Sie ist die berühmte alte Tante unter den deutschen Fernsehnachrichten. Ein Begriff, der zuletzt eher despektierlich gemeint war, ist seit Samstagabend durchaus ein Kompliment: Die „Tagesschau“ präsentiert sich - stilvoll - erneuert. Sie will mit neuen technischen Möglichkeiten für die Zukunft gewappnet sein und vergisst dabei trotzdem nicht woher sie kommt und wofür sie steht. Das wird schon gleich zu Beginn deutlich: Optisch erscheint das im Opener kurz zu erblickende Studio-Set angenehm modern aber akustisch eröffnet eine Hommage an frühere, staatstragendere Tage, die neue „Tagesschau“.



Es ist eine ungewöhnliche, überraschende und vielleicht zunächst auch irritierende Musikwahl und doch untermauert die Sendung auch damit ihre Position als Fels in der deutschen Fernsehlandschaft, der seit mehr als 60 Jahren den Takt für das Fernsehprogramm aller Sender vorgibt. Jan Hofer präsentierte die Premierensendung am Samstagabend fehlerfrei. Erst beim Abspann - beim nervösen Griff zum Kugelschreiber - wurde deutlich, wie viel Anspannung auch bei so einem alten Hasen wie Hofer mit im Spiel ist. Doch er kann zufrieden sein - und das Team von ARD Aktuell auch.

Es hat natürlich einen gewissen Witz, wenn Hofer am Ende der Premierensendung auf die Website verweist, um mehr über die technischen Möglichkeiten des neuen Studios zu erfahren. Viel gesehen hat man davon nämlich in der „Tagesschau“ noch nicht, was aber weit weniger stört als das Gegenteil: Zu viel Spielereien. Und ohnehin sind es die "Tagesthemen", die das Studio umfangreicher ausnutzen wollen. Bei der "Tagesschau" hat ARD Aktuell die Fehler des ZDF vermieden und stellt neue Technik nicht in den Mittelpunkt. Die grüne Hölle lässt grüßen. Nein, neu wirkte bei der „Tagesschau“ am Samstagabend wirklich nicht viel. Neu ist einfach das falsche Wort. Es ist eher ein Wiedersehen und -hören.

Tagesschau© ARD Aktuell

Jan Hofer bei der Premiere der "Tagesschau" um 20 Uhr


Neben der Titelmelodie der überarbeiteten „Tagesschau“ erinnert auch die neue Grundoptik an vergangene Zeiten: Jan Hofer vor einer Grafik im Vollbild - in der unteren Hälfte mit einer leicht durchsichtigen Texttafel überlegt. Wesentlich schneller fällt so das jeweilige Thema ins Auge, was gerade auch für die mobile Nutzung der „Tagesschau“ auf kleinen Bildschirmen von Vorteil ist. Gleichzeitig greift man damit eine Optik auf, die an die „Tagesschau“ der späten 70er Jahre erinnert. Einzelne Grafik-Inserts sind nicht der besonderen Rede wert - lediglich ein permanent links unten eingeblendeter „Tagesschau“-Button ist noch gewöhnungsbedürftig.

Es ist am Ende ein interessanter Mix aus modernem Studio-Set, in dem die Themen des Tages beim Opener über die neue Videowand fliegen, und dieser hin und wieder zu spürenden Hommage an die Geschichte einer Nachrichten-Institution, die die neue „Tagesschau“ so gelungen macht. Sie bleibt zweifelsohne in ihrem altbekannten Duktus und wird damit weiterhin polarisieren. Es war jedoch schon im Vorfeld klar, dass sich daran ohnehin nichts ändern soll, doch seit Samstagabend sieht sie richtig gut aus und prägt vielleicht sogar einen neuen Stil: Retro-Moderne, die vertraute Sachlichkeit zeitgemäß verpackt.

Mehr zum Thema

Nach der alten Tante „Tagesschau“ durfte der alte Onkel am späten Abend dann die Möglichkeiten des neuen Studios samt Medienwand demonstrieren. Thomas Roth drehte und wendete sich in den „Tagesthemen“ mehrfach, wechselte immer wieder die Kamera und im Rahmen eines Spaziergangs entlang der projizierten Fassade des Berliner Schlosses auch mal die Position im Studio. Mit ihm sprang leider auch das eingeblendete „Tagesthemen“-Logo während der Sendung von rechts nach links und zurück nach rechts.

Wo die „Tagesschau“ nicht viel von der neuen Studio-Technik demonstrierte, da verloren sich die „Tagesthemen“ ein wenig im anderen Extrem - der gewollten  Demonstration des Möglichen. Dazu gehörte leider auch ein inhaltlich schwacher Beitrag zum Berliner Stadtschloss, der wohl allein zur Demonstration der großen Medienwand im Studio eingeplant wurde. Zusammen mit Jan Hofer und Katja Wunderlich lieferte Roth letztlich aber eine ordentliche Sendung ab, die nur noch einmal zwischen Möglichkeiten und Sinn des Neuen ein wenig justieren muss.

Tagesthemen© ARD Aktuell

Thomas Roth freut sich: ARD Aktuell bietet jetzt auch Betriebssport



Nicht mehr zu ändern und ähnlich theatralisch gediegen wie bei der „Tagesschau“: Die neue Titelmelodie der Sendung. Irritierender als die Musik ist die unglücklich kurze Kamerafahrt zu Beginn, die vom Gastgeber der „Tagesthemen“ einen zu langen, verstohlenen Blick auf seine Papiere abverlangt, um dann in der richtigen Sekunde scheinbar spontan den Kopf in Richtung Kamera zu heben. Damit tut man Roth keinen Gefallen. Zum Abschied sagte dieser noch an die Zuschauer gewandt: „Und eines nicht vergessen: Das neue ‚Tagesthemen’-Studio ist nicht unser neues Studio. Es ist ihr neues Studio.“

(Der Ursprungsartikel über die "Tagesschau" wurde nach den "Tagesthemen" am späten Samstagabend noch um drei Absätze dazu ergänzt)