Seit 2016 produziert Thilo Mischke seine Reportage-Reihe "Uncovered" für ProSieben. Es ging um Drogen auf den Philippinen, Bundeswehreinsätze in Afrika, Billigarbeit in Asien, weltweiten Schmuggel, illegalen Tierhandel, die japanische Mafia und das Regime in Nordkorea. Thilo Mischke öffnet in seinen Reportagen ein Fenster hinaus in die Welt mit all ihren Unzulänglichkeiten, immer aber auch Hoffnungsschimmern. Klassisches Reportage-Fernsehen, das uns als Publikum die Welt nach Hause bringt - auch wenn es weh tut. 15 Reportagen sind bislang entstanden, zweifach wurde er für den Deutschen Fernsehpreis nominiert.
"Rechts. Deutsch. Radikal." ist anders. Mischke öffnet kein Fenster in die Welt. Diesmal klärt er den Blick auf das Naheliegende. Diesmal endet das Unbequeme nicht mit dem Abspann. Es geht um Rechtsradikalismus in Deutschland, der zuletzt auf besorgniserregende Art und Weise normalisiert wurde durch politische Repräsentation in Form der Alternative für Deutschland und der Verharmlosung unsag- und untragbarer Parolen von "besorgten Bürgern", die sich zuletzt wieder auf den völlig wirren Demonstrationen von Corona-Leugnern präsentierten.
Dass eine Trennlinie nach rechts nicht existiert, ist eine der Botschaften von Mischkes 18-monatiger Recherche, die das rechte Spektrum in all seinen Facetten beleuchtet. Er trifft in Dortmund den Rechtsextremen Michael Brück, NRW-Landesvorsitzender der vom Verfassungsschutz als demokratiefeindlich eingestuften Partei "Die Rechte". Er begleitet Sanny Kujath, ein Gesicht der rechten Jugendgruppierung "Junge Revolution" auf einer Demonstration zum 75. Jahrestag der Bombardierung der Stadt Dresden. Er dreht auf dem "Schild und Schwert Festival", zu dem der stellvertretende Bundesvorsitzende der NPD geladen hat.
Eine Reise von Rechtsrock und alten Rechten über die "besorgten Bürger" von Pegida, Kampfsport als Rekrutierungsplattform, die politische Repräsentanz durch Parteien wie der AfD oder regionalen Splitterparteien bis hin zur Identitären Bewegung und rechten Influencern. Ein Film, der sich gegen jede Relativierung von rechtem Gedankengut stellt und zeigt, wie rechte und rechtsextreme Gruppen miteinander vernetzt sind. Was ihn bemerkenswert macht, ist das offene Visier: Fast alle Protagonisten des Films wissen, wofür gefilmt wird.
Und Thilo Mischke lässt sie zu Wort kommen. Lässt sie ausreden, auch wenn das seiner Aussage nach manchmal schwer fiel - und auch als Zuschauerin oder Zuschauer wird es schmerzhaft. Glücklicherweise findet Thilo Mischke mit einer Mischung aus gesundem Menschenverstand und journalistischer Neugier die richtigen Nachfragen, manchmal aber auch nur ein resigniertes Kopfschütteln ("Freunde, ihr seid hier ganz dicht an der Stromleitung.") Und hin und wieder wird auch subtil getrollt: Wenn er, ohne dass das weiter thematisiert wird, den Initiator rechter Kampfsport-Events in einem Muhammad-Ali-Hoodie interviewt.
Nicht nur für die ProSieben-Zielgruppe
Mancher mag kritisieren, dass er ihnen eine Bühne bietet. Aber der Film lässt nach zwei Stunden dank konsequenter Einordnung sowohl durch Mischke selbst als auch Experten im Studio keinen Zweifel an der Gefährlichkeit der rechten Szene. Gerade die unverblümten Aussagen, die sich ergeben weil Mischke dran bleibt und dann wissend von Protagonisten in die Kamera getätigt werden sowie die Dokumentation der lächerlichen Erklärungsversuche offensichtlich nationational-sozialistischer Motive und Abkürzungen heben "Rechts. Deutsch. Radikal" auf ein in dieser Intensität selten zuvor gesehenes Level - eindringlich aufbereitet für die junge ProSieben-Zielgruppe, aber nicht nur die.
Die letzte halbe Stunde wird dann - ohne zu viel zu verraten - noch einmal überraschend, mit unerwarteter Wendung und Emotionalität. Das schockierende Finale von "Rechts. Deutsch. Radikal." ist die einzige Szene, die mit versteckter Kamera gefilmt wurde und laut ProSieben die unglaublichen Aussagen eines führenden AfD-Funktionär einfängt. Brisante Aussagen, die aus dem AfD-Umfeld sicher nicht überraschen, aber in dokumentierter Form trotzdem Diskussionsstoff liefern. Aus gutem Grund hat ProSieben den Film sehr kurzfristig angekündigt - aus Sorge vor einstweiligen Verfügungen.
So schmerzhaft wie bei "Rechts. Deutsch. Radikal." war das ProSieben-Programm noch nie. Dabei war der Sender dank seiner beiden Protagonisten Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf und den ihnen geschenkten 15 Minuten zuletzt schon mehrfach Plattform für relevante gesellschaftliche Themen mit hoher Aufmerksamkeit. Mit "Galileo", "Uncovered" und einigen Spezials engagiert sich der Sender auch selbst, wenngleich Nachrichten keine große Rolle spielen bei ProSieben. Umso wichtiger - Stichwort Public Value - sind unangenehme Nadelstiche wie "Rechts. Deutsch. Radikal" zur besten Sendezeit.
"ProSieben Spezial: Rechts. Deutsch. Radikal." läuft am Montag um 20:15 Uhr