Unternehmern kann man nicht über den Weg trauen. Sie sind zwielichtige Gestalten, die rücksichtslos auf den eigenen Vorteil bedacht sind und dafür zur Not über Leichen gehen. Schlimmer sind nur noch Unternehmerfamilien: per se dysfunktional, mindestens ein uneheliches Kind, unter der scheinbar harmonischen Oberfläche von Neid zerfressen und von Erbstreitigkeiten zerrüttet. Die deutsche TV-Fiction hat da seit Jahr und Tag ein klares, klischeebeladenes Bild, von dem sie ungern abrückt. Funktioniert halt zu gut, wenn der Krimi gleich mehrere Verdächtige unter einem Dach sowie eine Atmosphäre voller Abgründe aufweisen kann. Ist aber leider auf Dauer wenig originell und Lichtjahre vom "Succession"-Level entfernt.

"Mord in der Familie – Der Zauberwürfel" hätte außergewöhnlich gut werden können, wäre es nicht wieder einmal den uralten Stereotypen erlegen. Dabei war es mit Linda Ung doch eine schwedische Autorin, die sich die Geschichte vom Kölner Baulöwen Henry Becker und dessen zerfallender Familiendynastie ausgedacht hat. Der Vierteiler ist Krimi und Familientragödie in einem: Nach dem Einsturz eines Neubaus kurz vor Einzug der Bewohner steht der Ruf des Traditionsunternehmens Becker & Sohn auf dem Spiel. Was tut also der Patriarch? Spielt nach allen Regeln der Kunst seine beiden Söhne Eric, verantwortlich für die Statik, und Thomas, zuständig für die Stahlbeschaffung, gegeneinander aus. Einer soll den Kopf hinhalten. Am Ende wird Thomas ermordet – das zeigt die Miniserie bereits ganz am Anfang.

Das Erzählkonstrukt ist raffiniert und erzeugt Spannung. Ständig springt die Handlung zwischen zwei Zeitebenen hin und her: dem Mord am Neujahrsmorgen mitsamt den anschließenden Kriminalermittlungen sowie der familiären Abwärtsspirale in den Wochen zuvor. Das Publikum wird zur Aufmerksamkeit herausgefordert, wenn es den vielen Verschachtelungen und Perspektivwechseln folgen will. Ein weiteres Plus ist, dass Ung jegliche eindeutige Aufteilung ihrer Hauptfiguren in Gut und Böse vermeidet. Jeder und jede macht sich irgendwie schuldig. In dieser Hinsicht hat die Autorin also ganze Arbeit geleistet, die weit über Durchschnittskrimi liegt.

Mord in der Familie – Der Zauberwürfel © ZDF/Wolfgang Ennenbach Blutroter Porsche im Schneetreiben: Thomas Becker (Matthias Koeberlin) muss gleich am Anfang sterben

Was Regisseur Michael Schneider, unterstützt von Andreas Zickgraf (Kamera) und Jörg Kroschel (Schnitt), aus dem Stoff herausholt, kann sich wahrhaft sehen lassen. Das fängt mit dem visuell vielversprechenden Prolog an, in dem der sichtlich derangierte Unternehmersohn in seinem blutroten Oldtimer-Porsche durch das unwirtliche Schneetreiben gleitet und aus nächster Nähe erschossen wird. Es schließen sich clever komponierte Bilder und Einstellungen an, die oftmals gerade genug preisgeben, damit man als Zuschauer die Illusion hat, man könne Zusammenhänge herstellen, nur um wenig später durch veränderte Perspektiven eines Besseren belehrt zu werden.

Vor der Kamera agiert ein echtes A-Team: Für Heiner Lauterbach ist der Patriarch Henry Becker so etwas wie eine Paraderolle, die er in all ihrer Skrupellosigkeit auslebt, ohne feine Anflüge von Zweifel zu übertünchen. Matthias Koeberlin (Thomas) und Lucas Gregorowicz (Eric) bespielen ihr Kain-und-Abel-artiges Brüderpaar mit dem vollen Spektrum zwischen Wut, Hass und vergeblicher Suche nach Liebe. Die überragendste, weil durchlässigste Leistung geht jedoch aufs Konto von Petra Schmidt-Schaller, die in der Rolle der Katharina – Thomas' zusehends engere Bekanntschaft bei den Anonymen Alkoholikern – einen menschlich-warmherzigen Kontrapunkt liefert.

Dass "Mord in der Familie" trotz allem nur ziemlich gut statt außergewöhnlich gut geworden ist, liegt an den klischeetriefenden Minuspunkten: Wer die einschlägige TV-Grammatik der Darstellung tragischer Unternehmerfamilien seit frühen "Derrick"-Tagen kennt, wird von der innerfamiliären Dynamik, von unvermeidlichen Alkohol-, Droh- und Eifersuchtsanfällen oder vom ewig stillen Leiden der 'Trophy Wife' bis zum plötzlichen Ausbruch auch hier wenig überrascht sein.

"Mord in der Familie – Der Zauberwürfel", als Vierteiler in der ZDF-Mediathek. Als Zweiteiler am 27. und 28. Dezember um 20:15 Uhr im ZDF.