Wer die ersten Minuten dieser Serie sieht, könnte schnell ein falsches Bild von ihr bekommen. Lamia, die namensgebende Hauptfigur, hat sich zu einer Wohnungsbesichtigung eingefunden und ist dabei, Fotos von dem frei gewordenen Objekt zu machen. Anders als die übrigen Interessenten, wird sie jedoch von der Maklerin ermahnt, dies zu unterlassen – offenkundig wegen ihres fremd klingenden Nachnamens Mazouz. Ein klarer Fall von Rassismus, wie er sich in Deutschland vermutlich tagtäglich ereignet.

Dass die Serie im weiteren Verlauf dennoch nicht den Fokus auf Vorfälle dieser legt, erweist sich schnell als große Stärke. Nein, "Lamia", seit einigen Tagen in der ARD-Mediathek verfügbar, begnügt sich nicht damit, die klassischen Culture-Clash-Geschichten zu erzählen, sondern nimmt einen ebenso unerwarteten wie spannenden Blickwinkel ein: Erzählt wird die Geschichte einer jungen Frau, die sich vor allem in ihrer eigenen Blase zurechtfinden will; die zwischen zwei Kulturen versucht, ihre eigene Identität zu finden. Ein sogenannte Third Culture Kid im besten Sinne.

Das klingt bedeutungsschwer – und ja, das ist es manchmal auch. Glücklicherweise besticht die Serie aber auch durch Humor, weil sich Autorin Sarah Kilter und Nilgün Akinci im Writers Room dazu entschieden haben, Lamias Geschichte als Dramedy zu erzählen. Und so liest Lamia den Koran im Reclam-Heft und macht sich eifrig Notizen, ein anderes Mal wiederum liefert sich beim Pizzaessen ein amüsantes Wortgefecht mit ihrem Vater Said (Husam Chadat) darüber, ob man nun eigentlich "der" oder "das" Rand sagt.

Allerdings ist die Beziehung zum Vater angespannter als es in dieser Szene den Anschein hat – nicht nur, weil dieser sich an Lamias Streben nach Freiheit stört, sondern auch, weil ihn plötzlich ein Geheimnis einholt, das aus jener Zeit herrührt, als er von Algerien in die DDR geflüchtet war. Das wiederum stellt auch die Beziehung zu seiner Frau Radia (Amel Charif) auf eine harte Probe. Wie gut, dass er zumindest von der durchgefallenen Abiturprüfung des Sprösslings Younes (Shadi Eck) nichts ahnt.

Lamia © ARD Degeto/Alexander Janetzko Lamia (Amel Charif) auf dem Date mit Edi (Eidin Jalali).

Zwischen all diesen Turbulenzen entwickelt Lamia auch noch Gefühle für Edi, dessen Vater ein Freund der Familie ist. Dass es bei ihren Dates nicht nur um die Tücken des Alltags geht, sondern auch um ihr Verhältnis zum Islam, ist eine der Stärken dieser Serie, die gleichermaßen authentisch wie unaufgeregt daherkommt und auch nicht vor Zweisprachigkeit zurückscheut. Das ist nicht zuletzt ein Verdienst von Regisseurin Süheyla Schwenk, die nicht der Versuchung erlegen ist, die Geschichte mit Klamauk und Albernheit zu überziehen. Zudem beweist die Produktionsfirma Turbokultur nach "Deadlines" (ZDFneo) erneut ihr gutes Gespür für ungewöhnliche Serienstoffe.

Es macht Freude, den Charakteren in ihrem Alltag zu folgen, auch wenn nicht alle Dialoge restlos gelungen sind und man sich in manchen Momenten wünscht, noch etwas tiefer einzudringen in die Welt der Familie Mazouz. Zumal nach den sechs meist nur rund 20-minütigen Folgen einige Fragen offen bleiben, die förmlich nach einer zweiten Staffel schreien.

Vor der Kamera erweist sich vor allem Amel Charif, die bislang fast ausschließlich in französischen Filmen spielte, in der Hauptrolle der Lamia als Glücksgriff – nicht nur, weil ihr Vater Algerier und ihre Mutter Deutsche ist, sie also sicher etwas mehr als andere nachvollziehen kann, was es bedeutet, mit verschiedenen Kulturen aufzuwachsen. Keine schlechte Voraussetzung für eine Serie wie diese, die - möglicherweise auch befreit vom Druck, das ganz große Publikum erreichen zu müssen - ganz bewusst eines nicht ist: Typisch deutsch.

"Lamia", in der ARD-Mediathek