Redaktion, Technik, Führungsetage - ein hoher Anteil schwuler und lesbischer Kolleginnen und Kollegen, gelebte Akzeptanz der Heteros und notfalls eben Political Correctness machen das Arbeiten hier weniger schwierig als vor der Kamera. Dort ist - in gewisser Art und Weise - eine Kameralinse mindestens so  angsteinflößend wie ein Fußballstadion: Weil die Kamera keine Reaktion gibt. Weil man kein direktes Feedback bekommt. Weil der eigenen Job, ob Moderation oder Schauspiel, davon abhängt, was andere Entscheidungsträger glauben, befürchten oder zu wissen denken über die Akzeptanz beim Publikum. Und das ist keine bloße Behauptung.



Das ist das Ergebnis vieler Gespräche mit schwulen und lesbischen Moderatorinnen und Moderatoren, Schauspielerinnen und Schauspielern, die ich in den vergangenen Jahren geführt habe. Immer mit meiner persönlichen Verwunderung darüber, warum ein prominentes Coming Out in Deutschland einen solchen Seltenheitswert hat und schwul-lesbische Jugendliche in Deutschland für mut-machende Reden, Kampagnen und - in gewisser Art auch Vorbilder - in die USA gucken müssen. Die Antworten waren vielfältig, weil sehr persönlich. Mal ist es immer noch der Klassiker: Die Familie weiß noch von gar nichts. Oder aber man sorgt sich um Ruf und Ruhe der Familie nach einem Coming Out, gerade wenn die Heimat eben draußen auf dem Land liegt und nicht in der aufgeschlossenen Großstadt.

Noch viel häufiger ist es aber ein anderer Grund: Die Sorge um den Arbeitsplatz und das im Jahr 2014 in der Medienbranche. Es geht um die Chancen auf den nächsten Moderations- oder Schauspieljobs. Wird man noch als heterosexueller Liebhaber besetzt? Wird die Mutter-Rolle noch geglaubt? Steckt man als Moderatorin oder Moderator dann nicht in einer Schublade und wird nicht mehr gecastet? Es mag Außenstehenden erscheinen als rede man hier über eine Fernsehbranche von vor 30 Jahren. Und doch beschäftigt genau das so manche Kollegin, so manchen Kollegen. Es hat mich selbst schockiert. Die meisten haben dabei weniger Sorge vor dem Publikum selbst als vor den Entscheidern in Produktionsfirmen und Sender, die selbst zu wissen glauben, was bzw. wen das Publikum sehen möchte.

Gerade bei den Öffentlich-Rechtlichen, immerhin mit Abstand die größten Auftraggeber für deutsche Fiktion, will zwar kein Künstler direkt unterstellen, dass ein Coming Out unmittelbare Folgen für künftige Besetzungen hat. Doch eine Ungewissheit bei oft seit vielen Jahren gleichen Entscheidungsträgern bleibt. Eine, die man lieber ausschließen will, weil bei Besetzungen ohnehin schon viel über Sympathien und Verbindungen laufe. Von dieser Willkür, ob nun gefühlt oder real, erzählte fast jeder. Und dann machen in Deutschland eben auch die wenigsten mit Schauspielerei ein Vermögen, so dass es bei der Angst um das nächste Engagement auch ganz konkret darum geht: Was bzw. wer zahlt mir meine nächste Miete?

Neben den persönlichen Sorgen um die Familie oder diesen beruflichen Bedenken gibt es dann noch einen dritten, häufiger gehörten Grund für das ausbleibende Coming Out: Es wurde einfach outgesourct. Die eigene Familie und Freunde wissen es längst und darüber hinaus - so heißt es oft - gehe das ja nun niemanden etwas an. In der Theorie ist das völlig richtig, in der Praxis jedoch bedeutet das: Eingeweihte Familie und Freunde kommen so in die missliche Lage, für jemanden entscheiden zu müssen, wem gegenüber sie nun ehrlich sein dürfen und können - und wem gegenüber nicht. Auch manchem Künstler-Management wird es irgendwann zu bunt, wenn der eigene Klient außerhalb des komfortablen Freundeskreises seit Jahren rumdruckst und man selbst Glaubwürdigkeit verliert, weil stets formelhaft geantwortet werden muss: „Das müssen Sie ihn bzw. sie schon selbst fragen.“

Egal wie bequem viele schwul-lesbische Film- und Fernsehschaffende sich in ihrem goldenen Käfig fühlen mögen - es ist ein goldener Käfig, wie es ein US-Schauspielkollege mal formulierte. Sie benötigen weiterhin kreative Formulierungen und besondere Vorsicht oder wie Ellen Page es in ihrer Rede am Freitag formulierte: Sogar Lügen durch Weglassen. So manches beruflich benötigte „private“ Interview in der Boulevardpresse hat eine gewisse Tragikomik, wenn von der großen Liebe stets auffallend ungelenk geschlechtsneutral gesprochen wird. Es braucht keinen Journalisten, der das behauptet. Es sind Stars wie Wentworth Miller („Prison Break“), die selbst kaum glauben können, wie lange sie den Spießrutenlauf mit der Öffentlichkeit mitgemacht haben.

Wie bitter ist es also um das deutsche Fernsehen bestellt, wenn kreative Künstler weiterhin das Gefühl haben müssen, besser auch dann eine Rolle zu spielen, wenn die Kamera schon aus ist. Das ist tragisch für sie, diese Branche und jene Jungen und Mädchen da draußen, die jedes prominente Coming Out ermutigen kann, so zu sein wie sie sich fühlen.