Kein Jahr ist vergangen, seit Jan Hofer nach seiner letzten "Tagesschau" die Krawatte ablegte. Da ist es nur konsequent, dass er sie bei der ersten Ausgabe von "RTL direkt" am späten Montagabend einfach wegließ. Dieses kleine, eigentlich eher irrelevante modische Detail soll womöglich der sichtbare Ausdruck der Nähe zum Publikum sein, die RTL im Vorfeld versprach, als der Privatsender das Konzept der neuen Sendung beschrieb, die ab sofort an vier Abenden pro Woche in Konkurrenz zu den "Tagesthemen" laufen wird.

Dass es gar nicht so einfach ist, ein tägliches Nachrichtenmagazin auf die Beine zu stellen, stellte die Premieren-Ausgabe unter Beweis. Schon Tage zuvor hatte RTL stolz angekündigt, dass sich die Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock Hofers Fragen stellen würde. Eigentlich ein kluger Schachzug, immerhin versprach der prominenten Gast viele Schlagzeilen. Doch ausgerechnet die Aktualität machte dem Sender einen Strich durch die Rechnung, denn nicht die Frage, "wie grün" Deutschland unter einer Kanzlerin Baerbock werde und was das die Menschen mutmaßlich kostet, waren an diesem Montag das beherrschende Thema.

Nein, die schockierenden Bilder aus Afghanistan - allesamt Ausdruck einer gescheiterten Außenpolitik des Westens - dominierten die öffentliche Debatte. Da wirkte es fast wie eine lästige Pflicht, dass der an seinen etwas zu groß geratenen Moderationskarten klebende Anchor mit Baerbock zunächst nicht wie ursprünglich geplant über das angekündigte Thema reden konnte. "Wir müssen zuerst über Afghanistan sprechen", leitete Jan Hofer schließlich den Talk mit der Politikerin ein, die von Beginn an neben ihm im Studio stand - und bis zum Ende der 20-minütigen Sendung auch nicht mehr von seiner Seite weichen sollte.

Dass es nach einem kurzen Afghanistan-Talk und einem ebenso überschaubaren Überblick über weitere Nachrichten des Tages dann doch um die schon in der vorigen Woche angekündigte Fragestellung ging, ließ die Premiere von "RTL direkt" erschreckend unaktuell wirken. Fast schien es, als habe RTL der eigenen Idee eines tagesktuellen Formats selbst nicht so recht über den Weg getraut - und lieber durchgezogen, was auch morgen oder übermorgen noch hätte gefragt werden können.

Noch fehlt der Biss

Mit der Zeit konnte man gar den Eindruck gewinnen, als seien dem Nachrichtenmagazin die Nachrichten dazwischengekommen. Dabei bot die aktuelle Entwicklung in Afghanistan doch gleich zum Start die Gelegenheit, sämtliche News-Power unter Beweis zu stellen und relevanten News den Vorzug zu geben vor einem austauschbaren Interview, für das sich an diesem Montag nicht einmal Jan Hofer ernsthaft zu interessieren schien. Echten Biss ließ er jedenfalls vermissen - was jedoch auch daran liegen könnte, dass er schon als Chefsprecher der "Tagesschau" stets nur das verlas, was andere ihm aufgeschrieben hatten. Künftig wird Hofer mehr Profil benötigen.

RTL direkt © Screenshot RTL Annalena Baerbock stellt sich den Fragen von Jan Hofer - und des Publikums. Allerdings kommen nur zwei von vier ausgewählten Bürgerinnen und Bürgern in der Sendung zu Wort.

Den Tiefpunkt der Premiere markierten jedoch ausgerechnet die vorbereiteten Fragen des Publikums, die wohl die beschriebene Nähe unterstreichen sollten. Dass Annalena Baerbock letztlich nach dem Zufallsprinzip nur zwei der vier zur Wahl stehenden Fragen beantworten sollte, wirkte eher wie eine kuriose Spielerei denn wie ernsthaftes Interesse, die Zuschauerinnen und Zuschauer wirklich einzubeziehen. Auch der Satire-Block von Comedian Abdelkarim erschien am Ende dieses Tages wie ein Fremdkörper in einer Sendung, auf die auch Jan Hofers Abschiedsfloskel gemünzt sein könnte: "Machen wir das Beste draus."

Was also bleibt nach der Premiere von "RTL direkt"? Lobenswert ist der Versuch des Privatsenders, zwischen Hauptnachrichten und "Nachtjournal" zusätzlich Relevanz ins Programm zu bringen. Doch der Anspruch an ein tägliches Magazin im Hauptabend ist größer: Eigene Schwerpunkte setzen zu wollen, mag perspektivisch der richtige Ansatz sein, doch an Tagen wie diesen das alles beherrschende Thema eher pflichtschuldig abzuarbeiten, ist dann doch zu wenig - und dürfte beim "heute-journal" und erst recht bei den parallelen "Tagesthemen" vorerst keinen Angstschweiß verursachen, die bei der Aufarbeitung des Afganistan-Desasters am Montag eine um Längen bessere Figur machten.

In den kommenden Wochen und Monaten werden noch häufiger Tage kommen, an denen das Team von "RTL direkt" gezwungen sein wird, die Sendung noch Stunden oder gar Minuten vor der Ausstrahlung umzuschmeißen, weil das, was gerade in Deutschland oder der Welt passiert, wichtiger ist als das, was sich man sich einige Tage zuvor für die Sendung um 22:15 Uhr ausgedacht hat. Bleibt "RTL direkt" so unflexibel wie zum Auftakt, dann wäre das neue Magazin so verzichtbar wie Jan Hofers Krawatte.