Als Tom Schilling in genitalenger Bundfaltenhosen über den digitalen Ku'damm flanierte, schrieb ich meinem Vater eine SMS. „Warum ist die DDR so scheiße in den Filmen und Serien der Nachwendezeit“, fragte ich ihn. „Seid ihr in so einem Land groß geworden?“, wollte ich wissen. Und der Vater antwortete zügig. „Die Aufarbeitung der DDR - Geschichte kann nur von der Wissenschaft übernommen werden - und nicht vom Fernsehen. Musste den Mist ausmachen.“
   
Und das finde ich schade. Wirklich sehr. Ich komme aus der DDR, habe noch das blaue Halstuch bekommen, war in der Schach-AG und erlebte Fahnenappelle. Ich erinnere mich an Peter, der plötzlich nicht mehr in die Klasse kam, weil er mit seinen Eltern „nach drüben“ gegangen ist.


 
Als ich acht Jahre alt war, wurde aus der DDR die BRD. Acht Jahre hatte ich Zeit, den Geruch von 2-Taktern in Berlin zu verinnerlichen. Ich erinnere mich an Intershops, in denen Produkte aus dem Westen gekauft werden konnte. Erinnere mich an die Wohnung meiner Eltern, die vielen Bücher, an Westfernsehen, an Sommer und an Winter. Erinnere mich an die MAZDAs der Ärzte und Tintenkiller der Pfarrerskinder.

Ich erinnere mich an 1989 und an das Leben zwischen Telefonanschluss, Trabi und den Sorgen zweier Buchhändler, also meinen Eltern. Es ist eine Zeit, die ich so nur sehr selten wieder finde in den Serien des deutschen Fernsehens, die versuchen, die Geschichte des Landes zu erzählen, in dem ich geboren bin. Jedes Mal hoffe ich auf ein realistisches Bild der DDR. Und fast jedes Mal werde ich enttäuscht. 
   
Und dann erschrecke ich mich. Zeichne ich in meiner Kindheit ein schönes Bild dieses Landes? Ein kindliches Bild? Ich frage meine Eltern, meine Großeltern und weiß, auch deren Bild auf die DDR ist verfälscht. Sie machen sich die Welt schöner, als sie war. Aber war nun wirklich jeder bei der Stasi, gab es nie etwas zu kaufen? Trugen wir alle so hässliche Sachen wie bei „Honigfrauen?“, war alles stahlblau, wie bei „Das Leben der Anderen“?
 
In welcher Welt haben wir gelebt? Fragen, die beantwortet werden könnten, die Quellenlage zum Thema „DDR“ ist tadellos. Denn die Quellen, sie leben noch. Müssten einfach gefragt werden. Oder, noch besser, sie können sogar angesehen werden: Ich habe in den letzten Jahren so ziemlich jede Serie der DDR geguckt, weil ich wissen wollte, aus welchem Land ich komme. Auch nicht ganz uneigennützig, weil ich an einem Drehbuch sitze. Und ich will, dass es richtig wird. Dass es stimmt.

Angefangen mit der Kinderserie „Spuk unter dem Riesenrad“ und „Spuk im Hochhaus“. Klassiker, kennen fast alle, auch die Wessis, von drüben. Ich lernte dort nicht nur viel über Tricktechnik und Narrative sondern auch darüber, wie das Leben in der DDR funktionierte. Und wie sich die Drehbuchschreiber des Ostens über besonders staatstreue Bewohner lustig machten. Lernte, dass der Sommer im Ost-Berliner Vergnügungspark Plänterwald für viele das gleiche war, wie heute der Besuch in Disneyland.

Vor allem verstand ich zum ersten Mal die Freuden. Und die Sprache meiner Generation. „Andere wollen ooch“, blafft einer der Kinder aus der Serie zu den Gästen einer Geisterbahn, die noch eine weitere Runde fahren wollen. Und ich fühlte mich berührt. Keine Stasi, keine Unterdrückung, kein Mangel, dafür aber Lebensgefühl.

Logisch, die Serie ist ja ein Produkt der DDR und zu Selbstkritik waren die Medien des staatlichen Fernsehens nicht fähig. Ja? Waren sie nicht? „Aber da war doch die Zensur so streng“, höre ich, wenn ich erzähle, welche Serien aus der DDR gut waren. Und ich antworte: „Weißt du es? Oder glaubst du es, weil es bei „Der gleiche Himmel“ erzählt wurde?

Die Zensur, besonders in den späteren Jahren war nicht so streng, wie wir heute annahmen. Probleme wurden thematisiert. „Straßenbahnfahrerin Johanna“, spielt im Berlin der ausgehenden achtziger Jahre. Themen der Serie: Alkoholismus in der DDR, alleinerziehende Mütter und die schlechten Wohnungen in Berlin, offen angesprochene Kritik am politischen Apparat.

„Einzug ins Paradies“, ein Serien-Meisterwerk, vertrackt und kompliziert, mit dem sensationellen Kurt Böwe, der es schafft, schauspielerisch zu beeindrucken. Dabei sitzt er eigentlich immer nur im halboffenen Bademantel auf dem Balkon eines unfertigen Plattenbaus. Thema: Die Hässlichkeit der Platte, das Unfertige, der ausgeträumte, sozialistische Traum. Sozialistischer Realismus trifft auf die Realität, als Format. Und immer: Hier geht es um das Lebensgefühl in einem Land, das in den Serien der Gegenwart kein Gefühl kannte, dafür aber nur Unterdrückung.