dürfte sich so mancher Zuschauer hiesiger Frühformate darüber gewundert haben, wie hitzig es im britischen Fernsehen schon kurz nach dem Aufstehen zugeht. Derart krawallig kommen die deutschen TV-Pendants am Morgen nicht daher, insbesondere was das Privatfernsehen angeht. Im Gegenteil: Bei RTL begrüßt Urgestein Wolfram Kons das Publikum gerne ohne Sakko, dafür entspannt mit Kaffeetasse in der Hand, und im "Sat.1-Frühstücksfernsehen" konnte man Moderatorin Alina Merkau kürzlich dabei zusehen, wie sie sich erst ihren Ohrring ansteckte und danach in aller Ruhe die Haare gemacht bekam.

Es geht also bisweilen gelassen zu morgens um halb 6 in Deutschland. Aber zumindest Sat.1 trifft mit seinem Konzept, möglichst locker und fast schon kumpelig in den Tag zu starten, einen Nerv. Für das "Frühstücksfernsehen" ist 2021 bis dato ein Rekordjahr. Nach einem durchschnittlichen Januar-Monatsmarktanteil in Höhe von 17,4 Prozent bei den 14- bis 49-Jährigen steigerte sich die aus Berlin kommende Sendung im Februar auf 18,1 Prozent und somit den besten Monatswert seit vielen Jahren. Die Live-Sendung profitiert dabei auch vom Corona-Lockdown, wie Chefredakteur Jürgen Meschede im Gespräch mit DWDL.de verrät: "Im Lockdown schauen uns die Zuschauer schon länger, aber dennoch nicht grenzenlos. Wer aber zuhause arbeitet, der hat morgens mehr Zeit – und das wirkt sich auf die Nutzung aus, weil die Fahrt zur Arbeit wegfällt."

Das Informationsbedürfnis sei, speziell in den frühen Stunden, stärker. "Bis halb neun Uhr morgens, also im direkten Duell mit "Guten Morgen Deutschland", kommen wir mitunter auf einen Durchschnitt von 22 Prozent in der Zielgruppe. Dafür tun wir uns traditionell in der Neun-Uhr-Stunde schwerer, auch weil 'Frühstücksfernsehen' in Deutschland traditionell gegen neun Uhr endet", erklärt Meschede. Die unter dem Label 'hautnah' laufende Stunde nach Neun unterscheidet sich daher seit Jahren auch inhaltlich von den vorherigen Stunden. Weniger Info, mehr Unterhaltung und viel Service ist das Credo am frühen Vormittag. "Damit fahren wir recht gut", erzählt Meschede.

Martin Gradl © Super RTL Martin Gradl
Anders die Lage bei RTL. Da läuft es schon zu früher Stunde schlecht. "Für uns ist das eine ungewohnte Situation", sagt Martin Gradl. "Normalerweise sind wir vorne, aber hier befinden wir uns in der Verfolgerposition." Gradl kennt die Kölner Mediengruppe und ihre aktuellen Sendungen bestens, war in der Vergangenheit unter anderem Redaktionsleiter von "Punkt 6" und Nachrichtenchef von RTL. Nach einer Zwischenstation beim Kindersender Super RTL kehrte er vor wenigen Monaten als Magazin-Chefredakteur zurück und zeichnet nun auch dafür verantwortlich, welche Richtung "Guten Morgen Deutschland" einschlagen wird. Ein neues Studio-Design macht seit Kurzem erste Veränderungen nach außen sichtbar.

"Unsere Konkurrenten machen einen guten Job und sind stark in ihrer Marke positioniert", sagt Gradl voller Respekt und kommt dann wieder schnell auf die eigene Sendung zu sprechen, die sich mit vereinzelt nicht mal sechs Prozent Marktanteil zu einem der größten Sorgenkinder des Senders entwickelte. "Das Problem ist, dass wir das Gefühl für das, was wir sind, mit den Jahren verloren haben und irgendwann begannen, uns an den anderen zu orientieren. Am Ende hing bei uns eine Kuckucksuhr an der Wand und wir hatten dreifarbige Tapeten. Aber das ist es ja nicht: Das Studio ist ein Puzzleteil, aber nicht der Grund, ob jemand einschaltet oder nicht. Es sind um unsere Inhalte."

