Es gibt da ein grundsätzliches Missverständnis unter deutschen Reality-Macher:innen, nämlich dass sich das Publikum getreulich auch noch den allergrößten Unfug vorsetzen lässt, wenn dieser sich – ironisch aus dem Off kommentiert – nur ausreichend von sich selbst distanziert. Niemand hat das gerade schöner demonstriert als Vox.

Dort lief im August kurzzeitig der zuerst bei RTL+ veröffentlichte "Mallorca Makler" – ein Versuch, das amerikanische Netflix-Vorbild "Selling Sunset" noch mal mit deutscher Gründlichkeit im 17. Bundesland zu erzählen. Was linear so schief ging, dass der Sender seinem Format nach drei Wochen die Schlüssel entzog und es zur Restverwerteschwester VoxUp abschob, wo die Episoden ab Mittwoch gegen 23 Uhr weggesendet werden, um nie wieder ein Wörtchen darüber verlieren zu müssen.

Also: außer in dieser Kolumne, weil sich dank "Der Mallorca Makler" gleich mit mehreren Irrtümern unter Programmverantwortlichen in deutschen TV-Sendern aufräumen lässt.

Irrtum 1: Das Publikum giert nach dem Luxus der anderen

"Sie wollen die Nummer 1 im Immobiliengeschäft auf Mallorca werden und den Reichen und Schönen die meisten Villen verkaufen", droht die Reihe direkt nach dem Start zur Vorstellung des Teams um den Hauptprotagonisten Marcel Remus. Der "Luxus-Immoblilenmakler" startete seine TV-Präsenzkarriere einst bei "mieten, kaufen, wohnen" und darf nun als "Mitwirkender" (Abspann) in seinem eigenen Format zeigen, was in ihm steckt: nämlich die unendliche Geduld, unsympathischen Millionären bzw. deren Gattinnen auf der Deutschen liebster Insel (sorry, Sylt) so lange neue Prachtimmobilien zu zeigen, bis die gar nicht anders können, als dort einzuziehen und ihm eine stattliche Provision zu überweisen.

Remus' Geschäftsgeheimnis sind die fünf A: "Alles anders als alle anderen." Sein mantraartig wiederholtes Motto lautet: "Vollgas & Attacke." Denn: "Je mehr du dir den Hintern aufreißt, desto mehr verdienst du – ist doch total einfach."

Rückschläge? "Hab ich nicht die Zeit für." Ist ja auch klar, wenn man der Kundschaft eine Millionenvilla nach der nächsten aufschließen muss, damit die Zuschauer:innen den für sie unerreichbaren Luxus der anderen bestaunen können – und das mag ja auch ein-, zweimal seinen Reiz haben. Bis all die weißen Neubaukästen mit ihren völlig überdimensionierten Wohnhallen, den Infinity-Pools und die vielen Steindekor-Fincas zu einem einzigen riesigen Klumpen verschmelzen, bei dem jedes neue Luxusobjekt wieder exakt so aussieht wie das vorige und das Staunen ein abprubtes Ende hat, weil alles gleichbeige, gleichriesig und gleichgültig ist.

Irrtum 2: Reich ist automatisch unterhaltsam

Das deutsche Publikum schätzt zweifellos seine Geissens, aber das bedeutet im Umkehrschluss nicht, dass es automatisch Unterhaltungswert hat, auch anderen Vermögensprotzern beim Geldausgeben zuzusehen. Dafür müssten die ohnehin erstmal mit einem präsentierten Kaufobjekt zufrieden sein. Meistens ist das aber nicht der Fall: Laura und Christian ist die Garage zu klein, der Pool zu übersichtlich und die Auffahrt zu steil; Eve & Lucky beklagen zu wenig Meerblick, zu viele Baustellen in der Nähe, einen zu grünen Ausblick, dafür ist das Budget "erstmal egal – ich sag irgendwann stopp". Bis es beim nächsten Mal heißt, sorry: "Der neue Makler war zwei Prozent günstiger als du. Irgendwo musste sparen."

Fitnessmodel Amy ist super interessiert an der riesigen Finca in Alanó und gibt ganz bestimmt ein Angebot ab – von dem dann aber nie wieder die Rede ist.

