Eine Verschwörungstheorie funktioniert wie Molekularküche. Im Gegensatz zur Hausmannskost werden darin durchaus gewöhnliche Zutaten so ungewöhnlich zubereitet, dass sie kaum noch zu erkennen, aber äußerst faszinierend sind. Das Geheimnis besteht also nicht im Inhalt, sondern wie man ihn verabreicht. Wer eine Verschwörungstheorie sucht, nehme also die Realität, mache daraus etwas Unglaubliches und serviere es der Welt so, dass genügend Gläubige Geschmack daran finden. Weil – nur so ein Beispiel – die Sonne bald kollabiert, wird in fünf Jahren alles Leben auf der Erde vernichtet sein. Fehlt noch ein griffiges Label: Hard Sun.

Genau so lautet das Codewort, unter dem ein USB-Stick im BBC-Thriller gleichen Titels den Weltuntergang verkündet. Als Detective Chief Inspector Charlie Hicks (Jim Sturgess) mit seiner neuen Kollegin Elaine Renko (Agyness Deyn) am Mordfall eines Computerhackers in London arbeitet, stoßen die zwei Ermittler allerdings nicht nur auf den Datenträger mit der apokalyptischen Message. Bei ihrer Suche nach den Hintergründen geraten sie ins Visier des britischen Geheimdienstes, der die Arbeit des ungleichen Duos fortan bis hin zum Mord unter Berufskollegen sabotiert, um – so behauptet es zumindest die MI5-Agentin Grace Morrigan (Nikki Amuka-Bird) – Chaos und Anarchie zu verhindern.

Das ist die Ausgangslage einer fiktionalen Eskalationsspirale, die ab Montag nächster Woche im ZDF läuft. Doch schon heute stellt der deutsche Partner den britischen Dreiteiler in die Mediathek und zeigt darin eindrucksvoll, wie sorgsam inszenierte Verschwörungstheorien beim Publikum wirken. Was bei Hard Sun am Bildschirm zu sehen ist und was sich nur vorm inneren Auge der Zuschauer abspielt, liegt nämlich zu jeder Zeit in den Händen des Showrunners Neil Cross samt seiner Regisseure Brian Kirk (1. Teil), Nick Rowland (2. Teil) und Richard Senior (3. Teil).

Nachdem die Nachricht vom jüngsten Gericht natürlich doch an die Öffentlichkeit gerät, feuert das prall gefüllte Arsenal der multimedialen Aufmerksamkeitsindustrie schließlich aus jedem Rohr. Die sozialen Netzwerke drehen durch. Sektenführer gehen auf Seelen-, Populisten auf Stimmfang. Um Gottes Sinn für Gerechtigkeit zu prüfen, tötet ein christlicher Fundamentalist massenhaft Samariter, was rasche noch mehr Verrückte ins Rampenlicht saugt. Jenes gesetzlose Durcheinander also, das der MI5 mit aller Kraft verhindern will, wird durch die Vertuschungstaktik nur weiter befeuert. Mittendrin ringen der Familienmensch Hicks und die Einzelgängerin Renko um eine Wahrheit, deren Nutzen angesichts der stellaren Perspektive schleierhaft erscheint. Und dass die zwielichtige Morrigan beide mit allen Tricks gegeneinander ausspielt, macht dieses Ringen kaum leichter.

Nun erfindet die BBC, koproduziert vom US-Streamingdienst Hulu, das Rad des Endzeitthrillers gewiss nicht neu. Der dystopische Sound kündet 300 Minuten lang pausenlos vom Schlimmsten. Das Licht darf nirgends heller sein als in dunklen Parkhäusern, die ebenso wie Kirchen stets menschenleer sind. Auf den Schultern der zwei Hauptfiguren lastet zudem tonnenschweres Gepäck von früher, weshalb sich DCI Hicks bei allem Apokalypse-Stress auch noch mit einem Mordvorwurf herumschlagen muss, während DI Renkos Sohn Daniel (Jojo Macari) dauernd versucht, seine Mutter zu töten. Kurzum: Hard Sun ist bis oben hin vollgestopft mit allem, was jeden Zweifel an der Dramatik im Keim erstickt.

Dennoch gibt es gute Gründe, warum anspruchsvolle Zuschauer trotz der Fülle an verschwörungstheoretischer Effekthascherei nicht ermüdet abschalten. Denn wer sich hier gegen wen verschwört und weshalb, ob die Sache mit der kosmischen Katastrophe wirklich stattfindet oder nur Mittel zum Zweck irdischer Machtgelüste ist, bleibt buchstäblich bis zur letzten Sekunde unterhaltsam offen. Und zwar auch dank eines Personals, das hierzulande wohl kein Produzent seinem Publikum zumuten würde. Die burschikos kurzhaarige Hauptdarstellerin – gespielt vom früheren Supermodel Agyness Deyn – darf heterosexuell statt lesbisch sein und irgendwie eher besonders als hübsch. Die dunkle Hautfarbe ihrer Gegenspielerin Nikki Amuka-Bird dient weder als Chiffre für Rassismus noch Kriminalität. Und auch sonst bleiben die Schubladen britischer Fiktion angenehm offen, durchmischt und transparent. Wäre da bloß nicht die furchtbare Synchronisation.

Während die schwer lesbare Elaine Renko im englischen Original eine angenehm brüchige, zugleich aber trotzige Melancholie ausstrahlt, erinnert sie in der deutschen Übersetzung an hysterische Hausfrauen im Gymnasialkurs Darstellendes Spiel. Dasselbe gilt für Charlie Hicks, der permanent noch Autoglaserwerbung klingt. Und überhaupt ist nahezu jeder Tonfall sämtlicher Protagnisten Werbejingles näher als Method Acting. Auf Deutsch ist "Hard Sun" daher zuweilen unverdaulich wie ewig verkochte Hausmannskost. Dass es trotzdem aufregend wirkt wie Molekularküche spricht umso mehr für die gelungene Optik.