Guten Morgen Deutschland © Screnshot RTL Angela Finger-Erben und Wolfram Kons im neuen Studio von "Guten Morgen Deutschland"

Und eben jene Inhalte sind in der Vergangenheit zunehmend auf der Strecke geblieben. "Ohne Not haben wir zu viele Dinge umgestellt, ohne dass die Zuschauer es von uns erwartet hätten", räumt Gradl ein. "Der Bruch ist ja nicht einfach so gekommen, sondern wir können ihn dokumentieren anhand der Veränderungen, die wir selbst vorgenommen haben." Noch vor wenigen Wochen sorgte eine Mischung aus realem und virtuellem Studio für Fragezeichen. "Wenn ich mir schon nicht erklären kann, wieso das so ist, dann kann es auch kein Zuschauer", sagt der Magazin-Chefredakteur, der nun vor der Herausforderung steht, "Guten Morgen Deutschland" zwischen öffentlich-rechtlichem "Morgenmagazin" und dem "Sat.1-Frühstücksfernsehen" zu positionieren. "Klar", räumt er ein, "auch früher waren wir nicht so lustig wie Sat.1 und nicht so seriös wie ARD und ZDF - aber wir hatten die meisten Zuschauer. Wir waren die fette Mitte, jetzt sind wir eine zu kleine Mitte geworden."

Womöglich hilft der Blick zurück. Noch vor einem Jahrzehnt verzeichnete das Vorgänger-Format "Punkt 6" durchschnittlich mehr als 20 Prozent Marktanteil. Was also ist seither passiert? "Wenn ich an die Zeiten zurückdenke, als wir glasklarer Marktführer waren, dann war das eine Zeit, in der wir ein klassisches RTL-Magazin gemacht haben. Sicher war da war auch mal eine Studioaktion dabei, aber der Kern waren gut gemachte Beiträge, die eine Relevanz für unsere Zuschauer haben", erinnert sich Martin Gradl im Gespräch mit DWDL.de. "Zu dieser Stärke, die wir in uns tragen, wollen wir wieder zurückgehen. Wir sind uns aber bewusst, dass das kein Sprint ist, sondern eine Langstrecke."

"Man kann das 'Frühstücksfernsehen' nicht beliebig verlängern."
Jürgen Meschede

Zur Langstrecke gehört auch, dass RTL mittlerweile ebenso wie die Konkurrenz um 5:30 Uhr beginnt – und damit eine halbe Stunde früher als bisher. "Wir sehen, dass uns das in der Quote erst mal nicht hilft, aber wir wollen nicht schon zum Start eine halbe Stunde hinterher sein", sagt Gradl. "Es ist deshalb strategisch und taktisch wichtig, von Beginn an auf Augenhöhe zu sein." Bei Sat.1 hat man den Begriff der Langstrecke indes anders definiert. Im Herbst versuchte sich der Sender an einer Ausdehnung des "Frühstücksfernsehens" bis 12 Uhr, was auch durchaus gut funktioniert hat. Die "Vormittagsshow" verzeichnete mit durchschnittlich 9,2 Prozent Marktanteil in der klassischen Zielgruppe klar bessere Quoten als die derzeit dort wiederholten Scripted-Reality-Formate. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass die Wiederholungen deutlich preisgünstiger sind als ein mehrstündiges Live-Magazin. Ob es irgendwann weitergehen wird, ist deshalb aktuell noch nicht absehbar.

Jürgen Meschede © Maz&More Jürgen Meschede
Ohnehin will Jürgen Meschede das Vormittagsformat nicht als Verlängerung der Morgensendung verstanden wissen. "Man kann das 'Frühstücksfernsehen' nicht beliebig verlängern", sagt der langjährige Chef der Sendung, die von Maz&More in Berlin produziert wird. Für die Zeit nach zehn Uhr müsse man daher etwas Eigenständiges entwickeln, das sich vom "Frühstücksfernsehen" abhebe. Sein Blick geht auf die Insel. "'This Morning‘ ist in England seit Jahrzehnten nach der eigentlichen Breakfast-Show erfolgreich – und sendet mit anderen Moderatoren aus einem anderen Studio mit eigenem Konzept und eigener Formatierung", sagt Meschede. Dadurch hebe sich "This Morning" auch von "Good Morning Britain" ab. Auch in Sat.1 habe man bewiesen, dass die emotionale Erzählweise des "Frühstücksfernsehens", die Nähe der ModeratorInnen zum Zuschauer und das Storytelling ankomme.

Die genannten Aspekte sind Teile des Erfolgs. Ohnehin ist nicht nur an einem Punkt auszumachen, warum das sonst eher schwache Sat.1 gerade morgens immer wieder strahlende Quoten einfährt. "Die Moderatoren, die Redaktion, die Technik, die gesamte Crew vor und hinter der Kamera – vom Programmgeschäftsführer bis zu den PraktikantInnen, von der Kabelhilfe bis zur Regisseurinnen: Alle haben das 'Frühstücksfernsehen' inhaliert", berichtet Jürgen Meschede. Der Erfolg beruhe demnach auf der Summe des Ganzen.

