Ob eine Leiche im Keller nun schlimmer ist als ein Keller unter Wasser, hängt stark von Leiche, Keller, Wasserstand ab. Am „Wendehammer“ im fiktiven Provinznest Greubstadt gilt daher ab heute: Solange der Keller mit Leiche geflutet ist, bleibt alles in bester Ordnung – wäre der Keller kein See, auf dem vier Frauen sie einst versenkt haben. Weil sein Pegel langsam zu sinken beginnt, befördert er die Leiche allerdings Richtung Tageslicht – und verleiht somit einer ZDF-Serie Auftrieb, die mindestens überraschend ist, tendenziell gar famos.

Benannt nach der gleichnamigen Sackgasse mit erleichterter Umkehrmöglichkeit, entpuppt sich „Wendehammer“ im Anschluss an die (relativ plakative) Vorstellung seiner wichtigsten Anwohnerinnen nebst Anhang schließlich als Ensemblestück mit verblüffendem Tiefgang. Die zweifache Mutter Meike (Meike Droste) ist zum Beispiel ein Klischee der emigrierten Großstädterin mit Lastenfahrrad im Halbgrünen, die in ihrer gleichförmigen Neubausiedlung um Kita-Plätze und Selbstachtung kämpft.

Ihr exaktes Gegenteil ist dagegen die kinderlose Lokaljournalistin Nadine (Friederike Linke), deren Verschuldung sogar noch größer ist als das Durcheinander ihrer Fernbeziehung. Mehr Ordnungssinn, vor allem aber: mehr Geld und Teenager im gediegen möblierten Heim hat dagegen die kontrollsüchtige Hockey-Mum Franzi (Susan Hoecke) mit Hygiene- und Tortenfimmel, während Klinikärztin Samira (Elmira Rafizadeh) anders als ihr Mann zwar Karriere machen, aber keine Kinder will. Dieses Konglomerat allein würde für eine der Realsatiren mittelständischer Mikrokosmen, die RTL+ erst Anfang der Woche um den Münchner „Herzogpark“ erweitert hat, bereits dicke ausreichen.

Wie dort kommt allerdings noch irgendwas Kriminelles hinzu, um deutsche Fiktion ein wenig näher an internationale Vorbilder heranzurücken. Hier ganz unverkennbar: „Desperate Housewives“, die ähnlich symbolische wie wahrhaftige Leichen im Keller ihrer Fantasievorstadt hatten. Welche es am „Wendehammer“ sind, soll aus Spannungsgründen nicht weiter vertieft werden. Nur so viel: Das überdimensionierte Golfplatzprojekt des „Sonnenkönig“ genannten Investors Markus Steinert (Heikko Deutschmann) droht dem angrenzenden See das Wasser abzugraben und somit die Leiche im Keller der vier Schulfreundinnen freizulegen – was sie mit aller Kraft verhindern wollen. Und müssen. Denn das Skelett am Grund taucht mit jedem Cliffhanger ein Stück weiter auf.

Keine männlichen Klischees im Bett

Regisseurin Ester Amrami, beruflich in der „Lindenstraße“ gereift, macht die Drehbücher von Alexandra Maxeiner, bekannt für leichte Familienkost vom „Pubertier“ bis „Pinocchio“, also zum psychosozialen Gesellschaftsporträt mit morbidem Humor. Dass die kreativ (und finanziell) Verantwortlichen bis zur Producerin Diana Hook ähnlich wie ihre Hauptfiguren meist weiblich sind, ist da kein Zufall. „Wendehammer“ wird ja nicht nur aus Perspektive von Frauen erzählt, die auf variable Art am gesellschaftlichen Anspruch multitaskingfähiger Care-Companies scheitern; anders als im Filmgeschäft üblich, brauchen sie dafür auch keine männlichen Klischees im Bett, um weibliche zu dekonstruieren.

Weder Samiras fortpflanzungsfixierter Mann Martin (Jonas Laux) noch Nadines per Zoom präsenter Freund Hannes (Timo Jacobs) oder Meikes achtsamer Ronny (Aram Tafreshian), ja noch nicht mal der leicht übertriebene Tennis-Snob Kai (Max von Pufendorf) an Franzis standesbewusster Seite müssen demnach krampfhaft jene Testosteronspiegel symbolisieren, die wahre Gleichberechtigung selbst im postheroischen Jahr 2022 noch erschweren. Nahezu perfekt ist diesbezüglich Hyun Wanner als Vater des Kindes der zugezogenen Langzeitstudentin Julia (Alice Dwyer) besetzt. Mit Ledertasche, Würde, Wohlstandsbauch hilft Felix, ihre Profilneurosen als erfolgloser Spross einer Anwaltsdynastie mit Anschlussschwierigkeiten am Wendehammer zu kompensieren.

Wann immer diese Figuren interagieren, fehlt deshalb der pädagogische Impuls deutscher Autoren und Regisseure, jedes Wort, jede Gestik, jeden Blick mit Bedeutung zu überfrachten. Wenn Samira Martin beim Frühstück wie so oft die Vermehrung ausreden will, antwortet er auf ihren Einwand gegen das Kinderkriegen, „ich bin das einfach nicht“, nur tonlos „aber ich bin das“ und panzert sich danach mit Schweigen statt Widerspruch. Wenn sie dem Krankenhaus-Kollegen Dr. Tauber (Marc Ben Puch) sodann das Konkurrenzgehabe um die Oberarztstelle mit dem Vorwurf „zwanghaft Dinge zu kommentieren, die Sie nichts angehen“ an den Kopf wirft, reagiert er mit „haben Sie mich gerade pathologisiert?“, also klug, nicht stereotyp.

Der kommunikative Faden zieht sich so präzise durch die ersten vier Teile, dass Knalltüten wie Bürgermeister Fischer (Aykut Kayacik) so wenig ins Gewicht fallen wie dramaturgische Stanzen. Die elegante Lokalredaktion etwa, in der Volontärin Mona (Nele Trebs) den Geheimnissen am Wendehammer näherkommt, passt eher in Metropolen der Nullerjahre als Kleinstädte von heute. Und ein Postbote, dessen Katzenhaarallergie dem Schäferstündchen mit Nadine zuvorkommt, ist eher ulkig als zielführend. Macht aber nix: Die Konzentration, mit der das angemessen (nicht übereifrig) diverse Team unsere Multioptionsgesellschaft in einen Cold Case rührt, ist 45 Minuten pro Folge sehenswert. Selten war die Leiche im Keller einer Primetime-Komödie aus öffentlich-rechtlicher Produktion unaufdringlicher.

Alle sechs Folgen von "Wendehammer" stehen in der ZDF-Mediathek zum Abruf bereit. Das ZDF zeigt sie im linearen TV ab dem 12. Mai donnerstags um 20:15 Uhr in Doppelfolgen.