Nicht wenige Redaktionen werden sich zum Jahresauftakt darüber gefreut haben, mit der Premiere des 33-jährigen Nachfolgers von Frank Plasberg zum verhältnismäßig ruhigen Start ins Jahr ein planbares Thema zu haben. Entsprechend viele Journalistinnen und Journalisten haben sich an der Sendung abgearbeitet, wie es in Deutschland ohnehin vor vielen Jahren schon merkwürdige Tugend geworden ist, Talkshows im Stile von „Er sagte, sie sagte“ nachzuerzählen und das TV-Kritik zu nennen.

Mit einem neuen Gastgeber gäbe es tatsächlich etwas zu bewerten, doch die geschriebenen Kritiken zeigen, wie müßig es ist, mit dieser ersten Sendung irgendeinen Blumentopf gewinnen zu wollen. Irrelevant, könnte man auch sagen. Der Tenor der meisten Kritiken zu Louis Klamroths Premiere, wenn sie sich nicht an seiner publik gemachten Beziehung zu Luisa Neubauer abarbeiten, lässt sich sich auf die Formel „Fair, aber nicht hart“ reduzieren.

Man hätte drauf wetten können, dass der dankbare Titel der Sendung zu Wortspielerei einlädt - und genauso kam es dann auch. In die Versicherung, dass Klamroth eine sehr ordentliche Premierensendung absolvierte, mischt sich etwas Enttäuschung darüber, dass er nicht "mehr Stimmung in die Bude" gebracht habe. Dass er noch zu sehr Plasberg, noch zu wenig Klamroth sei - wenn man sich an manch forsche Moderation etwa bei ProSieben erinnert. Das sind richtige Beobachtungen, denn natürlich war seine Premiere eine Sendung der Marke „Nummer sicher“. Alles andere wäre aber auch Wahnsinn. 

Während das ZDF eine junge innovative Talkshow-Idee wie „13 Fragen“ erstmal im Netz ausprobiert und sich erst später traut, diese Sendung auch bei ZDFneo laufen zu lassen, hat die ARD im ansonsten wahrlich nicht von positiven Schlagzeilen geprägten Jahr 2022 mit der Verpflichtung von Louis Klamroth für die Primetime-Talkshow am Montagabend den weitaus größeren, spannenderen Sprung gewagt. Ein 33-Jähriger löst einen 65-Jährigen ab - nicht irgendwo im Netz auf Abruf, sondern im Ersten, zur Primetime und mit einer lange etablierten Marke. 

Die meisten Menschen im Alter von Louis Klamroth werden einer Primetime-Sendung im linearen Fernsehen keine große Bedeutung beimessen - und müssen das auch nicht. Gleichzeitig ist die eigene Mediennutzung - zur regelmäßigen Verwunderung mancher Generation - nicht der Maßstab. „Hart aber fair“ ist eine der erfolgreichsten Polittalkshows in Deutschland - und noch dazu die einzige im direkten Primetime-Wettbewerb und nicht erst zu später Stunde. Der jetzige Personalwechsel also eine extrem spannende, durchaus auch gewagte Personalie.

Schließlich ist lineares Fernsehen insbesondere fürs ältere Publikum zu einem nicht unerheblichen Teil ein Gewohnheitsmedium - und da grinst jetzt plötzlich ein Jungspund in die Kamera, der nicht nur jünger ist als Frank Plasberg, sondern auch als alle anderen Polittalk-Gastgeberinnen und -Gastgeber im deutschen Fernsehen. Klamroths Aufgabe bei der Premieren-Sendung war es nicht, das Polittalk-Genre zu revolutionieren. Viel mehr galt es zu moderieren - und zwar die Erwartungen des Publikums an eine eingeführte Programmmarke. 

Das ist nachvollziehbar und war im Vorfeld erwartbar. Und so ist die intensive Leistungsanalyse seiner Auftaktsendung eben eins: Irrelevant. Klamroth wird mit den Reaktionen leben können. „Zu fair und zu viel Plasberg“ ist das kleinere Übel als eine radikale Veränderung vom Startpunkt weg. Recht machen konnte man es ohnehin nicht allen, weil Presse (Neuigkeitswert) und Publikum (Gewohnheit) durchaus unterschiedliche Kriterien ansetzen bei einem solchen Wechsel. Entscheidend ist viel mehr, was in den nächsten Monaten passiert.

Welche Route nimmt „Hart aber fair“, wenn Klamroth nach eigener Aussage am Format arbeiten will? Im Kern gilt es für die Produktionsfirma Ansager & Schnipselmann und den Moderator eine Antwort auf die Frage zu finden, wie Polittalks auch bei jüngeren Generationen eine Relevanz erzeugen können. Ein Experiment, das auch für die Konkurrenz wichtiger ist als sie es zugeben würde. Im Sommer wird man eine erste Bilanz ziehen können.