Als die erste weibliche Verkörperung von "Doctor Who" sorgte Jodie Whittaker im vergangenen Jahr für eine La-Ola-Welle der Emotionen. Während gefühlt eine Hälfte der eingeschworenen Fangemeinschaft bereits mental mit ihrer britischen Lieblingsserie abgeschlossen hatte, äußerte die andere Hälfte die Meinung, dass der Geschlechterwechsel nach 36 Staffeln längst überfällig war. Und so wurde Whittaker zu einer der polarisierendsten Frauen Großbritanniens – jedenfalls, wenn Theresa May und jegliche politische Angelegenheiten außen vorgelassen werden. Interessanterweise hatte Jodie Whittaker jedoch bereits vor ihrem ersten Sci-Fi-Auftritt einen Job als Doktor inne. Nun ja, in "Verrate mir nicht" täuscht sie immerhin vor, einer zu sein.

Kein Doktor, der in einer übernatürlichen Telefonzelle durch die Zeit reist. Stattdessen ein ganz normaler Arzt, der auf die altbewährte Art und Weise Leben rettet. Doch so ehrwürdig ihre Ambition auch ist, dies tun zu wollen, so fragwürdig ergattert sie einen Job als Fachärztin. In "Trust me", so der schönere Originaltitel der ebenfalls aus Großbritannien stammenden Serie, die nun bei Arte zu sehen ist, fängt Cath (Whittaker) zunächst als unterbezahlte Stationsschwester in einem Sheffielder Krankenhaus an. Sie heißt vieles von dem, was sie mitbekommt, nicht gut: Wo sie auch hinschaut, erkennt sie Nachlässigkeit in der Fürsorge. Sei es ein Patient, der stundenlang in einem von Fäkalien durchtränkten Laken verharren muss, oder die Tatsache, dass es nicht genügend Nahrung und Wasser gibt. Sie überlegt, mit diesen wichtigen Anliegen zur Presse zu gehen – macht aber einen Rückzieher, als ihr der Lokalreporter verrät, dass die Story nur gemacht werden kann, wenn sie mit ihrem Gesicht dafür wirbt. "Eine Geschichte wie diese lebt und fällt mit einem persönlichen Blickwinkel", erklärt er Cath mehr plump als sensibel. Sie verzichtet.

Auch, weil sie eine kleine Tochter zu Hause sitzen hat, die eine Mutter mit Job braucht. Als Cath ihre Bedenken dann im Krankenhaus selbst kundtut, wird sie dennoch gefeuert. Die zuständige Chefin besitzt tatsächlich noch weniger Empathie als der Lokalreporter. Um die Misere für Cath abzurunden, entschließt sich ihre beste Freundin Ally dazu, nach Neuseeland auszuwandern. Sie war eine Notfallärztin, die aus anderen Gründen keine Lust mehr auf das britische Gesundheitswesen hat. In einer Mischung aus Panik, Ratlosigkeit und etwas Hoffnung nimmt sich Cath all die Bewerbungsunterlagen ihrer Freundin mit nach Hause und will sie für sich selbst nutzen. Zu ihrer Verteidigung: Ally meinte vor dem Abschied noch, dass sie sich "alles nehmen" könne.

An diesem Punkt kommt bereits die Frage auf, ob so etwas auch außerhalb eines Filmsets realistisch wäre. Tatsächlich zeigt "Verrate mich nicht" plausibel, dass nicht jede Bewerbung bis ins kleinste Detail nachrecherchiert wird. Sollte einigermaßen engagiert am eigenen "Catch me if you can"-Plan getüftelt werden, fällt es dem Arbeitgeber schwer, Ungereimtheiten entdecken zu können. Die von John Alexander und Amy Neil geschaffene Drama-Serie zeigt jedenfalls gut, dass vor allem Unternehmen geblendet sind, die sowieso händeringend nach gutem Personal suchen. So verlief es auch in Caths Fall, die mit Verwunderung und Begeisterung gleichermaßen in einem Krankenhaus in Edingburgh willkommen geheißen wird – als Notfallärztin Ally.

Ein bisschen muss schon mit der Stirn gerunzelt werden, wenn "Verrate mir nicht" mehr oder weniger schnell an diesen Punkt in der Geschichte springt. Gut vorstellbar, dass eine Stationsschwester über die Jahre allerhand von ihren vorgesetzten Ärzten lernt – doch ob die Rolle des Doktors dann wirklich selbst gespielt werden kann, ohne nach dem ersten Tag entdeckt zu werden? Es ist eine Frage, die bereits in der ersten Folge ausgeknockt wird. Die Autoren, zu denen auch Dan Sefton zählt, zeigen klipp und klar, welche Fähigkeiten Whittakers Charakter zu Anfang hat, und welche sie nicht einmal vortäuschen kann. Dadurch ist sie auch nicht in der Lage, in der ersten Operation dafür zu sorgen, dass der Patient überlebt.

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Doch während manch ein Mensch an dieser Stelle sagen würde, dass dieser Plan wohl doch nicht der Beste war, liest Cath einfach noch mehr Medizin-Bücher oder fragt Dr. Google um Rat. Wieder zu unrealistisch für Sie? Nun, ein gewisser Gert Uwe Postel war einst Postzusteller und wandelte sich eigenständig zu Dr. med. Postel. Als Hochstapler arbeitete er über 15 Jahre als leitender Arzt. Beigebracht hatte er sich das alles selbst, oder lernte es auf dem Weg. Dass so etwas möglich ist, weiß Sefton mit Sicherheit – neben seiner Tätigkeit als Drehbuchautor ist er auch selbst Notfallarzt.

Postel und Cath eint, dass beide deutliche Verbesserungen im Gesundheitswesen durchführen würden. Doch während Postel als schwierige Person wahrgenommen werden kann, die scheinbar geliebt oder gehasst wird, macht Whittaker als Cath eine gänzlich andere Figur. Ihr Charakter ist warmherzig und jede positive Abzweigung der Geschichte wird ihr von Herzen gegönnt. Natürlich geht es in "Verrate mich nicht" auch darum, dass ihr auf die Schliche gekommen wird. Doch beim Anschauen bereitet es Bauchschmerzen, wenn es auf solche Momente hinausläuft und Szenen so ausgehen können, dass die junge, alleinerziehende Mutter, mit einem Bein im Gefängnis steht.

Selbst abseits der wunderbaren Jodie Whittaker ist "Verrate mich nicht" einen Blick wert. Vor allem dann, wenn etwas von der ungeschönten Welt der Pfleger und Ärzte gesehen werden möchte – in vielen Krankenhäusern herrschen hohe Überstunden und geringe Moral. Es gibt zu wenige Ressourcen und zu viele Menschen, die keine angemessene Fürsorge mitbringen. Als Cath wandelt Wihittaker in angemessenster Weise durch diese Szenerie und beweist, dass sie auch außerhalb der Tardis einen guten Doktor abgibt.

Jeweils eine der vier Folgen von "Verrate mich nicht" ist ab sofort donnerstags um 20:15 Uhr bei Arte zu sehen.