Was schneller, geiler, krasser ist, also (um nicht peinlicherweise in den Millennials-Slang von nice bis fly zu verfallen) moderner, aktueller, besser: das angeborene Internet der Tech-Konzerne oder das späterlernte öffentlich-rechtlicher Fernsehkanäle – darüber müsste man doch eigentlich ganz gut befinden können, wenn ein waschechtes Webformat zur alten ARD wandert. Werfen wir daher mal einen Blick auf „True Demon“.

Mitte 2019, Corona war noch ein Bier unter vielen, lief die Webserie aus WDR-Produktion häppchenweise bei Youtube. Zwei- bis 14-minütige Fake-Videos einer Dorfbewohnerin, deren Freund die gemeinsame Landflucht filmt und das Publikum scheinbar unfreiwillig daran teilhaben lässt, wie ihr verschworener Freundeskreis in eine Art außerirdischer Weltverschwörung gerät. „True Demon“ war solide Mystery mit Coming-of-Age-Appeal und damit – seit „Buffy“ Ende der Neunziger nicht nur äußere, sondern auch innere Dämonen jagte – maximal zugkräftig. Zumindest in der Zielgruppe.

Denn konzipiert wurden die 46 Folgen nach Hanno von Contzens Drehbüchern für 14- bis 25-Jährige mit klarer Tendenz zu ersteren. Regisseur Jan Kühne machte daraus sodann innerlich schlichte, aber äußerlich aufgebrezelte Clips, die trotz rasant geschnittener Horrordramaturgie ebenso leichtverdaulich waren wie jene Musikvideos, mit denen Kühne und Contzen sonst ihr Geld verdienten. Anfangs noch mit Zugriffszahlen jenseits von 100.000, sackten die Zugriffszahlen zwar bald in den vierstelligen Bereich ab; dank guter Resonanz in den Kommentarspalten der Netzwerke jedoch fand das Format selbst beim Muttersender nun offenbar ausreichend Fans für eine Fortsetzung.

Wobei – Fortsetzung?

Wenn das funk-Format ab heute vom Nachwuchskanal in die erwachsene ARD-Mediathek wandert, verändert sich dessen Verpackung ein wenig, nicht aber deren Substanz. Anstatt die Geschichte weiterzuerzählen, wurde demnach nur die Schnittfrequenz „auf ein übliches Normalmaß heruntergefahren und die Dramaturgie verdichtet“, wie WDR-Redakteurin Sophie Seitz ihr Spin-Off beschreibt. Weil so angeblich „mehr Zeit für Spannung und Emotionen“ bleibt, lade der Achtteiler folglich erst jetzt zum Binge-Watchen ein oder wie es die einstige „Lindenstraßen“-Beauftragte in schönstes Boomer-Deutsch übersetzt: „Zum in einem Rutsch weggucken.“

Wer exakt das ohne tiefere Vorkenntnis der Ursprungsversion tut, könnte jetzt meinen: schnelle, geile, krasse Story, also moderner, aktueller, besser als Science-Fiction traditioneller Bauart und buchstäblich, um es mit dem Jugendwort des Jahres auszudrücken: cringe! Die 21-jährige Dorfschönheit Anna (Olivia Burkhart) wohnt bei ihrem Vater in einer nicht näher spezifizierten Provinz und schildert auf ihrem Vlog, wie sie gemeinsam mit Kumpel Ben (Marcel Kowalewski) in die nächstgrößere Stadt zieht.

Zuvor allerdings entdeckt sie auf dem Dachboden ein Foto mit sich als Baby im Arm ihrer angeblich bei der Geburt gestorbenen Mutter. „Da denkt man, das Leben wäre nice und easy“, erzählt sie ihren Followern, „und dann so ein Fuck“. Weil Papa schweigt und die Neugier siegt, fährt Anna auf der Schweden-Reise ihrer WG im Wohnmobil dort vorbei, wo eine Geolokalisierungsapp den Bildhintergrund der geheimnisvollen Aufnahme verortet. Kluges Internet. Dummerweise führt es das Quartett in einen Wald voll bedrohlicher Menschen und Monster, die gleich mal Annas beste Freundin (Anne-Marie Topel) entführen.

Gemeinsam mit Lukas (Justus Johanssen) und Ben, sucht die Ex-Halbwaise nun nach Jess und findet immer mehr Hinweise, dass sie Teil einer menschlich koordinierten Alien-Invasion ist. Mit ständigen Social-Media-Monologen ins Objektiv der wackelnden Handkamera, orientiert sich die Mockumentary spürbar an „Blair Witch Projekt“ oder dem Low-Budget-Blockbuster „Paranormal Activity“, angedickt mit etwas „Stranger Things“ und der deutschen Webserie „Wishlist“ – wobei letztere leider stilistisch prägender ist als erstere.

Trotzdem badet „True Demon“ achtmal 20 Minuten lang nur gelegentlich im genreüblichen Sprudelbad der Effekthascherei. Raschelnde Drehbuchstanzen von „ich hab‘ irgendwie ein komisches Gefühl“, wenn irgendwas gefühlsmäßig irgendwie komisch ist, bis zum notorischen „hier lang!“, das irgendwer immer sagt, wenn er (selten: sie) mit irgendwem gerade irgendwo lang flieht, wechseln sich zwar ab mit berechneter Horrorarithmetik von Dorfjugendlichen im Kreuzberg-Outfit, die gern mit Taschenlampenlichtkegeln im Bodennebel stochern. Aber das ist ebenso okay wie ihr Drang, ständig exakt dorthin zu laufen, wo es bedrohlich ist, damit aber stets zu warten, bis es dunkel wird.

Effekte zu haschen ist schließlich nicht nur Mittel, sondern Zweck von Schauderfiktionen. Und dass der globalisierte „Spuk in Hill Haus“ oder „Bly Manor“ fast ohne Schockmomente Grauen erzeugt, kann man Lokalprodukten wie diesem, das günstiger ist als jeder Netflix-Vorspann, kaum zum Vorwurf machen. Anzukreiden ist dem WDR allenfalls, wie er die kaum veränderte Mediatheken-Kopie als Rundumerneuerung feiert, nur weil das Original um einige Szenen und echte Orchestermusik ergänzt wurde. Dabei wäre etwas mehr Feinschliff vor allem der Hauptdarstellerin gerechter geworden. Olivia Burkhart nämlich hat die Kunst gescripteter Authentizität so verinnerlicht, dass man ihr die Influencerin bis zum Ende glaubt.

Alle Folgen von "True Demon" stehen in der ARD-Mediathek zum Abruf bereit.