Wenn es gilt, in der ganzen aufgewühlten Atmosphäre der vergangenen Nacht und des Vormittags einen Verlierer auszumachen, dann ist es mit Sicherheit Jauch. Ich wage die These, dass es Böhmermann letztlich gar nicht um Fake oder nicht ging. Ihm ging es um das Beiboot, das er unbemerkt wasserte. Es ist die saftige Bemerkung gegen den im selben Strom wie die „Bild“ dahingleitenden Volksmoderator, die man nicht oft genug zitieren kann.

Zitat Böhmermann:

„Liebe Redaktion von Günther Jauch. Yanis Varoufakis hat Unrecht. Ihr habt das Video nicht gefälscht. Ihr habt einfach das Video nur aus dem Zusammenhang gerissen und nen griechischen Politiker am Stinkefinger durchs Studio gezogen. Damit sich Mutti und Vatti abends nach dem Tatort nochmal schön aufregen können. „Der Ausländer! Raus aus Europa mit dem! Er ist arm und nimmt uns Deutschen das Geld weg. Das gibt’s ja wohl gar nicht. Wir sind hier die Chefs! So!“ Das habt ihr gemacht. Und der Rest ist von uns.“ Zitat Ende

Ich könnte das stündlich fünfmal lesen, weil es eben nicht nur in Richtung Jauch geht, sondern auch an alle faulen Journalisten, die sich alles greifen, was ihnen klickträchtig erscheint, die Anführungsstriche in Tweets nicht zu deuten wissen, die Sätze schreiben wie „…in der Öffentlichkeit setzte sich die Ansicht durch, dass die Aufnahme wahrscheinlich echt sei…“

So, so, in der Öffentlichkeit setzte sich die Ansicht durch. Nicht die Journalisten taten etwas, nicht die „Bild“ und Jauch hetzten. Es setzte sich die Ansicht durch. So, so.

Leid tun mir natürlich alle, die gerne glauben wollten, dass Böhmermanns Fake echt ist, dass also die bisher als echt verkauften Aufnahmen ein Fake sind. Ich gebe zu, ich bin gestern Abend selbst beschwingt ins Bett gegangen in der Überzeugung, dass die „Bild“ und Jauch und all die anderen medialen Faulenzer der Marke Elitz gehörig eins auf die Mütze gekriegt haben.

Ich habe auch heute morgen eine ziemliche Weile gebraucht, um zu kapieren, dass es Böhmermann eben nicht um den Fake ging, sondern um seine Verliebtheit in seine Verschlagenheit, aber auch ums Wachrütteln. Er macht das, weil er es mit seiner wunderbaren Mannschaft bei der Bildundtonfabrik kann, und es ist schon sehr traurig, dass die Medienwelt einen wie Böhmermann braucht, um wenigstens mal für 24 Stunden aus dem Trott zu geraten.

Das haben sie nicht gerne, die Faulpelze an den Schaltstellen, weshalb jetzt tatsächlich schon erste Stimmen laut werden, die Böhmermann vorwerfen, er liefere den Dumpfbacken, die immer von der Lügenpresse schwafeln, die Argumente frei Haus. Solche Leute gesellen sich dann zu jenen, die nach den Charlie-Hebdo-Anschlägen auch wieder vermehrt und nicht mehr verschämt fragen, ob Satire denn immer alles machen müsse, was sie kann.

Sie muss nicht, aber sie darf. Und wer das verhindern möchte, vergeht sich an der Demokratie. Böhmermann ist Satiriker, im Moment vielleicht der gewitzteste, den das Land hat. Er leistet etwas, auf das sonst nur mit dem Zeigefinger gedeutet wird. Der weist normalerweise in Richtung USA. Heute weist er nach Köln. Zu Böhmermann. Dieser Mann ist ein großer Glücksfall. Er hat mich, die Kollegen und die ganze Medienblase eine ganze Nacht und einen ganzen Vormittag in Atem gehalten. Wir haben gefiebert, wir haben gezittert, wir haben gebangt und uns gefragt, ob etwas wahr ist oder nicht. Es ging kurz um Wahrheit. Auch im deutschen Mainstreamjournalismus. Dafür danke, lieber Jan Böhmermann.