Okay, echt, Ehrenwort, wir haben’s verstanden: Der Mensch ist des Menschen Wolf, oder wie es der römische Dichter Plautus vor 2200 Jahren, als Fürsten noch ungestraft ihre Untertanen umbringen durften, Männer ihre Frauen, Frauen ihre Kinder und nackte Gewalt ohnehin das Maß aller Dinge war, auf Latein ausdrückte: homo homini lupus. Wer seit 2010 auch nur drei Folgen „The Walking Dead“ gesehen hat, dürfte daher keine Zweifel hegen, dass der schrecklichste unserer Feinde nicht von außen, sondern innen kommt.

Die Bestie, lautet das Resultat aus 169 Folgen misanthropischer Druckbetankung, sind ich, du, er, sie, es, also wir. Schon kapiert. Nur eine Frage noch, weil der der Unterricht schon zwölf Jahre dauert: Wann ist eigentlich Schulschluss? Nach 11,2 Staffeln gibt der US-Sender AMC die finale Antwort: Jetzt. Also nicht jetzt sofort natürlich, sondern in weiteren acht Episoden, die ProSieben Fun und Disney+ nun zeigen.

Wer nicht weiß, worum es in denen davor ging, also entweder auf einer Insel ohne Internet lebt, über 90 ist oder – nee, mehr Möglichkeiten gibt’s eigentlich nicht; wer von denen also nicht weiß, worum es seit der Pilotfolge geht: An einem Novembermorgen friedlicherer Tage – Amerika hatte grad ein Abrüstungsabkommen mit Russland erneuert und die arglose Lena den ESC gewonnen – erwacht ein Südstaaten-Cop namens Rick (Andrew Lincoln) aus dem Koma und sieht sich inmitten der Apokalypse.

Als Chef einer wachsenden Zahl Überlebender erwehrt sich der ebenso führungs- wie haltungsstarke Polizist fortan einer noch schneller wachsenden Zahl Zombies, die angesichts ihrer intellektuellen und körperlichen Defizite allerdings nicht annähernd so lebensgefährlich sind wie ihre wahren Gegner: Menschen, aus denen die Katastrophe gemäß Plautus Wölfe gemacht hat. Sie heißen Govenor, Negan oder Pope, befehligen Saviors, Whisperers, Reapers genannte Gangs skrupelloser Desperados und haben trotz aller Bedrohung durch Horden beißwütiger Bestien nichts Besseres zu tun, als Gott, Kaiser, Putin zu spielen.

Das ungefähr ist die Story, mit der Robert Kirkman und Tony Moore sieben Jahre zuvor ihre Graphic Novels gefüllt haben, deren Verfilmung Gut und Böse bis heute ähnlich diametral gegenüberstellt. Hier ein cleanes Dutzend Altruisten um Carol (Melissa McBride), Daryl (Norman Reedus) und Maggie (Lauren Cohen), die selbst den unverwüstlichen Rick überlebt haben. Dort ein dreckiges Dutzend Egoisten mit Armeen alttestamentarischer Antagonisten, die dem Publikum der epischen Schlacht wohlfeil als Hassobjekte dienen.

Leicht überdehnt

Guter Actionstoff, ohne Zweifel. Ginge vielleicht sogar als Mehrteiler. Aber 177 Teile à 45 Minuten, also mehr als 130 Stunden plus Spin-Offs mit Namen von „Fear The Walking Dead“ bis „World Beyond“? Klingt leicht überdehnt. Und ist es auch. In der elften Staffel, die AMC wohl eher aus betriebswirtschaftlichem als dramaturgischem Grund dreigeteilt hat, erleben wir den wortkargen Daryl dabei, wie er mit der unscheinbaren Carol, Nesthäkchen Maggie und einer aufrechten Truppe Gleichgesinnter versucht, unter Untoten zu überleben und dabei Ansätze einer neuen Zivilisation aufzubauen.

Wie bei der ersten Bildschirmpremiere sind Maske und Kulissen von detailversessener Güte. Zwei Makeup-Emmys belegten die Liebe von Showrunner Frank Darabont zur splatterigen Zombie-Zerlegung. Ein Golden Globe, Bereich beste Dramaserie, attestierte ihr zudem atmosphärische Dringlichkeit. Gut 100 weitere Nominierungen oder Auszeichnungen diverser Spartenpreise belegen trotz sinkender Einschalt- und Abrufquoten zudem, wie beharrlich Fans in aller Welt beim Killen lebender wie toter Feinde zusehen. Und als Donald Trump das Serienmilieu waffenstarrender Rednecks, Prepper, Alpharüden rechts überholte, bekam „TWD“ 2016 kurz mal politische Relevanz.

Doch schon damals begann sich das Format weit über die Comic-Vorlage hinaus im Kreis zu drehen. Abseits der üblichen Dichotomie konstruktiver (meist weiblicher) Philanthropen im Fight gegen destruktive (meist männliche) Misanthropen, fällt den aktuell zehn (!) Regisseuren daher wenig mehr ein, als die „Commonwealth“ genannte Scheindemokratie der Präsidentin Milton (Laila Robins) an Egoismen außer- und innerhalb der Abwehrwälle zerbrechen zu lassen. Schlimmer noch: jeder doppelt und dreifach genähte Handlungsfaden offenbart die Logiklücken im Stoff etwas deutlicher.

Dabei war es schon zu Beginn sagenhaft bescheuert, dass Messer beim Zombiezerhacken wie Stahl auf Stahl klingen, dass von Untoten zerfleischte Leichen nach dem Auferstehen als ziemlich intakte Walker herumwandern, dass die je nach dramaturgischem Bedarf mal superlangsam, mal pfeilschnell sind, dass Babys zwar Erwachsene werden, während Erwachsene nie altern, dass neue Kommunen mangels Lieferketten naturgemäß Mangelwirtschaften sind, aber großen Wert auf Design, Eleganz und Uniformen im Stormtrouper-Style legen.

Aber je länger die Serie geht, desto mehr entwerten die – zugegeben im Mystery-Fach eingepreisten – Mängel an Realismus sichtbare Errungenschaften der Serie. Selten zuvor war Actionhorror nämlich diverser, selten gab es schlagkräftigere Frauen, Kinder, gar Greise und selten mehr Minderheiten in führender Rolle, die nicht nur echte Persönlichkeitswandel erleben, sondern jederzeit sterben können, als liefe der Tod nicht durch Georgia, sondern Westeros, dessen Nordmänner bekanntlich gern den seltsamen Satz „What’s dead may never die“ wiederholen und damit womöglich „The Walking Dead“ meinen.

Da Rücktrittsversprechen spätestens seit Abschiedstour Nr. 11a der Rolling Stones mit Vorsicht zu genießen sind, bleibt abzuwarten, was nach Staffel 11c mit „The Walking Dead“ wirklich geschieht. Bis dahin wären aber ohnehin noch zwei Fragen zu klären: Kehren die Serienlieblinge Rick und Michonne in den Kampf der lebenden Leichen zurück? Und wäre das dann ein Zeichen zum Aufhören oder Weitermachen? Wer weiß! Aber auch, wenn Mick Jagger und Keith Richards noch lange nicht aussehen wie Zombies: Untote auf Welttour können beharrlich sein…

Die finale Staffel von "The Walking Dead" auf Disney+. ProSieben Fun strahlt Folgen immer nachts von Sonntag auf Montag sowie freitags um 21:45 Uhr linear aus.