Gute Vorsätze fürs neue Jahr sind die Gremlins unter den Selbstoptimierungs-Strategien: Bei Tageslicht wirkt ihre Anschaffung wie ein vernünftiger Erwerb, um sich den Alltag etwas flauschiger zu gestalten; aber sobald man einmal nicht acht gibt, verwandeln sich die Dinger in garstige kleine Biester, mit denen man ganz schön zu kämpfen hat. Ungefähr so wie zum Auftakt der 13. Staffel von „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“.

Ex-„Topmodel“-Bewerberin Gisele Oppermann hatte sich (ganz bestimmt) vorgenommen, nicht als Kandidatin in die Geschichte der Sendung einzugehen, die am allerfrühsten von allen Teilnehmern bei einer Prüfung „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“ ruft. Nach ein paar Minuten war der gute Vorsatz bereits futsch.

Sonja Zietlow und Daniel Hartwich hatten sich vorgenommen, mal auf ganz hohem Niveau zu moderieren, mussten dann von dem Hochhaus in Surfers Paradise aber doch wieder ganz schnell runter ins Baumhaus nach Celebrity’s Hell.

Und die Show-Verantwortlichen wollten sich in diesem Jahr ganz besonders ins Zeug legen, um sich ja nicht nachsagen zu lassen, den vielen unbekannten Prominenten die Busch-Premiere zu einfach gemacht zu haben.

Ich bin ein Star - Holt mich hier raus 2019© MG RTL D / Stefan Menne

Zumindest die letzte Mission darf als gelungen bezeichnet werden. „Ich hab keine Stimme, ich hab ’nen Zustand“, ulkte Dschungelkandidat Tommi Piper zwischendurch – und irgendwie gilt das ja auch für die Sendung, von der inzwischen alle ganz genau wissen, was sie darin erwartet, weil sie zu den beststudierten Phänomenen des deutschen Privatfernsehens gezählt werden muss. Insofern war’s eine gute Entscheidung, diesmal gar nicht lange mit Vorstellungsrunden und Bussi-Bussis rumzueiern, sondern die Kandidaten direkt über die Planke zu schicken.

Auf besagtem Wolkenkratzer fern des Dschungels, wo die Herrschaften einmal ins wackelige Nichts balancieren mussten, um dort einen Buzzer zu drücken und sich die ersten Abendessen-Sterne zu erspielen – was die Runde, bis auf zwei Ausnahmen, auch hervorragend meisterte. Und anschließend ohne großes Tohuwabohu direkt im Dschungel abgeworfen wurde.

Fallhöhe durch Wolkenkratzer

Im 13. Jahr halten sich die Variationsmöglichkeiten des Formats zugegebenermaßen stark in Grenzen; dafür hat die RTL-Crew am Freitagabend einen ziemlich ordentlichen Job abgeliefert. Und zwar, indem schon der erste Tag so mit Aktionen vollgestopft war, dass kaum Zeit blieb, sich um die zwischenmenschlichen Zerwürfnisse zu kümmern, die natürlich ebenfalls sorgsam zusammengecastet wurden.

Aktueller Stand ist, dass ein „Miracle Morning“-praktizierender Selfmade-Muckimillionär (Bastian Yotta) nicht gut auf den ebenfalls teilnehmenden „Currywurstmann“ (Chris Töpperwien) zu sprechen ist, während das „Bachelor in Paradise“-Siegerpaar (Evelyn Burdecki und Domenico de Cicco) zum ersten Mal aufeinander trifft, seitdem ihre Liebe abrupt daran zerbrach, dass er ein Kind von einer anderen erwartet. Für nichthauptberufliche RTL-Zuschauer ist das nur schwer zu verstehen, vielleicht aber auch völlig überflüssig – weil „Ich bin ein Star“ nun ein für alle Mal beweisen muss, ob die Show fähig ist, ohne eines der wichtigsten Elemente, das sie zum Erfolg hat werden lassen, weiterzusenden. Fallhöhe.

