Als inoffizielle Mitarbeiterin der Staatssicherheit erledigt Kleo (gespielt von Jella Haase, „Fack Ju Göhte“) jene Aufgaben und Personen, die der DDR im Gesamten und ihrem Großvater als hohem Tier im Apparat ein Dorn im Auge sind. Bei einem Auftrag in West-Berlin wird sie vom West-Berliner Polizisten Sven (Dimitrij Schaad) beobachtet. Während er sich jedoch schwer tut, einige Dienstgrade über ihm Gehör zu finden, wird Kleo - sich keiner Schuld bewusst - in der DDR kaltgestellt und ins Gefängnis gesteckt. Drei Jahre später ist die Mauer, die DDR in Trümmer, Kleo wieder auf freiem Fuß - und rachsüchtig.

Der Einstieg der neuen Netflix-Serie „Kleo“ transportiert uns einerseits mit Liebe zum Detail, andererseits aber wesentlich flotter erzählt als viele bisherige Wende-Dramen zurück in die Zeit deutsch-deutscher Geschichte, die doch längst auserzählt schien. Doch glücklicherweise ist die achtteilige Serie - erfunden vom Autorentrio Haribo, also Hanno Hackfort, Richard Kropf und Bob Konrad und geschrieben zusammen mit Elena Senft -  kein bedeutungsschwangerer Geschichtsunterricht sondern ein Abenteuer für sich und immer etwas drüber. „Larger than life“ könnte man sagen. Oder wie es die Autoren formulieren: „‚Kleo‘ ist die Verfilmung eines Comics, den es nie gab.“

Auf der Jagd nach Antworten und Verantwortlichen für ihre Kaltstellung wütet Kleo durch ein Deutschland im Ausnahmezustand jener Monate zwischen Mauerfall und Wiedervereinigung als alles möglich schien und nichts gewiss war. Während westdeutsche Abenteurer günstigen Wohnraum in Ost-Berlin entdecken um dort und in PopUp-Clubs dem entstehenden Techno zu fröhnen und manche ostdeutschen Funktionäre plötzlich den Reiz am hemmungslosen Kapitalismus entdecken, kann Kleo noch nicht nach vorne blicken. Manchmal ist schwer zu sagen, ob sie der Zusammenbruch einer Ideologie für die sie mordete oder der mysteriöse Verrat mehr schockieren.

„Kleo“ ist eine Jagd, wobei mit jeder Minute deutlicher wird, dass nicht so deutlich ist, wer eigentlich wen jagt und warum. Der westdeutsche Polizist Sven bekommt Jahre nach seiner Beobachtung von Kleos Einsatz eine ostdeutsche Akte in die Hände und erkennt sie wieder. (Zu) vehement verlangt sein West-Berliner Chef, die Sache ruhen zu lassen. Doch Sven will beweisen, dass er sich nicht geirrt hat - und macht sich auf Kleos Spuren. Immer komplexer entspinnt sich dann eine Geschichte über Motivationen und Befehlsketten, über Loyalität und Gier. Besonderen Charme bekommt das Verhältnis von Kleo und Sven, deren Wege sich kreuzen. In diesen Momenten erinnert die neue deutsche Netflix-Serie an „Killing Eve“, wo Anziehung und Faszination zwischen Jägerin und Gejagter auch elementar war.

„Kleo“ is not your daddys Wendedrama

Im weiteren Verlauf ändert „Kleo“ auch nochmal die Tonalität. Ist es am Anfang von Tempo und Witz geprägt, sorgen die Haribos mit ihrem Writers Room dafür, dass es in Spannung und Komplexität mündet. Zum Rezept der von Zeitsprung Pictures produzierten Serie gehören neben einer Prise „Killing Eve“ auch Spuren von „Deutschland 83“ und „Weissensee“. Angesichts der hervorragenden Unterhaltung spricht nichts gegen gute Inspiration als Grundlage für einen so visuell noch nicht gesehenen Wende-Comic, um bei der Wortwahl der Autoren zu bleiben.  Denn was optisch sofort auffällt: „Kleo“ is not your daddys Wendedrama. 

Das ist zwei Frauen zu danken: Isabel von Forster, verantwortlich fürs Production Design und Regisseurin Viviane Andereggen (verantwortlich für die ersten vier Episoden) setzen Stil und Tempo der Serie. „Kleo“ setzt die richtigen Prioritäten und spart sich unnötige Übergangsszenen der öffentlich-rechtlichen Kategorie „Damit auch der letzte Zuschauer versteht“. Immer wieder wird schnell gesprungen, andererseits aber Zeit genommen um Begegnungen genüsslich zu zelebrieren - insbesondere jene, die für das Gegenüber von Kleo ungünstig enden. 

Die Kreativität der Mordmethoden aus den Büchern trifft dann - auch bei den restlichen Folgen von Regisseur Jano Ben Chaabane - auf eine lustvolle Inszenierung, wenn etwa ein Mord nach einer wilder Verfolgungsjagd und bei diebischer Vorahnung des Publikums, wie das jetzt ausgehen wird, um einen geräuschlosen Ausdruckstanz verzögert wird, weil Kleo und „Kleo“ das genießen wollen. Es ist vielleicht der Netflix-Effekt, dass diese Serie in entscheidenden Momenten nicht wegdreht sondern die Träume vom Ostseebad Binz als LA des Ostens vor unseren Augen in fettige Stücke zerfetzt wird. Diese kompromisslose Inszenierung von Kleos Rachefantasien geht weit über das hinaus, was öffentlich-rechtlich vertretbar wäre.

Abgesehen davon, dass eben gar nicht klar ist, wer warum wen jagt sorgt Jella Haase in der Hauptrolle ganz maßgeblich dafür, dass „Kleo“ kein eindimensionales Gemetzel ist, weil der krasse Wechsel zwischen absoluter Unschuld und wütender Killerin so gut gelingt und uns als Publikum immer wieder zweifeln lässt, ob man ihr wirklich uneingeschränkt die Daumen drücken sollte. Für eine Story zur vermeintlich klaren deutsch-deutschen Wendezeit bleibt bei dem neuen Netflix-Blockbuster Gut und Böse lange im Unklaren. 

Die achtteilige Staffel von "Kleo" ist bei Netflix abrufbar