"Weit entfernt von der Twitter-Wirklichkeit"

Neben den Moderatoren sei letztlich auch die Themengewichtung ein zentraler Punkt. "Was treibt die Zuschauer um? Wie viele und welche Infos wollen sie morgens haben? Was ist aus Zuschauersicht das Besondere an diesem Tag? Als Sendungsmacher dürfen wir nicht vom Lebensalltag als Redakteur in Berlin ausgehen, weil dieser sich doch ziemlich vom Leben unserer Zuschauerinnen und Zuschauer unterscheidet. Sich da hineinversetzen zu können, ist die tägliche Herausforderung", erzählt Meschede und gibt ein profanes Beispiel. "In Deutschland wird vermutlich so viel selbst gekocht wird wie nie zuvor. Das ist ein Thema, das wir aufgreifen müssen. So, wie den Fahrradtrend des vergangenen Sommers, so, wie alle direkten Auswirkungen der Pandemie auf unseren Alltag. Und dabei sind wir möglichst weit entfernt von der Twitter-Wirklichkeit. Wie schon seit über 30 Jahren ist entscheidend, einen Mix aus Info und Unterhaltung zu finden."

"Es gibt keine andere Sendung, die so sehr von dieser Atmosphäre des Gemeinsamen lebt wie dieser lange Riemen am Morgen."
Martin Gradl

Damals wie heute könnten TV-Morningshow-Macher dabei viel vom Radio lernen, wo es morgens ebenfalls darum geht, die Menschen zu unterhalten und zu informieren: Was ist passiert, während ich geschlafen habe? Freilich gehört dazu auch die Corona-Krise, über die nun schon seit über einem Jahr in jeder Ausgabe berichtet wird. "Wir wollen zwar von Panikberichterstattung absehen, müssen aber einfach konstatieren, dass es vielen unserer Zuschauer in diesen Zeiten schlicht nicht gut geht", sagt der Chefredakteur. "Es ist nicht angenehm, mit vier Kindern, also zu sechst, in einer Drei-Zimmer-Wohnung zu leben und nur sehr eingeschränkt raus zu können. Wir verstehen unsere Aufgabe in diesen schwierigen Zeiten darin, Halt, Orientierung oder auch einfach nur Zerstreuung zu bieten - einfach anders für die Menschen da sein."

Und nach der Pandemie? "In über 30 Jahren hat sich die Sendung wieder und wieder gewandelt. Superball, Morningstar, Horoskop - diese Zeiten sind lange vorbei", sagt Jürgen Meschde. Stattdessen: "Immer wieder neue Rubriken, neue Themenfarben, neue Gesichter." Zugleich spricht er von der Last des Marktführers und davon, dass es gerade jetzt gefährlich sei, satt zu sein und Dinge schleifen zu lassen. "Alles verändert sich permanent. Man muss zuhören." Dem Publikum ebenso wie der Redaktion und dem Obstverkäufer. Und man müsse bereit sein, sich auch immer wieder zu verändern. "Wir haben erlebt, wie der Online-Journalismus Vieles in nahezu allen Bereichen verändert hat. Gerade Promi-Berichterstattung ist inzwischen fast nur noch online – wir müssen nun also nicht mehr warten, dass 'Bunte' und 'Gala' am Donnerstag erscheinen", so Meschede.

Einen Blick wird man auch nach Köln werfen, wenngleich der Vorsprung auf "Guten Morgen Deutschland" so groß ist wie nie zuvor. Mit der RTL-Sendung will Martin Gradl wieder verstärkt auf das gehen, was er als Kernkompetenz erachtet, "zwar starke, aktuelle Nachrichten, die wir verständlich erzählen". Dabei sollen es weiterhin Doppelmoderationen richten. "Allerdings müssen wir wieder in konkrete Aufgabenverteilungen kommen, denn nicht jedes Gespräch ist wertvoller, wenn zwei Leute die Fragen stellen." Für die Zukunft verspricht Gradl einen langen Atem – wissend, dass die Veränderungen nicht mit einem einfachen Handgriff herbeizuführen sind. "Es gibt keine andere Sendung, die so sehr von dieser Atmosphäre des Gemeinsamen lebt wie dieser lange Riemen am Morgen", sagt er. "Wenn die Atmosphäre stimmt, dann überträgt sich das auch aufs Publikum."