Deutscher Fernsehhumor? Vermintes Terrain! Von Pastewka bis Kebekus, von Loriot bis Hamann, von Dittrich bis Engelke gibt es zwar durchaus witzige Almans am Bildschirm. Aber schon Bully Herbigs zotige Homophobie bleibt einigen so im Halse stecken wie das Obacht-ulkig-Gedüdel öffentlich-rechtlicher Schmunzelkrimis – von Mario Barth ganz zu schweigen. Weil ein gelungenes Lustspiel in deutscher Sprache meistens vom Österreicher David Schalko stammt, bliebe abseits vom „Tatortreiniger“ also allenfalls noch „Stromberg“ empfehlenswert, und der ist eigentlich Brite.

Wenn die ARD nun etwas Lustiges auf ihre Mediathek stellt, das der verantwortliche SWR mit „schwarzer Komödie“ labelt, ist demnach Vorsicht geboten. Humor auf Basis (statt Kosten) anderer, oft benachteiligter Leute Leid, zählt nicht gerade zum Wesensmerkmal von Drehbüchern made in germany. Zumal die Serie von der verbreiteten Unart zeugt, das Publikum ins Ersichtliche zu stoßen wie Drogenhunde in verdächtiges Gepäck aus Holland. „Höllgrund“ heißt das fiktive Schwarzwaldkaff, „Höllgrund“ lautet der entsprechende Titel, „Höllgrund“ soll also gleichermaßen düster und drollig sein – eine Melange, die nur Grenzgänger cremig rühren.

Grenzgänger wie Marc O. Seng, der mit „Dark“ wiederholtes Geschick für abgründige Opulenz bewiesen hat und mit „Lerchenfeld“ jenes zur federleichten Realsatire. In Kombination beider Skills hat er einen Achtteiler geschrieben, der – nein, selbstredend nicht annähernd David Schalkos Niveau erreicht, aber etwas, das hierzulande selten ist: Groteske Komik ohne Knalleffekte, Kulissenschieberei oder aufgerissene Augen, zumal mit Seitenhieb auf die Säulenheiligen öffentlich-rechtlicher Unterhaltung: Landärzte.

Höllgrund © SWR/Studio Zentral

In Höllgrund praktiziert nämlich der alteingesessene Hajo Armbruster (Heiner Lauterbach). Noch. Denn kaum, dass dieser allseits beliebte Doktor abseits der Landstraße ein Kind entbunden hat, hängt er tot in seiner Praxis. Offenbar Suizid – hätte der angehende Pensionär nicht eben noch fröhlich vom Ruhestand geschwärmt. Und dann diese Kampfspuren unterm aufgeknüpften Mediziner – für Dorfpolizistin Tanja (Lou Strenger) geht das nicht mit rechten Dingen zu. Merkwürdig nur, dass auch dann niemand ihre Zweifel am Freitod teilt, als reihenweise Nachbarn sterben, woran Hajos Nachfolger Fabian Lambert (August Wittgenstein) mindestens mitschuldig zu sein scheint.

Schon früh entpuppt sich die medizinische Lichtgestalt unter Hanno Olderdissens Regie als zwielichtiger Bösewicht mit etwas, das im Melodram zur Regel wird: ein dunkles Geheimnis aus längst vergangener Zeit. Und Olderdissen – dank seiner kreuzbraven „Schwarzwaldcops“ oder dem Fake-Pfarrer „Sankt Maik“ ebenfalls Fernsehgrenzgänger – entschlüsselt sie peu à peu per Rückblenden, lässt aber auch in der Gegenwart wenig Zweifel daran, wer beim Massensterben von Höllgrund mitmischt: praktisch alle, Fabian Lambert inklusive, der offenbar Ivo heißt und nicht nur wegen der behaglichen Ruhe aufs Land gezogen ist.

Alles hochkomplex, alles höchst verworren, durch Carol Burandt von Kameke, dessen Kamera wunderbar schwermütig durch nebelige Schwarzwälder kriecht, zudem alles sehr eindrucksvoll gefilmt. Aber alles auch lustig? Heiner Lauterbach, kaum 20 von 400 Minuten lebend im Einsatz, liefert als Heilergeist, der Tanja aus dem Jenseits Ermittlungstipps gibt, sanften Klamauk, während ihr Revierchef Freischütz (Andreas Anke) ein bisschen zu klischeehaft auf die Schreibmaschine seiner staubigen Wache einhackt. Insgesamt aber ist keine Figur bis in die Nebenrollen hinein so krachledern wie unter TV-Komödianten üblich. Im Gegenteil – bis auf Michaela Caspar, die ihren 25 Jahre älteren Praxisstammgast Irmi mit Bauerntheater-Perücke karikiert, hat sich die Regie ein bündiges Ensemble gecastet.

Guido Renner als trunksüchtiger Dorfwirt Siggi, Ulrike C. Tscharre als unterfordertes Heimchen Moni, Heiner Hardt als dementer Ex-Pastor Paul: alle so souverän, dass die 1,3 Gesichtsausdrücke von Wittgensteins Dr. Lambert kaum stören. Zumal er tief im Schatten der Serienentdeckung steht: Lou Strenger. Theaterfans kennen sie vielleicht vom Düsseldorfer Schauspielhaus, Literaturkenner aus Heinrich Breloers Biopic „Brecht“. Hier brilliert die 30-Jährige als hintergründig komische Tanja mit Vater im Schlachthof, Mutter im Koma und der Gabe, das Leid anderer auf sich zu laden, ohne überfrachtet zu wirken.

Dialoge von dezenter Dringlichkeit

Dafür hat ihr Marc O. Seng Dialoge von dezenter Dringlichkeit aufgeschrieben. „Guck mal, meine Tolle“, sagt Werner mit Blick auf ein altes Gruppenfoto zu Tanja, die tonlos „das trug damals schon keiner mehr“ entgegnet und danach schon deshalb schweigt, weil die vermeintlichen Freunde auf dem Bild bald reihenweise sterben – auch wenn es ihr Vorgesetzter nicht hören will. „Bei uns gibt es keine Mörder“, kommentiert er Tanjas Idee unnatürlicher Todesursachen. „Wir sind doch hier nicht im Fernsehen.“ Sind wir doch. Und zwar in relativ sehenswertem.

Der zugehörige Thriller mag dem SWR dabei mitunter entgleiten. Die Charakter- und Milieustudie dörflicher Zweckgemeinschaften bleibt meist ähnlich präzise wie Lou Strengers konzentriertes Spiel. So wirkt „Höllgrund“ ein bisschen, als hätte Marc O. Seng „Landarzt Dr. Brock“ nach Hengasch versetzt, nur zum Glück eben ohne Rudolf Pracks ölige Halbgöttlichkeit oder das Heiterkeitsgeklimper von „Mord mit Aussicht“ im Hintergrund.

"Höllgrund", ab sofort in der ARD Mediathek. Sendetermine im SWR Fernsehen: 31. Oktober und 1. November, je vier Folgen ab 20:15 Uhr.