Der aus Italien im Privatflugzeug angereiste Schönheitschirurg, Spitzname: "Dr. Hot", schaut sich geduldig Räumlichkeiten für eine mögliche Klinikeröffnung auf Malle an, muss dann aber flugs "zurück nach Italien, um mit den Investoren zu sprechen" – tschüss, adios.

Künstlerin Mona lässt den Gatten qualitätsprüfend gegen jede einzelne Wand klopfen, um die präsentierten 330 Quadratmeter dann doch "beengend" zu finden: "Das war unerwartet nicht gut."

Und Privatier Jochen könnte mit Gattin Jutta etwas altersgerechter wohnen, hat aber schon vor der ersten Besichtigung gesagt, dass er sich lebendigen Leibes niemals von seiner Esels-Finca tragen lassen wird.

Dementsprechend mau sieht es auch mit konkreten Abschlüssen aus, was natürlich egal ist, wenn sich noch eine Weile von der sechsstelligen Courtage für die via Instagram-Promo verkauften Rohbauvilla zehren lässt.

Irrtum 3: Gaga ist ein Entertainment-Gütesiegel

Die allergrößte Unverschämtheit ist allerdings das "Team", das sich Remus hat andichten lassen, um 5A-Kompetenz vorzugaukeln (und die vielen Minuten zwischen den Besichtigungen füllen) zu können.

Das liegt weniger an der – tatsächlich ganz unterhaltsamen – Mama Silke, die im Unternehmen des Sohnes immer dann einspringt, wenn der gerade keine Zeit hat, und die zwar des Spanischen nicht mächtig ist, dafür aber des Spontanflirts mit dem Beauty-Doc und der Kaltakquise mit dem Lifestylemagazin des Sohnemanns, welcher sich im Laufe der Zeit als wandelnder Selbstkomplex entpuppt. Marcel treibt unerlässlich Sport, um die Hänseleien aus der Jugend zu kontern, als er wegen ultradicker Hornbrille und Igelfrisur in der Schule gemobbt wurde, und "Arschaufreißen" im Job hilft, es besser zu machen als der Vater mit seiner Insolvenz, unter der die ganze Familie gelitten hat, aus der er sich nachher verabschiedete.

Vielleicht sollte sich Remus mal von Team-Mitglied Ira behandeln lassen, einer als "spirituelles Medium" vorgestellten Dame, die erklärt, dass sie Immobilien von negativen Energien befreien kann, nachdem sie positive auf Friedhöfen gesammelt hat – also quasi mentales Recycling bzw. mallorquinische Ghostbusters: "Oft reicht allein meine Anwesenheit in einem Gebäude dafür, dass die Situation danach eine andere ist."

Meist ist dann doch etwas mehr Aufwand für ein so genanntes "Clearing" nötig, das auf dem amerikanischen Luxusimmobilienmarkt längst gang und gäbe sein soll: ein angezündetes Salbeiröllchen oder ein Häufchen Salz, das mehrere Tage lang unangefasst liegen bleiben muss.

In jedem alten Gemäuer hat Ira automatisch "Gänsehautalarm, aber richtig". Sie schließt die Augen und berichtet: "Ich sehe ein Mädchen", "Ich sehen einen Jungen", "Ich sehe einen Weihnachtsbaum". Alle anderen sehen vor allem eine im schneeweißen Rolls-Royce mit rosa Pudel und hochwasserhosentragendem Ex-Mann anrauschende Geisterbeschwörerin, die offensichtlich einen Weg gefunden hat, mit mysteriösem Rauchpusten, Handaufmauernlegen und theatralischem Händeausbreiten Einkommen zu generieren, das an freien Tagen im Anschluss ans Hundenachfärben in Luxusboutiquen investiert werden kann – wobei die Immobilienreinigung bloß ein Nebengeschäft ist und Iras Haupttätigkeit weiter darin besteht, vermögenden Kund:innen zu prognostizieren, dass sie bald "die Früchte ihres Erfolgs tatsächlich ernten können". Danke, netter Kontakt, gerne wieder!

Im Laufe der Zeit geht ein Teil dieser übersinnlichen Kraft auf das Publikum über, das angesichts der Champagnerdauerdruckbetankung vorherzusagen weiß, dass Ira ein kleines Alkoholproblemchen bekommen wird, oder wie's der Spirituosen, äh: Spirituellen einmal rausrutscht: "Ich hab am Samstag so gesoffen, ich hatte 'ne Stimme wie 'ne alte Hafennutte."

