Die Deutsche Telekom hat am Freitag einen neuen TV-Spot zur Kampagne #GegenHassimNetz veröffentlicht, der sehr emotional auf die Vernunft der Mehrheit setzt. Die wunderbare Botschaft: „Lasst uns den 5%, die Hass verbreiten, zeigen, wie laut 95% sein können.“ Es ist eine erfrischende Variation unter den zahlreichen wichtigen Kampagnen, die sich mit Hass im Netz befassen, weil sie den Hebel woanders ansetzt: Sie versucht nicht diejenigen zu erreichen, die mit Idiotie oder Auftrag ohnehin unbeeindruckt weiter Hass im Netz verbreiten.

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Viel mehr geht es um Rückendeckung für alle Menschen, die Opfer von Hass im Netz geworden sind. Eine noch so tolle Kampagne kann nicht mal eben das Übel selbst aus der Welt schaffen, aber den Blickwinkel ändern: Es sind wenige, die das Netz für Hass nutzen. Es liegt an den 95 Prozent, die es nicht tun, die Stimme der Vernunft zu erheben. Hass im Netz soll damit nicht klein geredet werden, wohl aber ins Verhältnis gesetzt werden: Nur weil Hass oft multipliziert wird, heißt es nicht, dass er Mehrheitsmeinung ist.

Dass Stimmungsmache im Netz - bis hin zur Hetze und Hass - überhaupt die große Bühne bekommen, ist über Jahre hinweg eben auch vielen Online-Redaktionen zu verdanken, deren Chefredaktionen journalistischen Anspruch durch Clickbait ersetzt haben und tausendfach Beihilfe zur Eskalation liefern. Hass im Netz groß gemacht - das haben eben auch viel zu viele Journalistinnen und Journalisten, wenn eine Sammlung von drei oder vier meinungsstarken Tweets schon reicht, um „die Stimmung im Netz“ repräsentieren zu wollen.

Was bei harmlosen Themen einfach nur journalistisch irrelevanter Quatsch wäre („Das denkt das Netz über Klums neue Frisur“), kann sehr persönlich werden, wie es neben Klum auch u.a. Helene Fischer schon oft genug erlebt hat. Auch People of Color oder Mitglieder der LGBTIQ+-Community. Es geht natürlich nicht darum, Hass im Netz zu verschweigen, aber er bekommt oft eine unverhältmäßige Bühne und wird mit Aussicht auf Clicks, Clicks, Clicks einfach nur reproduziert und eben nicht ins Verhältnis gesetzt.

Nicht nur Hass gegen einzelne Personen wird gerne kultiviert. Auch bei sehr emotionalen politischen Themen, die zur Stimmungsmache neigen, lässt sich mit wahllosen Tweets oder Kommentaren von einer lächerlich kleinen Zahl anonymer Accounts wirklich jede Schlagzeile rechtfertigen: Das denkt das Netz über“ oder gleich „Das sagt Deutschland zu“. Diebisch scheinen sich manche Redaktionen zu freuen, wenn dank irrelevanter Tweets oder Facebook-Kommentare auch noch zugespitzte Schlagzeile dichten lassen, die man sich selbst nicht erlaubt aber mit Verweis auf anonyme User zitiert.

In den 80er und 90er Jahren waren es die Straßenumfragen, mit denen Praktikantinnen und Praktikanten von Zeitungen, Radiostationen und Fernsehsendern in den Fußgängerzonen Stimmungsbilder einfangen sollten. Hochgradig manipulativ, weil das Publikum kein Gespür dafür hat, ob die veröffentlichten Aussagen repräsentativ sind. Entsprechend wurden solche Umfragen auch nie ernst genommen. Aber eine Handvoll anonymer Tweets sind jetzt repräsentativ? Taugen als Überschrift im Netz neben harten Nachrichten?

Natürlich ist zwischen Häme und Hass auch nochmal ein Unterschied. Auch zwischen der Abarbeitung an Menschen mit Medienöffentlichkeit und privaten Einzelpersonen, aber verknappte Botschaften in den sozialen Medien lassen die Grenzen sehr schnell zu Gunsten der Eskalation verschwimmen. Vieles davon würde eigentlich ungehört verhallen, ob nun in die Welt gesetzt von Intelligenzallergikern oder engagierten Trollen. Viele dieser Accounts auf Twitter oder Facebook haben sehr wenige Follower oder Friends. Deswegen ist die unreflektierte Multiplikation durch Medien ohne jede Verhältnismäßigkeit erst das, was es groß macht.

Jene Verhältnismäßigkeit, die die neue Telekom-Kampagne betont: Die Idioten sind in der Minderheit, die Mehrheit nur oft nicht laut genug um als solche wahrgenommen zu werden. Doch nur wenige Tweets einer meist anonymen Minderheit sind schon viel zu lange Grundlage für viele Clickbait-Medien, Geschichten und Stimmungen herbei zu schreiben. Medien-Deutschland hat deshalb ständig Puls und das zu oft deshalb, weil es verantwortungslos unreflektiert den hasserfüllten 5 Prozent mehr Bühne gibt als den 95 Prozent.