In diesem Jahr kommt die schönste Bescherung zu Weihnachten einen Tag zu spät: Der Film „Der Club der singenden Metzger“ erzählt eine Auswanderer-Geschichte von der man sich auch nach immerhin drei Stunden eigentlich nicht verabschieden möchte, so einerseits herzlich und andererseit hart wird das Schicksal zweier deutscher Wirtschaftsflüchtlinge im frühen 20. Jahrhundert erzählt, die ins verheißungsvolle Amerika ziehen („Die essen dort jeden Tag Fleisch, ich hab’s mit eigenen Augen gesehen!“) und erleben, dass die Übersetzung des deutschen Wortes Heimat ins Englische nicht so schwer ist wie die Frage, was es eigentlich bedeutet.



Die von Oliver Berben produzierte Literaturverfilmung (Regie: Uli Edel) arbeitet mit einem Drehbuch von Doris Dörrie und Ruth Stadler adaptiert vom gleichnamigen Roman der US-Schriftstellerin Louise Erdrich. Jonas Nay spielt den Metzger-Meister Fidelis Waldvogel, der traumatisiert vom Einsatz im 1. Weltkrieg mit dem Alltag in der schwäbischen Heimat hadert. Einem guten Freund, der im Krieg gefallen ist, versprach er sich um seine Frau zu kümmern. Er tut es und heiratet die schwangere Eva. Doch der Platz daheim und die wirtschaftliche Perspektive fehlt. Die Versprechungen Amerikas ziehen ihn an. Mit einigen Würsten, den Familienrezepten und Schlachtermessern vom Vater zieht er los - und verspricht Eva samt Kind nachzuholen.

In Hamburg wiederum träumt die Zirkuskünstlerin Delphine (Aylin Tezel) vom Auswandern, um für sich und ihren alkoholkranken Clowns-Vater Robert (Sylvester Groth) eine neue Perspektive zu haben. Überwiege die Last zu bleiben oder die Schuld gestohlen zu haben, fragt sie sich als sie die Einnahmen des Zirkus klaut um die Tickets für die Passage nach New York zu kaufen. Mehr als nur einmal wirft der Film wie auch die Buchvorlage Fragen auf, die hängen bleiben und dieses Auswander-Epos so nahbar macht. Heute ist die Welt so vernetzt wie nie. Es ist eine der ganz großen Stärken von Buch, Cast und Inszenierung uns nachvollziehbar zu machen, was Auswandern vor 100 Jahren bedeutete als noch nicht jeder Winkel der Erde in 24 Stunden erreichbar war und ein Videotelefonat die Liebsten in Echtzeit teilhaben lässt am Leben.

Die Abenteuer von Artisten-Vater und -Tochter sowie Metzgermeister Fidelis Waldvogel werden sich im Verlauf des Films kreuzen. Es wäre aber - mit irritiertem Blick auf manche allzu ausführliche Kritik zu diesem Film - zu schade zu viel von diesem wunderbaren Abenteuer vorab zu verraten. Denn „Der Club der singenden Metzger“ traut sich etwas, nicht nur mit dem sperrigen Titel, der der Sangeslust des Waldvogels geschuldet ist. Das Epos erzählt ein Period Drama ohne konkreten historischen Anlass, dabei war dies über viele Jahre hinweg die Standarddisziplin deutscher Filme und Mehrteiler. Emotionale Dramen vor dem Hintergrund besonders dramatischer Ereignisse der deutschen Geschichte.

„Der Club der singenden Metzger“ steht hingegen für sich und betört als Geschichte, die entdeckt werden will und von der man nicht weiß, wie sie enden wird. Er mutet auch mehr zu: Anders als bei manch albernem ARD-Krimi, der im Ausland spielt, wird hier auch entsprechend der Handlungsorte englisch gesprochen und dann zwischenzeitlich deutsch untertitelt. Der Kampf mit der neuen, fremden Sprache wird so spürbarer. Drei Dinge sorgen dafür, dass die Geschichte auch nicht im Kitsch versinkt: Es sind die Wendungen der Ereignisse, das hinreißende Spiel des Casts und eine Inszenierung, die weiß wann sie zurückhaltend beobachten und wann sie bewusst schmerzen will (wenn etwa Metzgermeister Waldvogel beim Schlachten der Schweine das Trauma des Krieges einholt).

Dass die Geschichte nicht wie viele andere Auswanderer-Storys im 19. Jahrhundert spielt, sondern hier Fahrräder und erste Automobile fahren und die Geschichte im Norden der USA, nicht im Mittleren Westen spielt und Frauen immerhin schon das Wort erheben dürfen, bricht auch wunderbar mit Vorurteilen, die man dem Film gegenüber haben könnte. „Ist das die Freiheit von der ich geträumt habe oder nur ein fremder Traum?“, fragt sich Metzgermeister Fidelis Waldvogel im Verlauf des Films. Wieder so ein wunderbarer Satz, der nachdenklich macht. „In diesem Sommer war noch alles gut. Wir waren endlich angekommen, aber man kommt nie wirklich an. Man glaubt es nur. Und wie ich das geglaubt habe!“, ist ein anderer.

Zu den größten Momenten des Films, die die Botschaft und Geschichte des grandiosen Werks wie unter ein Brennglas legen, gehört eine Unterhaltung zwischen Fidelis Waldvogel und seiner Frau, die sich fragt ob sie jemals wieder nach Schwaben kommen. Er verspricht es ihr. Sie würden sicher bald wieder in die Heimat fahren - zu Besuch, ergänzt er als sie irritiert guckt. Es entsteht ein kurzes Gespräch darüber, was und wo eigentlich Heimat sei und gipfelt in der Erkenntnis des ausgewanderten Metzgermeisters: „Here we are home - und dann ist da noch die Heimat.“

Am Ende eines langen Films von dem man aber keine der stimmungsvollen Minuten missen will, wünscht man sich, man hätte noch länger Zeit verbringen können mit den Charakteren und ihrer persönlichen Eroberung der neuen Welt. Vielleicht hätte man noch mehr rausholen können und es als mehrteilige Serie wagen sollen. Aber es überwiegt die Dankbarkeit für ein Abenteuer von dem man vorher nicht geahnt hatte, wie sehr wir alle es brauchen. Als Unterhaltung einerseits und als Mahnmal dafür, dass die Entscheidung auszuwandern bzw. zu fliehen, nie eine einfache ist, weil jeder Mensch der irgendwohin will auch irgendwoher kommt - und etwas zulässt.

Das Erste zeigt "Der Club der singenden Metzger" am Freitagabend um 20.15 Uhr und bereits jetzt auf Abruf in der ARD-Mediathek.