„Es ist eine erbärmliche Geschichte heute Abend, aber Ihr werdet Euren Spaß haben.“ Das sagt ein junger Schnösel in die Kamera, bevor er sich wichtigtuerisch als VIP ausgibt, um ins Luzerner Konzerthaus zu gelangen, wo eine große Benefiz-Gala stattfindet, bei der ein jüdisches Orchester Werke von Komponisten aufführt, die jene in Konzentrationslagern entworfen haben.

Natürlich ist das mit der erbärmlichen Geschichte nicht ganz wahr, und das Versprechen, dass der Zuschauer seinen Spaß haben werde, ist auch geflunkert, denn vor allem hat das Publikum vor der Glotze erst einmal Arbeit. Es ist nämlich wieder Experimentierzeit beim „Tatort“. Zum Auftakt der Herbstsaison steht ein One-Take-Experiment auf dem Plan. Gefilmt mit einer Kamera in einem Stück 88 Minuten lang. Es soll um Menschen gehen, die vergiftet zusammenbrechen, um das ziemlich deplatziert wirkende Ermittlerpärchen, das aus der jeweiligen Freizeitaktivität (sie im langen Gala-Kleid, er in Flip-Flops und Fußballdress) in die Aufklärungsarbeit geworfen wird, und um ein finsteres Geheimnis, das zurückgeht in jene Zeit, da Juden aus Deutschland fliehen mussten.

One-Take-Filme sind anstrengend. Das war auch schon bei „Victoria“ der Fall, dem Kinoexperiment, bei dem die üblichen Inszenierungsredundanzen zum Durchatmen fehlten, bei dem man als Zuschauer keine Szene verpassen durfte, weil man sonst nicht mehr nachkam mit dem Kapieren. Bei „Die Musik stirbt zuletzt“ hat man auch zu tun, weil es rasant durch die Rabatten geht. Keine Atempause, „Tatort“-Geschichte wird gemacht. Man möchte dem Kameramann Filip Zumbrunn danach eine olympische Medaille aus Gold um den Hals hängen, weil er so athletisch dem Geschehen nachjagt, dass man sich stets fragt, wie er das hinkriegt.

Natürlich hat das zu tun mit der Arbeit von Dani Levy, der das Buch schrieb und gleich auch die Regie für diesen Schweizer „Tatort“ übernommen hat. Levy hat entworfen, was hier passiert, und es passiert viel. Manchmal vielleicht ein bisschen zu viel. Das wird so manchen behäbigen „Tatort“-Gucker überfordern, dass ihm die Ruhepausen fehlen, diese „Wo waren Sie gestern zwischen…“-Momente, mit denen sonst so oft kostengünstig Sendezeit gefüllt wird.

Stattdessen muss er sich nun anfreunden mit der Tatsache, dass er persönlich angesprochen wird. Von dem eingangs erwähnten Schnösel, der immer wieder die vierte Wand durchbricht und sich über die üblichen „Tatort“-Manierismen lustig macht. „Filme mit Polizisten sollten verboten sein“, näselt er anfangs, und einmal entlarvt er sein pseudorelevantes Sagen auch als plumpen Regietrick. „Ich hatte lediglich den Auftrag, den Weg von der Damentoilette in die Seebar zu füllen“, sagt er.

Das ist über Strecken pfiffig inszeniert, und auch inhaltlich hat dieser Film durchaus jene Tiefe zu bieten, die dem vor dem Konzerthaus liegenden See gelegentlich zugesprochen wird. Was dabei auf der Strecke bleibt, ist der Krimi. Er wird zermahlen zwischen Trick und Tiefe, verkommt zum Beiwerk. Man merkt dem ganzen Film an, wieviel Spaß die Macher beim Machen hatten. Sie wollten mal was anders machen, und das haben sie geschafft.

Die Musik stirbt zuletzt© SRF/Hugofilm

Allerdings haben sie dabei den normalen Fernsehzuschauer ein bisschen aus den Augen verloren. Im Prinzip haben sie einen Film für die Kollegen gemacht, eine Art cineastischen Schwanzvergleich veranstaltet, um zu zeigen. Schaut her, so dicke können wir. Das ist ein bisschen zu oft Kunst der Kunst wegen, da entsteht kein narrativer Sog. Wie schaffen Sie es in die nächste Szene, an den nächsten Ort? Das ist ein bisschen zu oft die Frage, was dem ganzen natürlich einen arg sportlichen Aspekt gibt. Aber von der sportlichen Seite her betrachtet ist dieser Film durchaus sehenswert.

Besonders als Kommissar Flückiger am Konzerthaus einen Verdächtigen mit ins Auto nimmt, dieser dann flieht und der Ermittler plötzlich durch den Luzerner Bahnhof rennt und rasch wieder zurück muss ins Konzerthaus, entwickelt das Geschehen kurz so etwas wie brillante Rasanz. Wie gut, denkt man da, dass in Luzern alles so dicht beieinander liegt, der See, der Bahnhof und das Konzerthaus.

Da mag man dann entschuldigen, dass der Schwung verloren geht, wenn zu viel geredet wird, wenn man spürt, dass just diese Szene, die man gerade verfolgt, bewusst eingebaut wurde, um den Akteuren ein bisschen Zeit zum Durchschnaufen zu geben. Spätestens wenn die Kamera dann wieder Fahrt aufnimmt und atemlos durch die Luzerner Nacht rauscht, sprießt dann wieder so ein Heissa-Moment, dieses „Sie können es schon ein bisschen, wenn sie sich nur trauen“-Gefühl.

Wahrscheinlich wird man die Außergewöhnlichkeit dieser „Tatort“-Episode aber ohnehin erst zu würdigen wissen, wenn demnächst wieder die üblichen Schnarchgesichter auftreten und ihre vertrauten und strunzlangweiligen „Wo waren Sie gestern zwischen…“-Fragen stellen.

"Tatort: Die Musik stirbt zuletzt" am Sonntag um 20:15 Uhr im Ersten. Die Wiederholung läuft um 21:45 Uhr bei One.