Norbert Himmler wird neuer ZDF-Intendant - dass die Wahl an diesem Freitag so ausgehen würde, kommt nicht überraschend. Von Anfang an galt Himmler als Favorit auf den Posten. Und er hatte von vornherein ja auch gute Argumente auf seiner Seite: Als Programmdirektor hatte er maßgeblichen Anteil daran, wie das ZDF heute dasteht: Als haushoher Marktführer, der seinen Vorsprung vor der Konkurrenz noch immer weiter ausbaut, aber auch als Sender, der sich Innovationen nicht verschließt, der früher als alle anderen Sender in Deutschland erkannt hat, wie wichtig eine starke Mediathek ist, wie wichtig beispielsweise innovative Serien sind, auch wenn diese im Hauptprogramm weniger Zuschauer finden mögen. In seiner Bewerbungsrede gab er sich trotzdem nicht selbstzufrieden, drängte auf mehr Vielfalt, auf das Erreichen auch jener Gruppen, die dem ZDF bislang fernstehen, auf Modernisierung.

Und doch verlief dieser Wahltag in Mainz anders, als man das noch vor einigen Wochen vermutet hätte. Es war keineswegs ein Start-Ziel-Sieg von Himmler - und dafür sorgte Tina Hassel. Als diese vor etwa einem Monat erstmals als Kandidatin ins Spiel gebracht wurde, rieb sich so mancher noch die Augen: Als Auslandskorrespondentin, Moderatorin, Redakteurin, als WDR-Auslandschefin und zuletzt Leiterin des ARD-Hauptstadtstudios hatte sie im Info-Bereich der ARD Karriere gemacht - mit dem ZDF hatte sie bis dato hingegen nichts zu tun. Und für einen Intendantinnen-Posten hatte man sie auch nicht so recht auf dem Schirm.

Letzteres hat sich nun grundlegend geändert. Sie legte eine sehr respektable Bewerbung für den Posten an der ZDF-Spitze vor, wobei sie den Schwerpunkt natürlich auf den journalistischen Bereich legte. Ihre Vorstellungen von einem stärkeren Dialog mit den Zuschauerinnen und Zuschauern, von "Aufmerksamkeits-Raketen", mit denen man das Publikum wieder überraschen muss, von der "Multiperspektivität" des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, der Dinge aus unterschiedlichsten Standpunkten beleuchten diese integrieren muss oder auch von Klimaneutralität oder der Bespielung unterschiedlichster Plattformen und der Zusammenarbeit mit anderen Medienhäusern (Stichwort Supermediathek), klangen durchaus überzeugend.

So überzeugend, dass die Wahl spannender wurde, als man das im Vorhinein erwartet hätte. Dass sie dank der Unterstützung des "roten" Freundeskreises nicht völlig untergehen würde, war natürlich klar, doch dass sie sich von 24 Stimmen im ersten sogar noch auf 28 Stimmen im zweiten Wahlgang steigerte, zeugt davon, wie überzeugend ihr Auftritt war. Fast 47 Prozent der Stimmen des ZDF-Fernsehrats hatte sie damit auf sich vereinen können - nach zwei Wahlgängen also fast eine 50/50-Patt-Situation mit ihrem Konkurrenten Norbert Himmler, der nur knapp die Nase vorn hatte.

Hassel verhinderte eine Hängepartie

Es hätte zu diesem Zeitpunkt also gut sein können, dass sich diese Patt-Situation auf absehbare Zeit nicht einfach auflösen würde, dass es - wie es beim ZDF in der Vergangenheit schon vorgekommen ist - zu einer Hängepartie kommt, die am Ende vielleicht nur durch eine ganz andere Kompromiss-Kandidatin oder -Kandidaten zu beenden gewesen wäre. Dass es nicht dazu kam, ist ebenfalls Tina Hassels Verdienst. Es verdient höchsten Respekt, wenn jemand erkennen kann, dass der Konkurrent zwar nur knapp vorne liegt - aber eben vorne liegt. Dass sie nach zwei Wahlgängen ihre Kandidatur zurückzog und den Weg damit für Norbert Himmler frei machte, hat allen Beteiligten diese lange Hängepartie erspart.

"Eine Wahl mit echten Alternativen ist die Krone der Demokratie. Ich reite sehr erhobenen Hauptes hier vom Hofe", sagte Hassel zu ihrem Rückzug. Sie hat recht. Und der heutige Freitag dürfte keineswegs das Ende ihre Intendantinnen-Ambitionen sein. Auch in der ARD werden in den kommenden Jahren noch einige solcher Posten vergeben. Ihre Vorstellungen von einem modernen ZDF lassen sich in großen Teilen auch auf andere ARD-Anstalten übertragen. Und die Fähigkeit, das eigene Ego nicht über alles zu stellen, sondern auch zu wissen, wann der eigene Rückzug die richtige Taktik sein könnte, ist in der vielstimmigen ARD sicher auch nicht ganz fehl am Platz.

Norbert Himmler geht jedenfalls nicht geschwächt aus dieser Wahl hervor, auch wenn es drei Anläufe gebraucht hat. In einer demokratischen Wahl gegen eine starke Gegnerin knapp zu gewinnen, ist mehr wert, als nach im Hinterzimmer vorab ausgekungelte Absprachen eine nur vermeintliche "Wahl" für sich zu entscheiden. Und deshalb sind auch das ZDF und der ZDF-Fernsehrat Gewinner dieser Wahl. Alle ARD-Anstalten sollten sich nochmal genau ansehen, wie offen jeder per Web-Stream den Geschehnissen folgen konnte. Wenn sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk so gerne Transparenz auf die Fahnen schreibt, dann muss sie dort beginnen, wo eine neue Senderspitze gewählt wird. Wahlprogramme und Bewerbungsreden gehören an die Öffentlichkeit. Denn wenn sich schon nur wenige wirklich in den Fernseh- und Rundfunkräten repräsentiert fühlen dürften, dann hat doch jeder Beitragszahler zumindest ein Recht darauf zu erfahren, aufgrund welcher Vorstellungen eine neue Intendantin oder ein neuer Intendant gewählt wurde und woran man sie oder ihn künftig messen kann.

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