Kollektive Heldenverehrung hat den Durchmarsch von Start-up-Gründern wie Elizabeth Holmes, Adam Neumann und Travis Kalanick begünstigt, einschließlich aller mit ihnen verbundenen Schattierungen von Betrug, Manipulation und Hybris. Es ist also journalistisch korrekt und psychologisch heilsam, mit Abstand die Fehler aufzuarbeiten, die bei den einstigen Tech-Hype-Phänomenen Theranos, WeWork und Uber gemacht wurden. Zufall oder nicht: Drei Drama-Serien, die auf zwei Podcasts und einem Sachbuch basieren, kamen fast zeitgleich im März auf den US-Markt. Die beste der drei, "The Dropout", startet jetzt auch in Deutschland auf Disney+.

Während "WeCrashed" (auf Apple TV+) trotz Star-Power mit Jared Leto und Anne Hathaway als Adam und Rebekah Neumann seine Form zwischen Nacherzählung und Satire nie so ganz findet, weiß die Showtime-Serie "Super Pumped: The Battle for Uber" (hierzulande noch nicht verfügbar) mit Joseph Gordon-Levitt als Kalanick immerhin durch ihre poppig-analytische Erzählweise zu überzeugen. Allein "The Dropout" mit Amanda Seyfried als Theranos-Chefin Holmes gelingt es, in der Fiktionalisierung echten Mehrwert zu schaffen, der über authentische Faktenwiedergabe hinausgeht.

Als Serien-Antiheldin ist die Realvorlage Elizabeth Holmes eine Wucht: Diese enigmatische junge Frau mit ihren weit aufgerissenen Augen und ihrer tiefen, heiseren Stimme hat es geschafft, die wichtigsten Silicon-Valley- und Wall-Street-Akteure davon zu überzeugen, sie sei die Zukunft des Gesundheitswesens. Theranos versprach nicht weniger, als die herkömmliche Blutabnahme mit Nadel und Kanüle obsolet zu machen. Stattdessen sollte ein Tropfen Blut aus dem Finger reichen, um per Schnelldiagnose in einer handlichen Wunderbox jegliches Krankheitsrisiko festzustellen. Amerikas größte Drogeriemarktketten rissen sich darum, die vermeintliche Revolution als erste anbieten zu können. Das Start-up schoss auf eine Bewertung von neun Milliarden Dollar hoch, obwohl es nicht mal einen funktionierenden Prototyp hatte.

"The Dropout" folgt Holmes von ihrer Jugend als überambitionierte Tochter eines in Ungnade gefallenen Enron-Managers über die nervenaufreibende Zeit während ihres abgebrochenen Stanford-Studiums bis zum kompromisslosen Aufbau von Theranos. Als erzählerischer Rahmen dienen Verhörszenen aus dem Betrugsprozess gegen Holmes, der Anfang des Jahres mit vier Schuldsprüchen und einem potenziellen Strafmaß von bis zu 20 Jahren Gefängnis endete. Showrunnerin Elizabeth Merriwether, die Schöpferin des Comedy-Hits "New Girl", beweist hier eine enorme Spannbreite, indem sie Pathos und Absurdität des Stoffs gleichermaßen auskostet, sowohl der ernsthaften Tragik hinter dem Medizinbetrug als auch der unvermeidbaren Schadenfreude gegenüber leichtgläubigen Investoren gerecht wird.

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Dass man der wahrlich verrückten Geschichte trotz Kenntnis ihres realen Verlaufs über alle acht Episoden mit echter emotionaler Spannung folgt, ist der vermutlich besten schauspielerischen Leistung in Amanda Seyfrieds bisheriger Karriere zu verdanken. Sie selbst stellte unlängst in einer Talkshow fest, dass "The Dropout" die erste Produktion sei, in der sie nicht mehr oder weniger eine Variation ihrer selbst spiele. Seyfried stattet ihre Figur mit manischem Antrieb und verzweifeltem Siegeswillen aus und schafft es dadurch, Holmes menschlich fassbar zu machen, ohne ihr Tun zu rechtfertigen. Ihre Darstellung changiert je nach Situation zwischen kaltem Vorsatz und wahnhaftem Hineinsteigern in die selbst geschaffene Illusion; sie lässt jene einzigartige Anziehungskraft spüren, der die vielen Förderer und Geldgeber in der Realität erlegen sein müssen.

Neben Seyfried glänzt ein hervorragendes Star-Ensemble: Naveen Andrews gibt den manipulativen Geschäftsmann Sunny Balwani, Theranos-COO und Holmes' heimlicher Lebensgefährte, mit schillernder Mischung zwischen liebevoller Aufopferung und bedrohlich gekränkter Eitelkeit. Stephen Fry agiert leise und herzzerreißend als Theranos' anfänglicher wissenschaftlicher Leiter Ian Gibbons, eine überforderte Stimme der Vernunft. Unerwartet kraftvolle Gegenspieler erwachsen der Hauptfigur aus Laurie Metcalf und William H. Macy als oftmals cartoonhaft trockenen, unbeirrbaren Medizinern, die früher als alle anderen Skepsis an den Tag legen. Als Lehrstück für gesunden Menschenverstand wie als erstklassige Unterhaltung ist diese Serie unbedingt empfehlenswert.

"The Dropout" läuft bei Disney+