"Jeder Haushalt besitzt 10.000 Dinge - die meisten davon braucht man gar nicht." So beginnt die Sat.1-Reportage "Nacktes Überleben - Wie wenig ist genug?" und es ist schon die erste ärgerliche Ungenauigkeit. Im Verlauf der Sendung wurden drei Haushalten, von denen niemand auch nur ansatzweise diese Zahl erreicht, alles weggenommen - die Bewohner mussten daraufhin 30 Tage lang nur mit dem Nötigsten auskommen und konnten sich pro Tag ein Ding zurückholen. Die Reportage ist an den Film "My Stuff" von Petri Luukkainen angelehnt, der dieses ungewöhnliche Experiment allerdings gleich ein ganzes Jahr wagte. Sat.1 musste einen fernsehtauglicheren Rahmen finden.


Vielleicht liegt es auch daran, dass das Format aus dem Hause Endemol Shine Germany über die gesamte Laufzeit von mehr als zwei Stunden nur ganz selten überzeugen kann. Denn so spannend das Konzept klingt und auch ist, so durchsichtig und langweilig wurde es dann letztendlich umgesetzt.  Zum Start kommen die Möbelpacker und räumen alles aus. Vermutlich dachte man, es sei witzig, einen Spiegel genau in dem Moment abzuhängen, in dem sich ein Kandidat dort vermeintlich rasierte.

So durchschaubar ging es dann weiter: Die Teilnehmer (Ehepaar, Fitnesstrainer, 3er WG) durften erzählen, warum sie an der Sendung mitmachen, und einem fiel tatsächlich nichts besseres ein als zu sagen, er wolle Erfahrungen sammeln. Im Verlauf der Sendung treffen die Protagonisten dann immer wieder auf Nachbarn, Familie und Freunde - wobei diese Treffen teilweise arg inszeniert wirken. Sie dürfen dann erzählen, wie schwer das alles ist und können sich anhören, dass man beneidet wird. "Ich würde das nicht machen", ist so ein Satz, den man unzählige Male hört.

Die ersten Tage des Experiments sind dann tatsächlich recht unterhaltsam: Da stehen die Teilnehmer völlig nackt in ihrer Wohnung und müssen erst einmal schauen, wie sie klarkommen. Die Nacktheit spielt eine große Rolle und Sat.1 hat fast ausschließlich diesen kleinen Fakt beworben, im Verlauf der Sendung haben aber alle Teilnehmer schnell etwas an. Der eine bastelt sich ein Bett aus Klopapier, der andere nächtigt in der Badewanne und beim Ehepaar dreht sich alles um die Frau, die sich hinter ihrem Mann versteckt. Nach und nach dürfen die Teilnehmer dann Sachen zurückholen: Zuerst kehren Decken, Matratzen und Jumpsuits zurück.

Nacktes Überleben - Wie wenig ist genug?© Sat.1/Willi Weber

Danach driftet die Sendung wieder in die Erwartbarkeit ab: In der ersten Nacht war es ungemütlich und kalt. Achso. Von der 3er WG erfährt man, dass die junge Frau kurz abbrechen wollte - dann aber doch weiter macht, weil sie sich irgendwie stärker fühlt. Soso. Und so plätschert es dann vor sich hin: Nach und nach kommen immer mehr Gegenstände zurück und die Protagonisten merken, dass sie die wichtigsten Dinge schon nach wenigen Tagen beisammen haben. Das ist auch schon die ultimative Erkenntnis der Reportage, garniert wird diese mit vielen hohlen Phrasen: "Das ist schon eine Umstellung", "Das würde nicht jedem gelingen", "Man umgibt sich mit so vielen Dingen, die man gar nicht braucht".

Sat.1 wollte Konsumkritik üben und  macht das auf die erwartbarste Weise, Überraschungen gibt es keine. Manchmal blitzt aber doch auf, wie unterhaltsam die Reportage hätte sein können. Etwa dann, als das Ehepaar erst schön blumig umschreibt, dass man keines dieser klassischen Paare sei, dass sich gegenseitig rumkommandiere. Wenig später kann man die Frau sehen, wie sie ihren Mann anblafft, er möge doch erst einmal zum Müllcontainer gehen und ihr etwas zum abdecken ihres Intimbereichs geben. Vorher werde sie das Haus auf keinen Fall verlassen. Fremd- und Selbstwahrnehmung eben. Später sucht er etwas im Container, sie steht daneben und kommentiert trocken: "Gib dir Mühe." Und ja, auch als der Mann auf selbstgebastelten Klopapier-Schuhen auf eisglattem Boden ausrutscht und auf den Po fällt, kommt so etwas wie ein bisschen diebische Freude auf.

Am Ende müssen die Kandidaten noch ein paar Gegenstände ausmisten, dürfen sie verschenken und dafür noch viel Lob einheimsen. Passend dazu spielt es Clueso mit "Neuanfang". Mit Gewalt soll dem Zuschauer eingetrichtert werden, dass man nicht immer das neueste Handy braucht. Freunde und Familie sind doch das schönste. "Denn es reist sich besser mit leichtem Gepäck" würde Stefanie Kloß von Silbermond wohl singen. Auch das Lied spielt Sat.1 ein. "Am Ende sind alle glücklich", heißt es in der Reportage und man fragt sich unweigerlich, wer eigentlich "alle" sind. Auf den Zuschauer trifft diese Aussage wohl eher nicht zu. Echte und ernstgemeinte Konsumkritik? Fehlanzeige - Neuanfang.