Wie Fernsehformate entstehen, ist bis zur Vollendung Vertrauenssache. Außenstehende benötigen also viel Fantasie, um sich in Formatentwicklungsprozesse reinzudenken – etwa den zur neuen ZDFneo-Serie "Another Monday", die ab heute in der Mediathek steht. Womöglich ist er so abgelaufen: Das Drehbuch nervös, aber hoffnungsfroh umklammert, klopft Maximilian Baumgartner bei Oliver Berbens Münchner Constantin Television an. "Wir hätten da was echt Interessantes, Oli", begrüßt der Autor den Großproduzenten. "Ein zynischer Wettervorhersager fährt zum jährlichen Murmeltiertag aufs Land und erwacht dort in einer Zeitschleife", fügt Co-Autorin Oliwia Strazewski hinzu. "Voll lustig, aber auch richtig romantisch", rufen beide im Chor.

Moment, gab’s das nicht schon…

"Ach echt? Gut, kein zynischer Wetteransager, sondern eine entnervte Mutter?"

Ähhh…

"Okay, dann zwei Frauen, ein Mann, kein Murmeltier und Mystery statt Humor?"

Hüstel…

"Außerdem gucken alle stets geheimnisvoll, weil alles mit allem zusammenhängt!"

Puhh…

"Und wenn wir 80er-Sound zwischen 'Dark' und 'Terminator' drüber kippen?"

Deal!

Gesagt, gezahlt, gedreht, startet Berbens als Neoriginal gebrandetes Mystery-Drama somit heute in der ZDF-Mediathek, weshalb sich nicht nur erfahrene Cineasten womöglich entgeistert fragen: Geht’s noch? Seit Bill Murray 1993 täglich das Murmeltier grüßte, gab es von Tom Tykwers "Lola rennt" übers SciFi-Drama "Looper" bis zur aktuellen Sky-Serie "The Lazarus Project" schließlich locker drei Dutzend Serien oder Filme, die ihr Personal in temporäre Wiederholungskreisel geschickt haben. Und jetzt also "Another Monday".

Als die unzufriedene Freya an einem Montag Kind und Kegel Richtung Turin verlässt, wo ihr Lover schon auf sie wartet, erwacht sie nach zwölf von knapp 300 Minuten wieder da, wo der Sechsteiler seinen Anfang genommen hatte: nachts um zwei beim routinemäßigen Sex mit dem Psychotherapeuten Malte, der am Morgen danach die eingeübten Frühstücksrituale zur identischen Radiomusik wie gestern, heute, morgen vollführt. Deutscher Kleinstadtfamilienalltag in wiederkehrender Endlosabfolge – und das auch noch geklaut: Es ist der doppelte Horror!

Wer das gebrauchte Grundgerüst dieser Geschichte mal beiseitelässt und den viereinhalbstündigen Rest der humorlosen Murmeltiertagversion ergebnisoffen weiterschaut, könnte jedoch überrascht werden. Positiv sogar. Denn was der geübte Werbe- und Musikvideoregisseur Nathan Nill in seinem bislang größten Projekt gemeinsam mit Esther Bialas („Charité“) aus dem Drehbuch von Baumgartner und Strazewski macht, geht ein Stück über die Standardfrage "stell dir vor, du hast nur noch einen Tag zu leben, den aber für immer" hinaus.

Während Murrays Meteorologe Phil 29 Jahre zuvor mutterseelenallein allerlei Unsinn anstellt, um seinen Schwarm Rita alias Andy MacDowell zu erobern, kriegt Freya bei der Suche nach Gründen zügig Gesellschaft. Maltes lebensmüder Patient Moritz erlebt seine eigenen 24 Stunden nämlich ebenso aufs Neue (also Alte) wie die hochschwangere Krankenschwester Sophie. Und weil letztere dort ihr Kind kriegt, wo Freyas Mann ersteren in der Pathologie begutachtet, trifft das schicksalsgenossenschaftliche Trio ständig aufeinander. Sie gehen also gemeinsam auf Ursachensuche und finden dabei nicht nur Leidtragende, sondern Erklärungen.

Inhaltlich bohrt "Another Monday" somit gleichermaßen dünne und dicke Bretter, deren Absurdität – ähnlich wie Zeitreisen oder Gedächtnisverlust – jede noch so surreale Absurdität rechtfertigen. Was das Format kennzeichnet, ist deshalb die Virtuosität des Unperfekten. Susanne Bormann zum Beispiel darf ihre Freya mit einer trotzigen Freudlosigkeit spielen, die angesichts der unbegreiflichen Lage oft vergebens nach Worten, Moral und Ethik sucht. Alina Stieglers Pflegerin mit Baby im Bauch und Erzeuger in Australien betrauert ihre Hilflosigkeit mit beinahe dokumentarischer Verzweiflung. Und wie Ben Münchow sein psychisch labiles Wrack Moritz stammelnd in einer Vergangenheit wühlen lässt, wegen der er sich Tag für Tag vom Balkon stürzt, hat fast schon Züge Kenneth Branaghs.

Verantwortlich dafür sind aber nicht nur Charakterzeichnung und Rollenidentifikation; das Drehbuch gibt ihnen auch Dialoge zur Hand, die mit dem Wesermarschland im Dämmerlicht atmosphärisch um Deutungshoheit kämpfen und manche Ungereimtheit ausgleichen, die Mystery halt mysteriös machen. In der Turiner Wohnung ihrer deutschen Affäre zum Beispiel läuft zwingend italienische Oper. Freya schleppt selbstredend eine Familientragödie mit sich herum, die fiktionale Frauen halt haben, wenn sie ihre Haushaltspflicht vernachlässigen. Und vor Sophies Fenster stromert nicht nur ein Wolf; wie beim täglichen Murmeltiergruß nutzt sie ihre Wiederholungstage auch für den repetitiven Versuch, einen Todesfall zu verhindern.

Kopierter geht’s kaum.

Abseits billiger Plagiate allerdings entwickelt die wachsende Komplexität der surrealen Erzählung mit jeder Folge mehr einen Sog, der bis in die Nebenrollen hinein Anziehungskraft entwickelt: Freyas gewalttätiger Gatte (Ulrich Brandhoff) oder Sophies Kollegin Nazan (Aybi Era) sind daher eigensinnige Figuren mit sorgsamen Backstorys statt nur handlungsrelevante Sidekicks. Fazit in Kürze: vieles an "Another Monday" ist zwar ziemlich dick aufgetragen, für ein gebrauchtes Thema aber auch absolut ansehnlich.