In einer Woche richten sich wieder viele Blicke auf das Schweizer Bergdorf Davos. Von Klimaaktivistin Greta Thunberg bis US-Präsident Donald Trump werden die Mächtigsten und Einflussreichsten der Welt zur 50. Jahrestagung des World Economic Forums (WEF) erwartet. Wie immer wird die Versammlung für globale Schlagzeilen und für gemischte Gefühle sorgen – Hoffnung und Optimismus bei den einen, Kritik und Kopfschütteln bei den anderen.

Dass das WEF so stark polarisiert, hat mit seiner offiziellen Mission zu tun: "den Zustand der Welt verbessern". Größer geht es nicht. Aber auch damit, dass die elitäre Veranstaltung von vielen als geheimnisvoll und abgeschottet wahrgenommen wird. Zumindest Letzteres könnte sich jetzt für die Zuschauer des Dokumentarfilms "Das Forum – Rettet Davos die Welt?" ändern. Regisseur Marcus Vetter und Produzent Christian Beetz ist es erstmals gelungen, mit einem unabhängigen Filmteam hinter den bislang verschlossenen Türen zu drehen.

"'Das Forum' zu produzieren, war stets ein Balanceakt, geprägt durch viele Niederlagen, getragen von zähem Willen und der Überzeugung, dass es lohnt, genau hinzuschauen – auch in die Augen jener, die man für Gegner hält", sagt Christian Beetz, Chef der vielfach preisgekrönten Doku-Schmiede Gebrüder Beetz Filmproduktion, der fünf Jahre beharrlich daran arbeitete, den gewünschten Zugang zu WEF-Gründer Klaus Schwab und dessen Institution zu erlangen. Der 81-Jährige bringt die Spitzen aus internationaler Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft seit 1971 zusammen – in der festen Überzeugung, dass die Probleme der Welt nur im Dialog gelöst werden können.

Vetter hat Schwab und einige seiner führenden Mitarbeiter mit kleinem Kamerateam über zwei Jahre begleitet, nicht nur auf den Davoser Jahrestreffen von 2018 und 2019, sondern auch in der Genfer WEF-Zentrale, beim WEF-Ableger "Centre for the Fourth Industrial Revolution" in San Francisco, bei den Versuchen, durch nachhaltige Palmölprojekte in Indonesien die Abholzung des Regenwalds zu stoppen oder Krankenhäuser in Ruanda durch Drohnen mit Blutkonserven zu versorgen. Eines der ersten Missverständnisse, das der Film so ausräumt: Das WEF ist mitnichten nur Davos, sondern eine 750-köpfige Organisation für Public-Private-Partnerships, die sich als Stiftung aus den Mitgliedsbeiträgen von über tausend Unternehmen finanziert.

Vetter, dessen Werk als "Dokuthriller" firmiert, kontrastiert Schwabs optimistische Weltverbesserungsvision mit verunsichernden Phänomenen wie Handelskriegen, Brexit, Klimakrise oder Amazonas-Bränden. Dazu hat er genau die richtigen Protagonisten ausgewählt. Eine wichtige Rolle für die Dramaturgie des 90-Minüters spielt etwa Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan. Sie steht stellvertretend für etliche Nichtregierungsorganisationen, die traditionell dem Lager der Anti-Davos-Protestler angehörten, inzwischen jedoch die Plattform für ihre Anliegen zu nutzen wissen. Morgan kritisiert das WEF dafür, dass zu viel geredet und zu wenig gehandelt werde. Ihre Bedenken und ihre wachsende Ungeduld während der Teilnahme am 2019er Jahrestreffen liefern dem kritischen Zuschauer eine mögliche Perspektive zur Einordnung.

Für einen starken emotionalen Spannungsbogen steht wiederum Greta Thunberg, die im vorigen Jahr im Rahmen einer Protestaktion gemeinsam mit Klimawissenschaftlern unweit des Kongresszentrums in den Bergen von Davos campte. Die Doku gibt einen Briefwechsel zwischen ihr und Schwab aus den Folgemonaten wieder, in dem sie ihn auffordert, endlich konkret zu handeln. Es ist so etwas wie ein Wende- und Hoffnungspunkt des Films, als Schwab ihr eine offizielle Einladung zum Forum 2020 schickt und vorschlägt, dort Zugeständnisse der Eliten zum Klimawandel einzufordern.

Das Forum – Rettet Davos die Welt?© WEF/Christian Clavadetscher
Unverstellte Einblicke: Klaus Schwab und Jair Bolsonaro auf der Bühne von Davos

Gleichermaßen lebt "Das Forum" von seinen unverstellten, mitunter fast erschreckend intimen Einblicken. Die Kamera ist hautnah dabei, wenn Schwab hinter den Kulissen Donald Trump, Angela Merkel, Emmanuel Macron oder Theresa May empfängt, wenn er am Rande der ASEAN-Konferenz in Hanoi ein bilaterales Gespräch mit Aung San Suu Kyi, der amtierenden Regierungschefin von Myanmar, über die weltweit kritisierte Vertreibung der Rohingyas, einer muslimischen Minderheit, führt. In solchen Momenten lässt sich Schwabs diplomatisches Geschick beobachten – es bleibt dem Zuschauer überlassen, ob er das höflich-geduldige Zuhören und Zureden des WEF-Chefs als produktiven Lösungsansatz oder nutzlosen Smalltalk interpretieren will. 

Eine der bestechendsten und zugleich verstörendsten Szenen ergibt sich, als Vetter den brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro nach dessen offiziellem Auftritt in Davos minutenlang bei einem Backstage-Empfang beobachtet. Regelrecht isoliert und gemieden steht der populistische Führer da, bis Ex-US-Vizepräsident und Klimaaktivist Al Gore schließlich auf ihn zugeht. Dessen etwas unbeholfene Anmerkungen zum brennenden Amazonas lässt Bolsonaro an sich abtropfen und ebenso abrupt ist die kurze Unterhaltung wieder vorbei.

Vetter fordert den Zuschauer heraus und verweigert einfache Antworten oder Bewertungen. In einer Zeit, in der globale Eliten mehr denn je angezweifelt werden, ist sein Film ein leidenschaftliches Plädoyer für den zweiten und dritten Blick; dafür, verschiedenen Sichtweisen und ihren jeweiligen Argumenten Aufmerksamkeit zu schenken anstatt sich in vorschnellen Feindbildern einzugraben. Wer sich in diesem Sinne auf "Das Forum" einlässt, kann über wesentliche Schnittstellen mit weltveränderndem Potenzial mehr lernen als aus jeder tagesaktuellen Davos-Nachricht nächste Woche.

"Das Forum – Rettet Davos die Welt?" läuft am heutigen Dienstag um 20:15 Uhr auf Arte und am Montag, 20. Januar um 22:45 Uhr im Ersten. Außerdem ist die Doku in den Mediatheken von Arte und ARD (ab 18. Januar) abrufbar.