Ich möchte an dieser Stelle mal etwas loswerden. Ich werde seit einigen Jahren von Freunden und Familienmitgliedern immer ein wenig verdutzt angeschaut, wenn wir uns über Serien austauschen. In schöner Regelmäßigkeit empfehle ich, den "Club der roten Bänder" zu schauen, weil ich die Vox-Serie für eine der besten Serien in der jüngeren Vergangenheit halte. Die traurigen Momente, aber auch die vielen herzlichen Szenen gehen nah, die Serie hat damals viel gewagt und noch mehr gewonnen. Meist werde ich dann belächelt, weil sich niemand vorstellen kann, dass eine deutsche Serie über Kinder und Jugendliche in einem Krankenhaus tatsächlich so gut sein soll (und weil sich niemand mit einem vermeintlich so schweren Thema beschäftigen will). Ich komme mit meinen Argumenten meist nicht durch, aber beharre auf meinem Standpunkt: Schaut euch diese Serie an! 

Doch warum schreibe ich das hier nun auf? Nun ja: "Den Club der roten Bänder gibt es nicht mehr."

Das sagt Toni, gespielt von Ivo Kortlang, am Anfang der neuen Serie "Tonis Welt" - ein Spin-Off der einzigen erfolgreichen Fiction-Produktion von Vox. Tatsächlich ist die neue Serie keine halbe Rückkehr ins Krankenhaus zu den Protagonisten, die bei Vox zwischen 2015 und 2017 inhaltlich überzeugt und aus Quotensicht überrascht haben. In der Serie geht’s um Toni, den Autisten, der schon im "Club der roten Bänder" tolle Momente hatte und so oft für heitere Momente sorgte. In "Tonis Welt" ist das nicht anders. Der junge Mann kann keine Geheimnisse für sich behalten, er ist auch in den unangenehmsten Situationen brutal ehrlich und noch immer kann er die Gefühle seiner Mitmenschen nicht so recht deuten.

Und so tritt Toni von einem Fettnäpfchen ins Nächste, als er sich mit seiner Freundin Valerie, gespielt von Amber Bongard, dazu entschließt, ein Haus auf dem Land zu kaufen. Die beiden hatten sich schon in der letzten Staffel vom "Club der roten Bänder" ineinander verliebt. Dass Valerie das Tourette-Syndrom hat, macht die Situation für die junge Liebe nicht unbedingt einfacher. Im kleinen Dorf ist das Paar jedenfalls schon bald bekannt und erntet kritische Blicke der übrigen Bewohner. Das macht aber allen voran Toni nichts aus, der positiv in die Zukunft blickt und dabei vor allem seiner Freundin beweisen will, dass er ein echter Mann ist. Hinzu kommt, dass die beiden alleine klarkommen müssen. Valeries Mutter ist jedenfalls nicht begeistert von Toni und den Plänen ihrer Tochter. Tonis Opa ist mittlerweile gestorben. 

Erzählt wird die emotionale Geschichte, wie sich das junge Paar auf den Weg macht, nicht nur das eigene, neue Haus und die neue Umgebung zu entdecken, sondern auch im Leben Fuß zu fassen. Der gewohnheitsliebende Toni lässt seinen Job im Krankenhaus hinter sich, Valerie zieht von zu Hause aus. Aller Widrigkeiten zum Trotz ist es eine Geschichte mit einer durch und durch positiven Grundstimmung. Das hat "Tonis Welt" mit dem "Club der roten Bänder" gemeinsam. Die neue Vox-Serie ist oft emotional und dürfte sich für Fans des Originals sehr vertraut anfühlen. Dennoch werden die Zuschauer von "Tonis Welt" wohl deutlich weniger Tränen verdrücken als beim "Club der roten Bänder". Die Serie ist emotional, aber auf einer anderen Ebene als das Original. "Tonis Welt" hat weniger Tragik in sich, sondern versprüht mehr Optimismus. 

Tonis Welt © TVNOW / Martin Rottenkolber Außen hart, innen weich: Armin Rohde als Dr. Schmieta

Kortlang und Bongard spielen ihre Rolle mit einer großen Hingabe. Vor allem Valerie kann man die emotionale Achterbahnfahrt, die sich im Verlauf der Folgen auftut, im Gesicht ablesen. Und dennoch geht’s manchmal einen Hauch zu kitschig zu. Etwa dann, als das junge Pärchen ohne auch nur den Ansatz eines geregelten Einkommens einen Kredit erhält. Oder als sie beim Benzin-Klauen erwischt werden und sich die Chefs der Tankstelle als wahre Wohltäter entpuppen. Und auch als Toni später offenbar Dinge schafft, die nicht einmal ein Arzt zu bewerkstelligen weiß, ist das etwas zu dick aufgetragen. 

"Tonis Welt" schafft den schwierigen Spagat

Apropos, dieser Arzt wird ganz hervorragend verkörpert von Armin Rohde. Er ist der mürrische Allgemeinmediziner in dem kleinen Dorf, in das Toni und Valerie ziehen. Und weil Toni unbedingt bei ihm arbeiten möchte, läuft er ihm tagelang hinterher, was Dr. Alfred Schmieta überhaupt nicht in den Kram passt. "Tonis Welt" bricht, anders als der "Club der roten Bänder", nicht so sehr mit bestehenden Konventionen und so ist es keine Überraschung, dass Toni und Dr. Schmieta im Verlauf der Zeit ein ganz spezielles Verhältnis zueinander entwickeln. 

In "Tonis Welt" geht es darum, dass zwei junge Menschen versuchen, ihren Platz im Leben zu finden. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Diese Reise, mit all ihren Höhen und Tiefen, ist der Produktionsfirma Bantry Bay Productions wunderbar gelungen. Die Macher betreiben damit auch quasi Wiedergutmachung für den "Club der roten Bänder"-Kinofilm, der nicht so recht überzeugen konnte. Und auch wenn "Tonis Welt" nicht so überraschend ist wie das Original, ist es ein gutes Spin-Off, das den Spagat zwischen Altbewährtem und Neuanfang schafft. Wie beim Original fallen auch in der neuen Serie immer wieder kluge Sätze, die universell gültig sind. "Ein Zuhause ist kein Ort. Sondern die Menschen, die dort leben", ist so ein Spruch. Und so ist "Tonis Welt" ein würdiges Spin-Off, für das man Vox nur gutes Gelingen wünschen kann. Rund dreieinhalb Jahre nach dem Ende des "Club der roten Bänder" wäre dem Sender ein Erfolg in der eigenproduzierten Fiction zu gönnen. 

Vox zeigt ab sofort acht Episoden "Tonis Welt" immer mittwochs ab 20:15 Uhr in Doppelfolgen.