Parlamente sind selten Orte fernsehtauglichen Humors. Die Sitzungsprotokolle der 20. Legislaturperiode zum Beispiel listen laut Recherchen der „Zeit“ zwar 1695 Anflüge vernehmbaren Frohsinns auf. Da das Bundestagsgelächter allerdings eher auf politisches Kalkül als treffende Pointen folgt, kann von echter Heiterkeit der Abgeordneten kaum die Rede sein. Selbst Satire zoomt deshalb lieber auf Parteitage statt Plenarsäle, die ab und zu wenigstens unfreiwillig komisch sind.

Wie erfrischend ist es da, wenn ausgerechnet ein Parlament, von dem man es am allerwenigsten erwartet, ganz und gar freiwillig komisch daherkommt: das Europäische. Als Bürokratiemonster verschrien, das von Straßburg und Brüssel aus Stickstoffwerte und Gurkenkrümmungswinkel beziffert, schien keine Volksvertretung jenseits von Peking oder Pjöngjang freudloser zu agieren – bis der französische Regisseur Noé Debré die EU-Institution in seiner Heimatstadt vor zwei Jahren nach eigenem Drehbuch zum Herz einer zehnteiligen Komödie gemacht hat, die ihresgleichen sucht.

So freudlos wie ihr Ruf „Parlament“ betitelt, sucht Praktikant Samy (Xavier Lacaille) dort gleich nach dem Brexit-Referendum Arbeit und findet sie beim Liberalkonservativen Michel Specklin (Philippe Duquesne). Der hat zwar mehr Erfahrung als sein angehender Assistent, aber statt Ehrgeiz – was ein altes Klischee übers Serienthema bestätigt – nur Sitzfleisch. Wer jedoch in der 1. Staffel erlebt, wie Samy mithilfe seiner englischen Kollegin Rose (Liz Kingsmen) den Widerstand der deutschen Politdomina Ingeborg (Christiane Paul) gegen ein Verbot des Haifischflossenfangs unterwandert, sieht viele Vorurteile förmlich verdampfen.

Anders als die feinperlende Neo-Satire „Eichwald, MdB“ mit Bernhard Schütz als hinreißend windiger Bundestagsveteran, anders auch als bierernste Milieustudien vom „Kanzleramt“ (mit Klaus J. Behrendt als Regierungschef) über „Lobbyistin“ (mit Rosalie Thomass als Brüsseler Spin-Doctor) bis hin zur regierenden Berliner Bürgermeisterin Anna Loos in der „Stadt und die Macht“, diskreditiert Noé Debré sein „Parlament“ nämlich nicht durch die Augen der Protagonisten, sondern zeigt im Gegenteil, wie deren oft aufopfernder Einsatz dabei hilft, die Sollbruchstellen institutioneller Macht zu stabilisieren.

So beobachtet man das – durch den schwer durchschaubaren Netzwerker Toto (Lucas Englander) zum Trio gewachsene – Duo auch in der 2. Staffel, wie es die Wirkmechanismen im parlamentarischen Straßburg zugleich ausnutzt, bloßstellt und das Prinzip dieser grimmepreisgekrönten Sozialstudie damit perfektioniert. Denn einerseits erklärt die belgisch-deutsch-französische Koproduktion im Auftrag von SWR, WDR und france.tv den Homo Politicus im eigenen Biotop, das dank der Originalschauplätze noch authentischer wird. Andererseits sorgt Debrés Witz dafür, dass diese Erklärungen nie didaktisch geraten.

Wenn Samy nach seiner Kündigung beim fatalistischen Einsiedler Specklin mit neuer Chefin – der Französin Valentine Cantel (Georgia Scalliet) – ins EU-Parlament wechselt, wo sein alter Schwarm Rose nun als Lobbyistin tätig ist, könnte man zum Beweis der dramaturgischen Funktionsfähigkeit allein in den ersten zwei Folgen drei Dutzend klammheimlich lustiger Dialoge hervorheben. Zur Verdeutlichung daher nur dieser eine: um Samy das komplexe Proporzsystem im demokratischen Arm des supranationalen Staatenbunds zu erklären, startet Thorsten eine noch viel komplizierteres Dominobahn in seinem Büro, an der er zwei Jahre gearbeitet hatte.

Während sich unterschiedlichste Alltagsgegenstände von Klebebandrollen über Notizblöcke bis EU-Fahnen in einer genial konstruierten Kettenreaktion minutenlang vorwärts winden, will Samy wissen, ob die Deutschen wegen einer Präsidentschaftswahl unzufrieden sind. „Nein, nein“, antwortet der Thorsten, „Martin Kraft ist unzufrieden“, sagt der Parlamentsprofi über den Kabinettschef (hinreißend abgebrüht: Johann von Bülow) der letzten drei Legislaturperioden.
Samy: Worum geht es dem armen Mann?
Thorsten: Um Macht.
Samy: Was will er damit anfangen?
Thorsten: Ach, er ist einfach Deutscher…

Auch das, klar: ein Klischee. Aber wie bier- und brexitselige Briten oder unablässig „Freude schöner Götterfunken“ im Fahrstuhl, ist es kein selbstreferenzielles. Untergerührte Stereotypen sind hier einfach Zutaten einer Handlung, die rückstandslos mit dem Fett emulgiert, das jede Nationalität ohne patriotisches Pathos wegkriegt. Und wenn Eamon (William Nadylam), die mephistophelische Mischung aus Minerva und Kassandra der 1. Staffel, wieder ständig aus dem Nichts endloser Parlamentsflure auftaucht, um das Geschehen rätselhaft zu kommentieren, wächst sich ein herzzerreißender Umstand zum handfesten Skandal aus: Auch die 2. Staffel werden wohl nur wenige sehen.

Während ihr Talent zur heimlichen Überspitzung politischer Nebensächlichkeiten vor fünf Monaten in Frankreich für helle Aufregung sorgte, versteckt das Erste den Zehnteiler in seiner Mediathek und dann bei One. Fernsehpreise kann diese Nischenprogrammierung zwar kaum verhindern, Einschaltquoten im messbaren Bereich hingegen schon, zumal die Verfügbarkeit dort bei Staffel 1 rätselhaft kurz ausfiel. Kryptisch schöne Drehbuchregeln zum Überleben im „Parlament“ wie jene von Samy, „die einen sind Psycho, die anderen Banane, wenn du denen aus dem Weg gehst, die beides sind, dann kommst du ganz gut klar“, drohen also erneut unter Verschluss zu bleiben. Welch ein Komödiendrama!

One zeigt die zweite Staffel am 31.10. und 1.11. jeweils ab 20:15 Uhr. In der ARD-Mediathek stehen alle Folgen der ersten beiden Staffeln bereits zum Abruf zur Verfügung.