Fernsehen bleibt bekanntlich zumeist dann in Erinnerung, wenn es seine Zuschauerin und seinen Zuschauer mit Gegebenheiten konfrontiert, die nicht alltäglich sind – oder an Orte mitnimmt, die sonst schwer zugänglich sind. Letztlich lässt sich so der über die Jahre aufkommende und mitunter auch wieder abebbende Erfolg von Krankenhausformaten, Reisemagazinen und diversen Dokustoffen erklären. Die neue Kabel-Eins-Sendung "Berlin hinter Gittern" setzt genau an diesem Punkt an und wird nicht müde zu betonen, dass man exklusiv und erstmals die Gelegenheit hatte, mehrere Anwärtinnern und Anwärter zum Justizvollzugsbeamten über drei Monate lang hautnah im Dienst zu begleiten. Es sind ungeschminkte und des Öfteren aus rechtlichen Gründen verpixelte Eindrücke, die die Produktionsfirma Just5Media in vier zweistündige Folgen verarbeitet hat. Gedreht wurde sowohl mit vor Ort tätigen Kamerateams, immer wieder aber auch mit am Mann oder Frau angebrachten Bodycams.

Es sei immer eine kleine Überraschung möglich, wenn man die Tür zum Raum eines Inhaftierten öffne, wird relativ zu Beginn des Formats gesagt. Im Knast müsse man mit Vielem rechnen, oder anders gesagt: Man stecke nicht drin, in den Inhaftierten. Die Männer könnten beispielsweise "einen schlechten Brief bekommen haben", warnen die Praxisanleiter. Mit genau diesem Nervenkitzel spielt die Produktion – genau dieser Spannungsbogen wird letztlich auch über die Off-Kommentare bedient. Die dienstäglichen Blaulicht-Dokus von Sat.1 haben es vorgemacht, wie Cliffhanger auch in dokumentarischen Stoffen dafür sorgen, dass die Motivation, im Programm zu verweilen, steigt und Spannung auch über Fore-Shadowing erzeugt wird. "Auch Paul weiß noch nicht, dass…", "Noch ahnt Jana nicht, dass…", oder "Alev soll im Ernstfall funktionieren wie ein Uhrwerk. Doch sie wird noch ihre Probleme bekommen", sind nur einige Beispiele für Teaser auf kommenden Bilder. Teaser, die sich zumindest bezogen auf die Auftaktfolge als meist konstruiert-dramatisch entpuppen.

Allein in den sieben Justizvollzugsanstalten habe es im vergangenen Jahr 46 Übergriffe auf Beamte gegeben, wird im Laufe der Sendung erwähnt. Das ist also grob einer pro Woche. Man muss erleichtert sein, dass zumindest die erste Episode ohne diese Form der Action ausgekommen ist. Zu sehen sind stattdessen Übungseinheiten von Auszubildenden bei der Haftraumstürmung und harmlose Essensausgaben. Das Format funktioniert trotzdem – weil es für ungewöhnliche Einblicke sorgt. Da ist etwa ein Häftling, der verbotenerweise seine Fenster mit einem zerschnittenen Betttuch abgehängt hat. Knapp 5,70 Euro kostet ihn die Beschädigung, zudem gelte es, immer einen Blick auf die (hoffentlich) unbeschädigten Gitter vor den Fenstern zu haben, klärt ein Beamter auf. Beim generellen Öffnen einer Tür zu einem Haftraum gehe Eigensicherung immer vor, heißt: Fuß direkt ran an die Tür.

Sehr präzise ist zu sehen, mit welchem Respekt gerade die jungen Frauen der kommenden Aufgabe gegenüberstehen, und auch erste Probleme werden angedeutet, etwa in dem Moment, als die 21 Jahre alte Jana über den Hof läuft und ihr aus einer Zelle das Wort "Hure" zur Begrüßung zugerufen wird. Über die gut 90 Minuten gestaltet sich die Auftaktfolge von "Berlin hinter Gittern" dahingehend statisch, als dass der Zuschauende viele Einarbeitungsschritte und Lernprozesse der Beamtinnen und Beamten mitverfolgt. Drei Inhaftierte kommen zudem ausführlicher zu Wort: Ein junger Mann, der im Drogenstreit zustach, ein Mörder eine transsexuelle Frau, die im Männerknast sitzt, weil sie offiziell noch als Mann gilt. 

Die ganz schweren Jungs

Dass in der JVA Tegel die "ganz schweren Jungs" einsitzen, wie der Off-Sprecher mehrfach in dieser Folge aufsagt, mag zweifelsfrei stimmen, doch die gesendeten Bilder zeigen ein gesittetes Bild der Justizvollzugsanstalt. Dass es durchaus noch wilder werden wird, hat einzig ein kurzer Teaser ganz zu Beginn des Formats gezeigt, der einen Moment zeigt, als es in der Tat den Anschein hatte, dass Hektik herrsche. Die Kacke sei am Dampfen, hört man jemanden rufen.

Hinter jeder Tür und um jede Ecke ist eben mit Überraschungen zu rechnen. Wer sich dessen bewusst ist, der kann sich auch nicht über mangelnde Spannung beklagen, wenn nichts aus dem Ruder läuft. Insofern bietet "Berlin hinter Gittern" zwar weniger dramatische Einsätze als etwa "Lebensretter hautnah" (Sat.1), bleibt aber allein wegen des Handlungsortes doch packend. Und für Kabel Eins stellt die Sendung eine gelungene Erweiterung des Dokugenres da, in das der Sender unter anderem mit "Die Klinik" schon vorgedrungen war.

Kabel Eins zeigt "Berlin hinter Gittern" ab 18. November 2021. Zu sehen ist das Format immer donnerstags ab 20:15 Uhr.