Ich bin ein Star - Holt mich hier raus 2019© MG RTL D

Über viele Jahre bezog die Sendung ihren Reiz daraus, dass im australischen Dschungel Menschen aufeinander trafen, die nicht nur ganz unterschiedliche Biografien mitbrachten – sondern auf die man als Zuschauer im Zweifel auch neugierig war, weil man wissen wollte, wie sie sich geben, wenn sie mal nicht perfekt vorbereitet auf die Bühne treten. Sondern tief im Madenschleim watend, unkontrolliert, sogar verletzlich.

Das setzte stets eine gewisse Bekannt- oder Beliebtheit bei den Teilnehmern voraus. Im Zweifel waren die, wegen denen man als Zuschauer eingeschaltet hatte, am Ende gar nicht die interessantesten – und man hörte viel lieber Leuten zu, von denen man gar nichts erwartet hätte. Die dann aber doch die rührenderen, packenderen, ehrlicheren Geschichten erzählten.

Eine hochmotivierte Truppe

Dieser Impuls fehlt diesmal vollständig. Ja, Peter Orloff hat mal Schlager gesungen, Sibylle Rauch Erotikfilme gedreht, und Tommi Piper „Alf“ gesprochen. Aber um den Rest der Truppe zu kennen, muss man schon sehr regelmäßig das Medium konsumieren, das die Leute nun einmal um die halbe Welt geflogen hat, um sie dort zwei Wochen beim Aushungern mit Kameras zu filmen. Sich „’n bisschen im Fernsehen verlaufen“ zu haben, wie Ex-„Bachelor“-Kandidatin Burdecki ihre Kernkompetenz beschreibt, reicht schon seit längerem als Qualifikation für die Teilnahme. Und Fallhöhe schafft die Sendung nur noch dadurch, dass sie Dschungelprüfungen auf Wolkenkratzer verlegt.

Aber, ganz ehrlich: Das geht in Ordnung. Weil RTL ja eh niemanden mehr überzeugt kriegt, den Quatsch mitzumachen, für den man sich ernsthaft interessieren müsste – obwohl dem Sieger zum ersten mal nicht nur die Dschungelkrone, sondern auch ein Preisgeld von 100.000 Euro winkt. Folglich können die Übriggebliebenen eigentlich nur positiv überraschen. Zum Start war das diesmal durchaus der Fall.

Ich bin ein Star - Holt mich hier raus 2019© MG RTL D / Stefan Menne

Offensichtlich hat der Sender eine ganz muntere Truppe zusammengerührt, in der die meisten Teilnehmer hochmotiviert sind, den Zuhausegebliebenen unterhaltsame vierzehn Tage zu bescheren. Um noch mal zu sehen, wie Leute, die man nicht kennt, in der „Dschungelkantine“ Pizza aus pürierten Mehlwürmern mit Tomatensoße aus Emuleber, Madenpommes mit Seegurke in Kotzfruchtdressing und Fischauge in Schweinesperma vertilgen, schaltet nach 13 Jahren aber nun wirklich niemand mehr ein.

Dass die Show, die der Legende nach keine besonders hohe Anerkennung bei der früheren RTL-Geschäftsführerin Anke Schäferkordt genoss, weil sie dem Image des Senders schadete, einmal länger bei RTL bleiben würde als besagte Geschäftsführerin, hätte ja auch niemand geglaubt. (Vor allem nicht: Anke Schäferkordt.)

Insofern ist’s vielleicht ein guter Vorsatz fürs neue Jahr, „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“ nicht als die Sendung von früher mit den ungewohnt keck aufgesagten Moderationstexten zu sehen, die man unmöglich verpassen darf; sondern als TV-Überbleibsel, das immer noch großen Spaß machen kann – wenn man vergisst, dass die Show fürs deutsche Fernsehen mal etwas ganz Besonderes war. Oder wie’s Burdecki zwischendurch formulierte: „Das ist wie bei den Wikingern – man muss ja irgendwie zusammenhalten.“ Bevor man ausstirbt.