Wenn es um die Zukunft der Öffentlich-Rechtlichen geht, dann geht es immer auch darum, wie es ARD und ZDF gelingen kann, möglichst alle Gesellschaftsschichten anzusprechen. Denn auch wenn das Vertrauen in die beiden Sender noch immer groß ist – zur Wahrheit gehört eben auch, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen nur wenig bis nichts anzufangen wissen mit dem, was dort Tag für Tag ausgestrahlt wird.

So gesehen ist es vielleicht keine Überraschung, dass sich der neue ZDF-Intendant Norbert Himmler "ein ZDF für alle" auf die Fahnen geschrieben hat und im ARD-Kosmos an zwei Abenden in Folge Formate zu sehen waren, in denen es darum ging, verschiedene Menschen miteinander ins Gespräch zu bringen, die nicht allzu viel verbindet.

Am Dienstagabend rief der NDR etwas hochtrabend sein "Bürgerparlament" ins Leben und beförderte den "Tagesthemen"-Moderator Ingo Zamperoni im Zuge dessen zum "Parlamentsvorsitzenden", unter dessen Führung in jeder Ausgabe rund 20 Menschen über ein Thema diskutieren - "quer durch die gesellschaftlichen Schichten", wie der Sender im Vorfeld betonte. In der Auftaktfolge widmete sich das "Bürgerparlament" dem Verzicht, was vor dem Hintergrund von Energiekrise, Inflation und Klimawandel einigen Zündstoff versprach.

"Kein Expertentalk, keine Politkerrunde", versprach Zamperoni zu Beginn der 45-minütigen Sendung. Vor allem aber: "Keine Faktenchecks." Denn: "Es ist Ihre Sendung", erklärte der Moderator anwesenden Publikum und kündigte an, sich in den folgenden 45 Minuten zurückhalten zu wollen. "Mal sehen, wie's läuft."

Wilder Ritt durch die Themen

Und ja, das "Bürgerparlament" lief gut an. Da war der 72-jährige Mann, früher Geschäftsführer einer Firma, der von sich behauptete, "nicht mit dem goldenen Löffel aufgewachsen" zu sein und sich nach einem langen Berufsleben "einen gewissen Nachholbedarf" in Sachen Reisen attestierte. "Ich will für mich keinen Verzicht", stellte er klar. Eine 29-jährige Soldatin wiederum befand wenig später, dass Verzicht "nicht immer etwas Schlechtes sein" müsse und sprach danach einen Satz, der eigentlich auch als Schlusswort getaugt hätte: "Wenn man die richtige Mitte findet, dann sind wir auf einem guten Weg."

Ein salomonisches Urteil, mit dem sich das von probono produzierte "Bürgerparlament" aber freilich noch nicht zufrieden gab – und stattdessen im Eiltempo die verschiedensten Aspekte des Themas streifte und sich manches Mal auch davon entfernte. Kinderarmut müsse bekämpft und die Demokratie weiterentwickelt werden, forderten zwei Stimmen. Eine weitere forderte eine "andere Kultur der Sprache" und wiederum ein anderer schimpfte: "Diese Moralkeule, das ist das, was den Bürger auf der Straße wirklich ankotzt."

In manchen Momenten erinnerte das NDR-"Bürgerparlament" an den misslungenen Bild-Talk "Hier spricht das Volk", den Julian Reichelt einst schnappatmend zu moderieren versuchte. In dem NDR-Format ging es nun zwar etwas gesitteter zu – der ganz große Erkenntnisgewinn ging angesichts des vielstimmigen Meinungsorchesters aber flöten, was letztlich zeigt, wie schwierig es sich gestaltet, ein solches Format fernsehtauglich zu inszenieren; so gut es auch gemeint sein mag. Ganz davon zu schweigen, dass man sich an manchen Stellen sehr wohl einen Faktencheck gewünscht hätte.

Bergpanorama statt Diskussionen

Bereits am Montagabend hatte sich die vom SWR verantwortete und von i&u produzierte Dokumentation "Wie geht Wir?" zum Auftakt der ARD-Themenwoche erkennbar schwer damit getan, ein breites Meinungsspektrum innerhalb einer Dreiviertelstunde abzubilden. Ziel war es, sechs Menschen ohne Bergerfahrung einen Viertausender besteigen und – quasi nebenbei – ins Gespräch über ihre politischen und gesellschaftlichen Ansichten kommen zu lassen, was sich auf dem Papier sicher gut las und angesichts eines bunt zusammengewürfelten Casts womöglich sogar hätte funktionieren können.

Wie geht Wir? © SWR/i&u "Wie geht Wir?": In der ARD-Doku besteigen Menschen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Zusammenhängen zusammen einen Gipfel.

Zwar entschied sich sich ein AfD-Mitglied zwar zur Überraschung aller, nach all den Gesprächen mit seinen Mitkletterern aus der Partei auszutreten, doch wirklich nachvollziehbar war das für das Publikum kaum, weil wegen all der schönen Bergbilder vergessen wurde, den Diskussionen den nötigen Raum zu geben. Zuvor hatte die Gruppe schon eine Teilnehmerin verloren, noch bevor es richtig losgegangen war, weil diese sich weigerte, mit einem AfDler zu sprechen. 

Und so belegen "Wie geht wir?" und das "Bürgerparlament" gleichermaßen, wie groß die Herausforderung ist, neue Gesprächsformate abseits der üblichen Polittalkshows zu etablieren. In ihrem Bemühen, ein breites Meinungsspektrum auf den Bildschirm zu bringen, sollten die Sender gleichwohl freilich nicht nachlassen.