Die letzten Worte wollen wohlweislich gewählt sein. Immerhin drückt jedes davon etwas potenziell Unwiderrufliches, buchstäblich Endgültiges aus. Wenn dem schwerstpubertierenden Tonio aus Berlin bewusst gewesen wäre, dass sein Vater drei Minuten später unvermittelt an einem Hirnschlag stirbt, hätte er ihn bei dessen missratener Silberhochzeit demnach kaum als „beschissensten Scheißvater dieser scheißverschissenen Scheißwelt“ beschimpft. Jetzt hallen die letzten Worte qualvoll nach im Kopf des 15-Jährigen, vor allem aber im weiteren Verlauf eines Sechsteilers, der sie sogar im Titel führt und dennoch viel, viel mehr thematisiert. Ach was – eigentlich alles.

Rein oberflächlich betrachtet, handeln „Das letzte Wort“ zwar von der Trauerrednerin Karla und ihrem Umgang mit dem Tod. Darunter jedoch beschreitet Netflix all jene dornenreichen, mühsamen, oft schmerzhaften, manchmal unerträglichen, am Ende meist lebenswerten Wege dorthin, die sie mit Trost und Hoffnung schmückt – zunächst in eigener Sache. Als ihr Mann 25 Jahre nach der Heirat auf dem Esstisch zusammenklappt, lernt sie nämlich durch seltsame Schlüssel, geheime Immobilien und die Tatsache, dass der Zahnarzt jahrelang nicht in der Praxis war, Stephans Zweitexistenz kennen.

Der fortgesetzte Vertrauensbruch mag daher so gar nicht mehr zur weihevollen Rede passen, die sein Bestatter beim Begräbnis über den Verstorbenen hält. Also ergreift Karla das Mikrofon, spricht Klartext und entdeckt dabei ihr verborgendes Talent, Pietät in Wahrhaftigkeit zu verwandeln und Ehrfurcht in Achtung. Damit rettet die Mittfünfzigerin allerdings nicht nur sich selbst, sondern auch das abgewirtschaftete Beerdigungsinstitut von Andreas Borowski, dem sie kurzerhand als neue Trauerrednerin mit jeder neuen Leiche im Keller frischeren Wind durch die Traditionen bläst.

Wenn dessen Sohn Ronnie unterm Berliner Zweckbau heimlich die toten Gesichter frisch gewaschener Klienten fotografiert, während sein Vater im ledersesselstaubigen Muff von „Borowski-Bestattungen“ den Übernahmeversuch der Konkurrenz abwehrt, droht „Das letzte Wort“ zum Abklatsch des morbiden Meisterwerks „Six Feet Under“ zu werden. Doch dank seines herausragenden Ensembles bis in die kleinste Episodenrollen hinein, kriegt Showrunner Aaron Lehmann nach eigenem Drehbuch frühzeitig die Kurve und macht aus der Serie ein Schmuckstück deutscher Tragikomik.

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Besonders Anke Engelke stellt ihr großes Talent zur exaltierten Gewöhnlichkeit dabei virtuos in den Dienst einer Familiengeschichte, die zwar ab und an etwas ulkig, aber nie albern gerät. Wenn es Karla im Angesicht ihrer ersten Leiche also mit den Worten „mich haut so leicht nix um“ umhaut, bedient Engelkes Humor zwar schon auch mal niedere Humorinstinkte. Im Schenkelklopferdunst solcher Pointen allerdings leuchtet Aaron Lehmanns feines Gespür für die Leichtigkeit im Trübsinn oder umgekehrt, das er mit einem Teil der Besetzung bereits in seiner gefeierten Kinoromanze „Das schönste Mädchen der Welt“ zeigen konnte.

Neben Engelke selbst zum Beispiel Thorsten Merten, der seinem Bestatter Borowski – nach eigener Idee – wunderbar trotzigen Schwermut verleiht, den dessen Frau Frauke (Claudia Geisler-Bading) mit desillusioniertem Zynismus füttert. Die Bestattersippe komplettiert Aaron Hilmer als Firmenerbe Ronnie, der unter Tage Tote präpariert und sich dabei in Karlas entfremdete Tochter Judith (Nina Gummich) verliebt, deren Bruder Tonio (Juri Winkler) neben dem frühen Verlust des Vaters auch noch nächtliche Folgen seiner Geschlechtsreife zu verarbeiten hat.

In der Art des noch viel tragikomischeren „Tatortreinigers“ verhandelt „Das letzte Wort“ mit jeder Folge also einen Todesfall wie jenen des glaubhaft verzweifelten Witwers Konstantin (Mehdi Nebbou) oder Rosalie Thomass als befreites Muttertöchterchen. Ringsum aber malt die Serie ein Sittengemälde nahezu aller menschlichen Belange, die unseren Alltag real prägen. Neben Tod und Trauer geht es dabei um Beziehung und Ehe, Tradition und Moderne, Distanz und Nähe, Wertschätzung und Rücksichtnahme, Schimpf und Schande. Vieles also, was gewöhnliches Leben ungewöhnlich macht, aber auch ganz schön anstrengend.

Ohne je esoterisch zu werden, diskutiert Karla all dies ab der dritten Folge mit dem toten Stephan in dessen geheimer Wohnung. Und ohne je didaktisch zu werden, schimmert es durch beiläufige Wortwechsel wie jenem mit Borowski am Ende ihres ersten Auftrags. „Das war gut“, meint der Profi über die etwas glückselige Feier mit Musik und Jubel. „Ich glaub, den Eltern hat’s nicht so gut gefallen“, entgegnet Karla selbstkritisch. „Man kriegt nie alle“, schlussfolgert Borowski.

Damit legt er die Messlatte für künftige Beerdigungen bewusst hoch genug, damit es nach der sechsten noch ein paar weitere geben kann. So oder so: „Das letzte Wort“ hätten definitiv eine Fortsetzung verdient.

"Das letzte Wort", ab sofort bei Netflix