An schlechte Platzierungen beim Eurovision Song Contest hat man sich in Deutschland in den zurückliegenden Jahren bereits gewöhnen können. Insofern dürfte sich die Enttäuschung über den vorletzten Platz von Levina nach den beiden letzten Plätzen der Vorjahre vielerorts in Grenzen halten. Und natürlich muss man ein schwaches Abschneiden in einer Musikshow nicht zum großen Politikum aufbauschen – erstaunlich ist jedoch die Verwunderung, die die Verantwortlichen in den ersten Stunden nach dem ESC-Finale zum Ausdruck bringen.

Freilich gibt es an der gesanglichen Leistung unserer diesjährigen Starterin ebenso wenig auszusetzen wie an der Leistung ihrer Vorgängerinnen, an deren Namen sich vermutlich nur noch waschechte Grand-Prix-Fans erinnern können. Anzeichen für ein ernüchterndes Ergebnis gab es jedoch schon seit dem Vorentscheid im Februar zur Genüge. Beispiel Charts: Platz 28 war bereits die höchste Platzierung, die "Perfect Life" hierzulande erreichte; nach einer Woche war der Song schon wieder verschwunden. Das war die schlechteste Abschneiden eines deutschen ESC-Beitrags seit 14 Jahren. Beispiel Spotify: Dort wurde der Titel lediglich eineinhalb Millionen Mal abgerufen, der fünftplatzierte schwedische Beitrag wurde hingegen über 13 Millionen Mal angehört.

Beispiel Quoten: Mit kaum mehr als drei Millionen Zuschauern fieberten beim Vorentscheid so wenige mit wie seit fünf Jahren nicht mehr. Und auch die Anrufzahlen während der Auswahl-Show ließen schon erahnen, dass selbst die Begeisterung des hiesigen Publikums nicht allzu groß gewesen sein kann. Wenn der NDR jetzt behauptet, der Song "Perfect Life" habe zwei Drittel der Fernsehzuschauer überzeugt, dann ist das zunächst mal Quatsch, schließlich hat der Titel allenfalls zwei Drittel der Anrufer überzeugt – und das waren dann doch nur 800.000. Verglichen mit dem Vorjahr ging die Zahl der Anrufe um mehr als die Hälfte zurück. Ein erstes Alarmzeichen, dass der handwerklich saubere, aber in Teilen stark an "Titanium" erinnernde Song doch nicht allzu beliebt war?

Am Finalabend in Kiew hatte es Levina dann zusätzlich schwer. Einerseits, weil die Sängerin im Anschluss an den von vielen ESC-Fans bejubelten Auftritt des rumänischen Jodel-Duos performen musste, das alleine von den europäischen Zuschauern mit weit mehr als 200 Punkten bedacht wurde und letztlich in der Gesamtwertung auf einem respektablen siebten Rang landete. Andererseits, weil man sie auf der großen Bühne ziemlich alleine ließ. Keine Tänzer, kein Feuerwerk, ja nicht mal etwas Farbe gönnte man der deutschen Starterin. Und so stand sie im grau-weißen Kleid vor grau-weißer Kulisse, um vom "perfekten Leben" zu singen – eine Wort-Bild-Schere, wie sie kaum größer hätte sein können.

Levina beim Eurovision Song Contest© Andres Putting

Das Resultat: Drei Punkte von der irischen Jury und drei Punkte von den Schweizer Zuschauern, die übrigen 39 Länder fanden keinen Gefallen am deutschen Auftritt beim Eurovision Song Contest. Ganze 752 Punkte trennte Deutschland vom Sieger aus Portugal. Das hat nichts mit Politik zu tun, sondern ist vor allem hausgemacht. Wenn nun also die Ursachenforschung beginnt, dann wird man beim NDR nicht umherkommen, mit Blick auf die nächste Teilnahme in völlig neue Richtungen zu denken. Und wenn schon das deutsche Publikum der eigenen Starterin keinen Erfolg zutraut, wieso sollte sie dann Europa "verzaubern", wie es ARD-Unterhaltungschef Thomas Schreiber sagt?

Daher wird es spätestens jetzt – sieben Jahre nach dem Sieg von Lena, inmitten der wohl größten deutschen ESC-Krise – Zeit für drastische Veränderungen. Vielleicht juckt es dem berühmtesten Fernsehrentner des Landes ja bereits in den Fingern?

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