Die Truppe komplett macht Wanderpromi Bruce Darnell, der im Fernsehen immer dann zum Einsatz kommt, wenn jemand gebraucht wird, der lustig spricht, aber sonst nix können muss. "Jetzt geh ich in die Richtung Interior Designer", behauptet der 66-Jährige, wobei die Kernkompetenz dafür offensichtlich darin zu bestehen scheint, durch Zimmer zu wirbeln, um die Vorhänge aufzureißen ("Licht ist eine wichtige Factor"), Teppichmuster zu streicheln und auf Sofas zu posieren, auf die man vorher im Luxusmöbelladen draufgezeigt hast, weil sie fürs spontane "Home Staging" gebraucht werden, nachdem eine Darnell'sche Grundanalyse vor Ort ergeben hat: "Das muss lebendig sein, chill-out, coming home und very easy going."

Wirklich kein einziges Mal sieht man Darnell dabei, wie er irgendetwas Substanzielles macht, während alle übrigen Beteiligten ständig das exakte Gegenteil behaupten – aber, um's in den Worten des geschätzten Teammitglieds zu formulieren: "Wer gewagt, gewinnt – kann man das so sagen?" Kann man, ist aber halt Quatsch.

Irrtum 4: Die Bauchbinde muss lebendig sein

Was das alles für ein Unsinn ist, weiß die Produktion auch selbst – und die Strategie, damit umzugehen, ist eine in hiesigen Reality-Produktionen zuletzt wohlbekannte: das gepflegte Lustigmachen über das, was man dem Publikum im selben Moment vorsetzt.

Wobei beim "Mallorca Makler" das Geschehen immerhin nicht sarkastisch-spöttisch von einer glucksenden Off-Stimme kommentiert wird, der man das Augenzwinkern anhört (die war schon für "Love Island" auf RTL Zwei gebucht). Dafür kriegen alle Protagonisten in einer Tour lustig gemeinte Frechheiten unter ihrem Namen in die Bauchbinde getackert.

Medium Ira "hat mehr Häuser gereinigt als jede Putzhilfe", "ist wie ein Stromanbieter: Energie ist ihr Geschäft" und "kann alles sehen, nur nicht das Geburtsdatum in ihrem Perso". Als fürs Teambuilding im Freien übernachtet werden soll, hat sie "weniger mit Camping zu tun als Schalke mit der Meisterschaft". Remus-Mutter Silke hingegen "mag Falten nur, wenn sie Wäsche zusammenlegt", und "ihr Spanisch ist wie viele Grundstücke auf Mallorca: ausbaufähig". Supermakler Marcel hat dank seines Bauchgefühls "mehr Deals mit Bäuchen gemacht als Weight Watchers" und "könnte Ira auch in Geld bezahlen, das nur sie sieht"; "seine Ansprüche an Mutter sind höher als seine Provision", er "fällt gern mit der Tür ins Haus (Makler halt)", "sorgt für mehr Druck als Gutenberg", "verbindet Menschen und Meer wie sonst nur das Traumschiff" und "mag Zahlen, außer am Ende von Restaurantbesuchen".

Alles, wirklich alles im "Mallorca Makler" wirkt künstlich, gestellt und aufgesagt, um sich auf Gedeih und Verderb Inhalte für acht Episoden abzuringen; dabei schrammt das Format mit seinen Protagonist:innen so haarscharf an der Karikatur entlang, dass man gar nicht anders kann als es den Verantwortlichen übel zu nehmen, dass sie geglaubt haben, damit ein größeres Publikum belästigen zu dürfen

Es wird allerhöchste Zeit, dass irgendwer dem Reality-Fernsehen grundsätzlich verbietet, Selbstironie als Ersatz für Unterhaltsamkeit zu missbrauchen. Aber wahrscheinlich ist das wie bei den Superreichen: Irgendwo musste halt sparen.

Und damit: zurück nach Köln.

"Der Mallorca Makler" läuft ab Mittwoch wöchentlich um 23.05 Uhr bei VoxUp; alle Folgen sind bei RTL+ abrufbar.