Die Zeichen des linearen Fernsehprogramms stehen wie jene der umtosten Welt, nein – nicht auf Sturm; das unterscheidet sie dann doch vom rauen Wind der Wirklichkeit da draußen unterm Wohnzimmerfenster. Die Zeichen, so lässt sich zumindest das Angebot der ARD deuten, das sie am Donnerstag wie jedes Jahr um diese Zeit mit einem Gala-Dinner für Pressevertreter und noch mehr Senderoffizielle in Hamburg vorgestellt hat, die Zeichen stehen allenfalls auf Sturm der Liebe.

Nicht anders nämlich lässt sich interpretieren, wie der Senderverbund gemeinsam mit seiner fiktionalen Filmproduktionseinheit Degeto die laufende Saison bestücken will. Sicher, vieles darin wird wie gewohnt eingehend problematisiert; als Informations- und Nachrichtensender von Belang und Reichweite kann und will schließlich allenfalls das artverwandte ZDF der ARD noch Paroli bieten. Und viele der 30 Mittwochsfilme sind wie viele der 50 Sonntagskrimis ohnehin über einige Zweifel erhaben, doch dazu später. Jetzt geht es erstmal ums gewöhnliche Feierabendprogramm. Und das wirkt zumindest teilweise eine Kapitulationserklärung im Kampf gegen die Publikumsüberalterung.

Wie die Sendeanstalten und ihr Haupthaus nämlich mit Biopics über Harald Juhnke oder Ottilie von Faber-Castell, mit der 18. Staffel „Um Himmels Willen“ oder Nr. 22 von „In aller Freundschaft“, mit dem krachigen Ostwest-Agententhriller „Wendezeit“ oder dem gefühligen Architektur-Melodram „Lotte am Bauhaus“ noch Menschen diesseits der Stammzuschauer 60+ erreichen will, bleibt nach der gestrigen Pressekonferenz mehr denn je ein Rätsel. Da kann Degeto-Chefin Christine Strobl noch so über „mindestens 50 Fernsehpreise“ jubeln, die ihre Mitarbeiter verantwortet hätten – der Nutzernachwuchs will heute vorwiegend anders unterhalten werden. Womit wir in der zweiten Wochenhälfte wären.

Besonders der Freitag wurde unter Strobls Führung zuletzt eigentlich nachhaltig entschlackt. Doch Filmreihen wie „Praxis mit Meerblick“ oder „Reiterhof Wildenstein“ lassen den Kalorienspiegel nun wieder auf Zuckerschock steigen. Und davon ist der bekömmliche „Toni, männlich, Hebamme“ bereits abgezogen, bei dem ab 8. Februar relativ klug mit Geschlechterklischees jongliert wird. Aber auch dessen Machart ist wie die der 26 donnerstäglichen Mordsfilme inklusive neuem „Irland-Krimi“ mit Désirée Nosbusch so konventionell, so berechenbar, so bieder und alt, dass die Fernsehnutzung der ominösen Zielgruppe weiter sinken dürfte.

Während Senioren dem Medium massenhaft treu bleiben, sehen unter 50-Jährige laut einer neuen GfK-Studie pro Tag nämlich nicht mal mehr den Gegenwert eines Spielfilms linear fern – von Teenagern ganz zu schweigen. Und das ist schon allein deshalb bedenklich, da Programmdirektor Volker Herres ja völlig zu Recht feststellt, 80 Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkriegs, weitere 20 nach der Weimarer Verfassung und deren 70 nach dem Grundgesetz trage sein Sender „große Verantwortung für die offene Gesellschaft“ – ein überaus fragiles Gebilde, das „gleichermaßen auf Dissens und Zusammenhalt“ beruhe.

Den nämlich liefert die ARD noch immer. Und zwar nicht nur dank des stattlichen Informationsanteils, den Herres zuzüglich Live-Sports auf 43 Prozent beziffert. Wie sein Fernsehfilmkoordinator Jörg Schönenborn gegenüber DWDL erklärt, befinde sich das Erste damit am „Puls einer verunsicherten Gesellschaft“ auf der schwierigen Suche danach, wo sie denn steht. Um nach vorne zu blicken, wolle es „im Kampf um Aufmerksamkeit“ den Blick deshalb noch mehr zurück richten. Und dafür taugt das Zwischenkriegsdrama „Club der singenden Metzger“ um deutsche Armutsmigranten gewiss ebenso wie „Charité“. Dessen Fortsetzung verlässt die Nummernrevue berühmter Nobelpreisträger demnächst mit einem furiosen Ulrich Noethen als Professor Sauerbruch in den Nationalsozialismus.

Dummerweise ist das im Grunde die einzige ARD-Serie mit etwas Strahlkraft. Sachfilme und Reportagen, starbesetzte Dokudramen wie das über Berthold „Brecht“ Ende März oder ein atmosphärisch starker Flüchtlingsthriller namens „Eden“ im zweiten Quartal – alles honorig, alles sehenswert, alles aber auch frei von jener seriellen Sogwirkung, die das Publikum von Tag zu Tag stärker an Streamingdienste und Mediatheken bindet. Wenn Volker Herres auf dem Podium beteuert, „wir wollen Themen aufgreifen, die Deutschland bewegen“, ist ihm der gute Wille zwar kaum abzusprechen. Die Generation Z jedoch dürfte selbst altersgerechte Fiktion wie „Play“ über ein konsolensüchtiges Mädchen ignorieren, wenn es im erweiterten Umfeld vom „Club der einsamen Herzen“ läuft.

Jutta Speidel, Hannelore Elsner und Uschi Glas spielen darin Ende des Jahres eine Art Coming-of-Bestager-Ulk für „Bunte“-Leserinnen. Während das Erste die nämlich fast ununterbrochen zur besten Sendezeit bedient, müssen ihre Enkel auch 2019 notorisch ins Netz abwandern, um angemessen entertaint zu werden. Doch davon war gestern beim Gala-Dinner in Hamburg nicht weiter die Rede.