Dass Moderatoren einer politischen Talkshow ihren Gästen am Ende Applaus spenden, kommt eher selten vor - aus guten Gründen. Wirklich gut beraten waren Katrin Bauerfeind und Thilo Mischke daher nicht, als sie sich nach 45 Minuten am Montagabend dazu hinreißen ließen, Annalena Baerbock zuzuklatschen. Vielleicht aber war es auch bloß Ausdruck ihrer Erleichterung darüber, dass das Interview mit der frisch gebackenen Kanzlerkandidatin der Grünen, das ProSieben kurzerhand live ins Programm hievte, endlich vorbei war.

Als klar wurde, dass die Partei an diesem Montag ihre Personalentscheidung verkünden würde, hatte der Privatsender seinen Hut in den Ring geworfen und, noch vor den auf politische Fernsehinterviews geeichten Öffentlich-Rechtlichen, den Zuschlag für das erste Interview mit Annalena Baerbock bekommen. Aus Sicht der Grünen ist die Entscheidung nachvollziehbar, schließlich ist bei ProSieben jenes Publikum zu erwarten, das sonst nicht zwangsläufig zur Stammzuschauerschaft politischer Talkshows zählt. Und so dauerte es folgerichtig nicht allzu lange, bis der Hashtag #P7Spezial die Spitze der Twittercharts erklommt - noch vor #PromisunterPalmen oder #DHDL.

Die Neugierde auf die Sendung war groß, denn dass ein Interview bei ProSieben anders auszusehen hat als bei ARD und ZDF, wo solche Befragungen oft viel zu ritualisiert ablaufen, versteht sich von selbst. Daher durfte man gespannt sein, wie Bauerfeind und Mischke sich auf dem politischen Terrain schlagen würden - vor allem aber, ob sie Baerbock aus der Reserve locken und ihr mit ungewöhnlichen Fragen ungewöhnliche Antworten zu entlocken sein würden. Bauerfeinds „Geht Ihnen der Arsch auf Grundeis?“-Einwurf zählte sicher zu dieser Kategorie, mit der sich das „ProSieben Spezial" vom angestaubten „Farbe bekennen“ nachhaltig unterschied.

Tatsächlich dürfte die Grünen-Vizechefin bei einigen Fragen durchaus überrascht gewesen sein. So wie gleich zu Beginn. „Für die Grünen wurde ‚Chernobyl‘ verschoben. Das ist doch schon mal der erste schöne Erfolg, oder?“, wollte Katrin Bauerfeind wissen und wunderte sich wenig später darüber, warum Baerbock nicht gemeinsam mit ihrem Parteikollegen Robert Habeck zur Wahl antritt. Da sei ja wie beim Papst, es könne nur einen geben, merkte die Moderatorin an und fragte dann, offensichtlich mit vollem Ernst: „Ist dieses Solo-Ding nicht eigentlich gar nicht mehr zeitgemäß?“

Baerbock, sichtlich verdutzt ob der Idee, den Kanzlerposten zur Abwechslung mal als Doppelspitze auszuschreiben, sprach daraufhin vom Grundgesetz und davon, dass sie ja ohnehin nicht alleine antrete, sondern zusammen mit der Partei. Auch der Hinweis darauf, dass der frühere US-Präsident Barack Obama angesichts der stressigen Jobs „innerhalb von vier Jahren grau geworden“ sei, wie Bauerfeind anmerkte, brachte die Politikerin in der Folge ebenso wenig aus der Fassung wie die an Oliver Kahn angelehnte Frage, ob man für den Job Eier brauche - „oder Eierstöcke in Ihrem Fall“.

Etwas zu oft vergaloppiert

Das „ProSieben Spezial“ erinnerte zeitweise an ein Pendel, weil in jeder Minute die Sorge mitschwang, dass die nächste Frage der Moderatoren mal wieder ins Leere laufen würde. Tatsächlich stellte nicht nur Katrin Bauerfeind die Fragen, sondern auch Thilo Mischke - der sich, wenn er die Kanzlerkandidatin nicht vorzeitig unterbrach, auffallend zurückhielt und sich dann, wenn er wirklich an der Reihe war, leider ein wenig zu oft vergaloppierte. Ob es nun an der Zeit für einen "richtigen Lockdown“ sei, wollte er einmal wissen und übte sich im Versuch einer Korrektur, als er einen fragenden Blick des Gastes zurückgespielt bekam. „Einen vollen Lockdown“, versuchte sich Mischke, wohl „harten Lockdown“ meinend, zu retten, um dann zu kapitulieren: „Ich vergesse immer das Wort davor.“

Schade auch, dass harte Nachfragen eher die Ausnahme blieben. Dabei wäre es doch beispielsweise durchaus interessant gewesen, eine echte Antwort der Kanzlerkandidatin auf die Frage zu bekommen, wie viel denn eigentlich ein gutes Gehalt für Pflegekräfte sei. Doch nachdem Baerbock eine klare Aussage vermied, gab sich Thilo Mischke viel zu schnell zufrieden und fasste die überschaubare Erkenntnis auch noch zusammen: „Am Ende muss es ein gutes Gehalt sein. Das muss das Ziel sein für Pflegerinnen und Pfleger.“ Besser hätte es auch der Politprofi nicht ausdrücken können.

Kurios auch der Moment, als das Gespräch auf den jüngsten Besuch von Ursula von der Leyen in der Türkei kam. „Würden Sie sich auch verjagen lassen auf die Couch?“, formulierte Mischke die Frage - ganz so, als trage die EU-Kommissionspräsidentin die Schuld für die peinliche Szene und nicht etwa Gastgeber Erdogan. Doch, immerhin, das Interview hatte auch seine guten Momente, etwa jene, in dem sich Annalena Baerbock windete, Wladimir Putin in Biden-Manier als Mörder zu bezeichnen. Und als die Grüne über Milliarden-Investitionen fabulierte, fragte Mischke prägnant, woher eigentlich dieses Geld kommt. „Woher kriegen wir 50 Milliarden Euro jedes Jahr?“ Das brachte die Politikerin zumindest kurz ins Stocken.

Auch wenn das „ProSieben Spezial“ sicher nicht als Sternstunde des politischen Journalismus in die Geschichtsbücher eingehen wird, so bot die Sendung doch zumindest erfrischende Ansätze, was sicher auch dem abgeklärten Gast geschuldet war. Zu gerne hätte man gesehen, wie Angela Merkel auf die Frage nach ihren Eierstöcken reagiert. Oder ob ihr manchmal der Arsch auf Grundeis geht. Letzteres, so schimmerte es zwischendrin durch, galt an diesem Abend vor allem für die Moderatoren.

Dennoch bleibt zu hoffen, dass das Baerbock-Interview kein Einzelstück bleibt - schon alleine, weil ProSieben das Interview mit Gebärdensprache versah. Vielleicht sollte sich ProSieben schnellstmöglich darum bemühen, auch die Kanzler- und Spitzenkandidaten der anderen Parteien von Katrin Bauerfeind und Thilo Mischke befragen zu lassen. Gut möglich, dass die beiden dann deutlich lockerer, vor allem aber bissiger werden als bei der Premiere. Aufgeweckt könnte das nämlich durchaus noch was werden mit ProSieben und der Politik in der Primetime.