Zumindest die Brille, die Raik Doormann trägt, erinnert an jenes Modell, das Jeffrey Dahmer trug. Jener Serienmörder, dessen brutale Lebensgeschichte im vorigen Jahr in sehr, stellenweise zu ausführlicher Serien-Form zu einem der größten Erfolge überhaupt für Netflix wurde und dem Hauptdarsteller Evan Peters gerade einen Golden Globe einbrachte.

Nun ist es also ein deutscher Mehrfachmörder, der dieses Brillengestell auf der Nase hat. Anders als bei "Dahmer: Monster" hat Prime Video für die Verfilmung der Taten seiner Hauptfigur zumindest ein Pseudonym gewählt. Das ändert allerdings nichts daran, dass die Darstellung Doormanns Darstellung in "German Crime Story: Gefesselt" so etwas wie Kult-Potenzial besitzt, was angesichts der Schwere seiner Verbrechen mindestens fragwürdig ist. Denn große Recherchekunst braucht es nicht, um den wahren Namen des Mannes herauszufinden, der einst als Hamburger "Säurefassmörder" zu trauriger Bekanntheit kam, weil er die Menschen im Hamburger Raum in Angst und Schrecken versetzte. Zumal sich auch schon mancher True-Crime-Podcast in jüngster Zeit noch einmal mit dem Fall beschäftigte. 

Oliver Masucci ("Er ist wieder da", "Dark") verkörpert in der Produktion von Neue Bioskop Film den Mörder – und er tut es bisweilen so, dass man ihn an manchen Stellen glatt sympathisch findet. Ein Kürschnermeister, dessen Geschäfte immer schlechter laufen. Einer, der selbst am Grill noch Pelzmantel trägt. Ein schrulliger Typ eben, mit dem man Mitleid haben kann? Oder gar mitfühlen soll?

Weil die Serie über weite Strecken hinweg aus Doormanns fragwürdigem Blickwinkel erzählt wird, wirkt sie immer wieder erschreckend einseitig. Das liegt auch daran, dass die brutalen Szenen, in denen Doormanns weibliche Opfer im hauseigenenen Atombunker misshandelt und getötet werden, in Hochglanz inszeniert sind. Subtil erzählt wird nur wenig, stattdessen gibt’s schon in den ersten Szenen das volle Programm: Vom Zerren einer Frauenleichte über das Zersägen bis hin zum Abtransport im Urlaubskoffer.

German Crime Story: Gefesselt © Neue Bioskop Television Angelina Häntsch verkörpert die Ermittlerin Nela Langenbeck.

Produzent Dietmar Güntsche spricht im Begleitmaterial zur Serie von einem "Balanceakt" und betont, wie wichtig es gewesen sei, "auch das Frauenbild der damaligen Zeit zu spiegeln". Das ist leider viel zu selten gelungen, auch wenn die Darstellung der Ermittlerin Nela Langenbeck (Angelina Häntsch), die den grausamen Taten erst als Opferbetreuerin und später als Mordkommissarin auf der Spur ist, zumindest ein wenig für die Vielzahl an voyeuristischen Szenen entschädigt. Auch Oliver Masucci überzeugt schauspielerisch in der Rolle des nur auf den ersten Blick braven Familienvaters, schon alleine wegen seiner angsteinflößenden Art zu sprechen.

Am Ende aber reicht all das nicht - und selbst die fabelhafte Ästhetik, die das Publikum in die 90er Jahre zurückversetzen soll, kann das größte Problem von "German Crime Story: Gefesselt" eben nicht in Luft auflösen: Die Serie setzt dem Mörder ein Denkmal und leider nicht den Opfern. Das ist auch deshalb besonders ärgerlich, weil im Erfolgsfall davon auszugehen ist, dass die nächste "German Crime Story bereits in der Schublade liegt und nur darauf wartet, in ähnlich reißerischer Form verfilmt zu werden.

"German Crime Story: Gefesselt", ab sofort bei Prime Video