Mit den Ereignissen aus dem Haus hat "Big Brother" in diesem Jahr noch nicht für Schlagzeilen gesorgt. Die Vergangenheit einer Bewohnerin lenkt die Aufmerksamkeit jetzt dafür umso mehr auf die Realityshow. Schon in der vergangenen Woche machten in den sozialen Netzwerken erste Gerüchte die Runde, wonach eine Kandidatin früher eine Beziehung zu ihrem Halbbruder gepflegt haben soll – es ist ein pikantes Detail, das die 38-Jährige in ihrer Bewerbung offenbar zunächst verschwieg, wenn man der "Bild"-Zeitung Glauben schenken darf. Dass es dennoch schnell öffentlich wurde, hängt damit zusammen, dass es vor sieben Jahren schon einmal Berichte darüber zu lesen gab.

Der Grund: Die Frau nahm damals zusammen mit besagtem Halbbruder an der längst vergessen geglaubten RTL-Show "7 Tage Sex" teil, was vor allem deshalb fragwürdig war, weil das Format die Absicht verfolgte, die kriselnden Beziehungen der teilnehmenden Paare durch täglichen Geschlechtsverkehr zu kitten. Auch wenn man über das Konzept heute schmunzeln mag, war den Verantwortlichen von Sender und Produktionsfirma das Lachen einst schnell vergangen, als die unglaublichen Informationen zu den Protagonisten durchsickerten.

"Selbst mit viel Fantasie wären wir niemals darauf gekommen, dass ein Halbgeschwisterpaar sich bei '7 Tage Sex' bewirbt – das übersteigt schlicht unsere Vorstellungskraft", sagte Inga Leschek, die damals noch Geschäftsführerin der Produktionsfirma Tresor war, 2013 gegenüber DWDL.de. "Uns ist passiert, was anderen Produzenten von Reality-Formaten immer wieder passiert – man hat uns angelogen." So scheint es nun offenbar auch Sat.1 und Endemol Shine Germany gegangen zu sein. Dort hatte man die Vergangenheit der "Big Brother"-Bewohnerin, die der Sender für ihre "authentische und gutgläubige Art" lobt, offenbar zunächst nicht auf dem Schirm.

Bekannt war den Verantwortlichen die Vorgeschichte trotzdem noch rechtzeitig vor Beginn der Staffel. Laut "Bild" soll die Frau von Produktionsmitarbeitern kurz vor ihrem Einzug damit konfrontiert worden sein. Mitmachen durfte sie trotzdem – wohl auch, weil die Beziehung zu ihrem Halbbruder nach eigenen Angaben seit drei Jahren vorbei ist und damals keine Anzeige erstattet wurde. Das Führungszeugnis der Bewohnerin sei "sauber", sagte eine Sat.1-Sprecherin und bestätigte auf Nachfrage, dass der Sender von der Inzest-Vergangenheit wusste. Die zu erwartenden Schlagzeilen hat man letztlich also gerne mitgenommen. Angesichts mäßiger Quoten dürften sie ohnehin ganz recht kommen.

Rein rechtlich mag nichts gegen die Teilnahme an "Big Brother" sprechen; die moralische Frage stellt sich dennoch. Muss man einer Person, die mindestens zwei Produktionsfirmen gegenüber falsche Angaben machte, eine Plattform geben – erst recht, wenn es um ein derart heikles Thema geht? Dass Sat.1 die Frage mit Ja beantwortet hat, muss als Ausdruck einer gewissen Verzweiflung gewertet werden, immerhin hatten sich noch knapp 14.000 andere Kandidaten für "Big Brother" beworben. Auf die Inzest-Geschichte wollte man wohl nicht verzichten.

Bedenklicher Umgang mit Frauen

Doch Sat.1 ist mit der fragwürdigen Realityshow-Besetzung nicht alleine. Seit einigen Wochen schon sorgt der aktuelle "Bachelor" für Kopfschütteln. Längst schon geht es nicht mehr um einen Vorfall, bei dem der heutige Star der von Warner Bros. produzierten RTL-Show vor Jahren einen Mann mit einem lebendigen Schwan verprügelt haben soll. Auch wenn er die Vorwürfe zurückweist und lediglich einen Schäferhund-Welpen als Zeugen benennt, inszeniert ihn der Sender heute als "geläuterten Schlimmfinger" und suggeriert seine im Nebel bleibenden Straftaten als "etwas extremere Form spätpubertären Rangelns", wie es "Spiegel"-Autorin Anja Rützel kürzlich treffend formulierte

Der Bachelor

Weitaus bedenklicher ist der Umgang des "Bachelors" mit Frauen. Offensichtlich mangelt es ihm an jeglichem Respekt gegenüber jungen Frauen – wie sonst ist es zu erklären, dass er sie vor laufender Kamera bedrängt? "Du bist doch ein kluges Mädchen", versuchte er eine Kandidatin in einer kürzlich ausgestrahlten Folge zum Kuss zu nötigen, obwohl diese erkennbar nicht dazu bereit war. Stattdessen empfahl er ihr, an ihrem Verhalten zu arbeiten. Wenn sie in der Show bleiben wolle, müsse sie sich schon "mehr anstrengen". Der Begriff des Ekelfernsehens muss seither neu definiert werden.

Szenen wie diese haben mit Flirten nichts zu tun. Das Publikum wird vielmehr Zeuge einer emotionalen Erpressung – und das hat gewiss nichts in einer unterhaltenden Fernsehshow zu suchen, wird dabei doch nicht gerade unterschwellig die Botschaft vermittelt, man dürfte sich nehmen, was und wen man will. Wenn sich die beiden großen Privatsendergruppen demnächst also mal wieder für ihr großes Verantwortungsgefühl rühmen, sollte man sie mit den jüngsten Fehlbesetzungen von "Bachelor" und "Big Brother" konfrontieren, die Anstand und Moral vermissen lassen.

Angesprochen auf das Halbgeschwisterpaar, sorgte sich die Produzentin vor einigen Jahren bei aller Verärgerung übrigens noch um deren Wohl. "Für die Protagonisten ist dieses unbeabsichtigte Outing eine große Belastung und ich würde mir wünschen, dass sie in Ruhe gelassen werden", sagte Inga Leschek damals. Endemol und Sat.1 wollten diesmal hingegen niemanden schützen. Auch nicht das eigene Publikum.