Der Tod von Stefan Raab hat mich tief getroffen. Erst habe ich gar nichts davon mitbekommen, aber dann las ich all diese Nachrufe, die Würdigung seines reichhaltigen Medienwirkens, und am Ende sah ich ihn gar weinen, als er bei „TV total“ hinabfuhr in die Hölle des Nichtmehrsendens. Der harte Hund Raab ist sentimental geworden, dachte ich. Er hat sich von Elton küssen lassen, er hat geweint. Tatsächlich. Ein Verhalten, das ich seiner eiskalten Seele niemals zugetraut hätte. Raab in Gefahr. Aber er weinte tatsächlich, so als hätte er geahnt, dass all das Geschriebene wohl wahr sein muss und es nunmehr Zeit für den Abschied wäre.

Ich habe dann sehr bald kapiert, dass Stefan Raab gar nicht tot ist oder im Sterben liegt, dass er lediglich aus dem Fernsehleben scheidet. Mit 49 Jahren. Eigentlich ein stinknormaler Vorgang, wenn man mit Würde gehen möchte. Allerdings einer, den vor ihm kaum jemand so richtig hinbekommen hat. Wer einmal dem süßen Gift des Kamerarotlichts verfallen ist, kommt davon nur schwer wieder los. Ein Leben ohne mediale Präsenz scheint nicht mehr vorstellbar. Der Rest ist ein Fall für die Drogenberatung.

Wer in den vergangenen Tagen all diese Nachrufe auf Raab gelesen hat, muss zudem zu dem Schluss kommen, dass die am nächsten Donnerstag anstehende Geburt des Heiligabend-Erlösers gerade richtig kommt. Die Welt braucht Ersatz, weil ihr spätestens an diesem Samstag nach „Schlag den Raab“ der mediale Heiland abhandenkommt. Your own personal Jesus geht.

Er geht nicht alleine. Das muss man nochmal betonen. Er reißt ein paar seiner treuen Mitarbeiter mit ins Nirwana, weshalb sein Name noch öfter mal das Licht der interessierten Öffentlichkeit erblicken dürfte. Spätestens im Frühjahr, wenn vor dem Kölner Arbeitsgericht die nächsten Kammertermine anstehen, bei denen die von Brainpool ausgesprochenen Kündigungen verhandelt werden. Die Hartherzigkeit, die Raabs Repräsentanten dort bislang an den Tag legten und sowohl Weiterbeschäftigung als auch angemessene Abfindung verweigerten, wirft ein düsteres Licht auf die ansonsten weitgehend makellose Bilanz der TV-Ikone Raab. Ein Mann, dessen Millionenvermögen gerne mal dreistellig geschätzt wird, streitet sich um ein paar Tausender. Wie kleinlich.

Dabei war es gerade die Kleinlichkeit, gegen die er Zeit seiner Karriere angerannt ist. Er hat sich was getraut in einem Gewerbe, in dem Mut zunehmend zur Mangelware wurde, in dem aus lauter Angst vor dem Scheitern die Dinge totgeplant werden anstatt sie anzugehen.

Es passt, dass kurz vor seinem Abgang noch mal die erste „TV total“-Ausgabe vom März 1999 die Runde machte. Da war zu sehen, wie Raab mit Ukulele und Kamera ins Büro des großen Rudi Carrell stürmte und ihm analog zu dessen Rubrik Rudigramm ein Raabigramm widmete. „Wann wirst du endlich wieder witzig“, sang Raab, und der große Rudi hatte sichtlich Mühe, Gelassenheit zu bewahren.

Raabigramm für Rudi Carrell© Screenshot ProSieben

Die Respektlosigkeit, die Raab damals an den Tag legte, war verblüffend. Da traute sich einer was. Er pinkelte ans Denkmal und grinste dabei sein bestes Metzgergrinsen. Das ist 16 Jahre her.

Wie sehr sich die Medienwelt seitdem gewandelt hat, kann man ermessen, wenn man sich mal vorstellt, Raab säße an der Kölner Schanzenstraße in seinem Büro, und irgendein nicht bei Brainpool angestellter Nachwuchs-Comedian platzte hinein, um ihn zu veräppeln. Undenkbar. Der Neuling käme nicht einmal an der Security vorbei. Leichter kommt man in den Tresor der Deutschen Bank als in Raabs Büro. Brainpool-Mitarbeiter können ein Lied davon singen.

Wenn man Raab an die Wäsche will, muss man ihn medial angehen. So wie Jan Böhmermann das gemacht hat, als er 2014 eine selbst produzierte, angeblich chinesische Version von „Blamieren oder Kassieren“ ins Netz pflanzen ließ und dann seelenruhig wartete, bis Raab den Clip stolz präsentierte, um zu zeigen, dass sein Format am anderen Ende der Welt kopiert werde. Die Aufdeckung der Böhmermann-Aktion soll Raab tief getroffen haben.

Ein analoger Künstler

Möglicherweise hat er spätestens da kapiert, dass seine Zeit dem Ende zu geht, dass nicht mehr er es ist, der die Abläufe beherrscht, sondern dass die Abläufe nun jenen gehorchen, die auch in digitalen Verwicklungen nicht verloren gehen.

Im Prinzip war Raab Zeit seiner Karriere ein analoger Künstler. Er brauchte etwas Handfestes, etwas Körperliches, um sich daran zu reiben. Er brauchte die dicken Denkmäler zum Umstoßen. Oder wenigstens zum Dranpinkeln.

Glücklicherweise fanden sich solche Monolithen im Fernsehen en masse. Raab saß bei „Wetten, dass...?“ und hebelte Gottschalk als Moderator aus, Raab fand die Idee, in chinesischen Kochtöpfen eine Eisbahn hinunter zu schliddern, keineswegs absurd. Er nahm sich pubertäre Jungsträume, blies sie noch ein bisschen auf und machte überlebensgroße Omnipotenz-Events aus ihnen. Einmal mit einem Auto andere Autos schrotten, hemmungslos durch eine Mad-Max-Welt kurven und andere dabei zusehen lassen. Alle dachten bei dem Gedanken an die Unmöglichkeit. Raab machte.