Ach, Ostfriesen sind doch alle gleich. Sie haben wettergegerbte Anreden und Gebräuche, heißen Tjark oder Femke und sind verschroben bis abergläubisch, sie dehnen ihr Moin auf Wattwurmlänge und hocken in Kneipen namens Klabautermann beisammen, wo sie bloß das Nötigste sagen und das auch nur grantig. Was ist die Welt doch simpel, wenn man der freiwillig komischen Ulknudel Otto Waalkes folgt oder dem unfreiwillig komischen Privatsender RTL.

Im Rahmen seiner Polizeifilm-Offensive "Tödlicher Dienst-Tag" hat er Sven Kochs populäre Küstenthriller zur Nordsee-Krimireihe "Dünentod" gemacht. Und schon der Pilotfilm "Das Grab am Strand" kaut sämtliche ostfriesischen Klischees vom Leuchtturmvorspann bis zum Horizontblickfinale durch, bis selbst Ritualmorde zu Hendrik Duryns Leichenbittermine zum Lachen, besser: lächerlich sind. Und damit zur, nun ja: Handlung.

Als Kommissar Tjark (so nennen Eltern sturmumtoster Küsten all ihre Jungs) Wolf (so nennen Autoren stereotyper Thriller all ihre Cops) wird der pensionierte RTL-Lehrer aus Wilhelmshaven ins fiktive Watt-Kaff Werlesiel beordert, um ein vermisstes Mädchen zu finden, das – daran lassen ständige Schwenks in ihr Kellerverlies kaum Zweifel – gekidnappt wurde. Zusammen mit Dorfpolizistin Femke Folkmer (Pia-Micaela Barucki) fährt der Kripogesandte ans Meer, wo sie in je acht Sekunden beiläufiger Suche erst den blutigen Schuh der verschollenen Vicky Rickmers finden und dann drei verbuddelte Frauenleichen.

Um "Dünentod" RTL-kompatibel Richtung Showdown zu hetzen, müssen die Autoren Kai-Uwe Hasenheit und Jan Cronauer halt Tempo aufnehmen. Während Flashbacks in Wolfs schwere Kindheit regelmäßig andeuten, warum er so griesgrämig ist, hat Regisseur Ismail Sahin schließlich noch Episodenpersonal zu plakatieren: den ulkigen Wachtmeister (Rainer Reiners), den wirren Strandschrat (David Bredin), den fiesen Brauereibesitzer (Lucas Prisor) oder Wolfs smarten Chef Hauke (Florian Panzner), dessen Tochter (Franziska Brandmeier) nicht nur wie alle hier norddeutsche Namen (Jule) trägt, sondern das nächste Opfer wird.

Weder für "Cobra 11"- noch "Tatort"-Fans

Abgesehen von Baruckis resoluter Landschutzfrau Femke, die tapfer gegen das lausige Skript anspielt, bleiben alle aber allenfalls Platzhalter lieblos vernähter Story-Fetzen, die jede der 5400 Sekunden zur dramaturgischen Zumutung machen und Fragen aufwerfen. Allen voran: Wen will RTL damit bloß erreichen? Fürs actionaffine Stammpublikum von "Cobra 11" jedenfalls, mittlerweile als 90-Minüter Dienst-Tagabendfüllend füllt, ist auch der zweite Teil "Tödliche Falle" bei aller Spannung zu ereignisarm.

"Tatort"-Fans dagegen dürften schon zu Beginn dieser sensationell dämlich aufgelösten Who-Dunnit-Schnitzeljagd durchs menschliche Unterholz aller Beteiligten, wenn kreuzbergige Nordsee-Teenager auf dem Niveau einstiger Alkopops-Reklamen Strandparty simulieren, entsetzt abschalten. Als primetimetaugliches Referenzobjekt blieben also höchstens räumlich benachbarte Reihen wie "Nord Nord Mord" oder "Nord bei Nordwest" – womit wir beim zweiten RTL-Angriff aufs deutsche Fernsehleib- und Magenthema schlechthin wären: "Sonderlage".

So nennt die Polizei Krisenstäbe zur Bewältigung anhaltender Kapitalverbrechen von Kindesentführung bis Terrorismus, mit dem es Hamburg im 1. Teil der zweiten Reihe zu tun kriegt. Nach seinem Sprengstoffanschlag auf die Landungsbrücken, droht der Täter mit einer weit größeren Explosion, sollte er nicht 200 Millionen Euro Lösegeld kriegen. Um beides zu verhindern, dirigiert Einsatzleiterin Verena Klausen einen Kommandostand, den sich ein Privatkanal wie dieser offenbar nur als Sichtbetonloft im stylischen Bond-Bösewicht-Stil voll gewaltiger Flachbildschirme vorstellen kann. Doch die Herrin der Flatscreens hebt das unterirdische Dünentod-Niveau schon deshalb über Normalnull, weil sie von Henny Reents verkörpert wird.

Wie in Holger Karsten Schmidts Ostseepolizeiserie "Nord bei Nordwest" sorgt sie für eine Art effektreduzierter Dringlichkeit, die den "Hamburg-Krimi" zum intensiven Kammerspiel adelt. Nicht nur, dass Norbert Eberlein der Ostfriesin Sätze wie "ihr werdet in den nächsten Stunden und Tagen kein Bitte oder Danke von mir hören, ich werde manchmal unfreundlich wirken, das hat nichts mit euch zu tun" ins Drehbuch geschrieben hat, die schon beim Lesen glaubhaft klingen; Henny Reents trägt sie auch noch in einer kehligen Ruhe von verblüffender Präzision vor. Wenn das Ganze doch nur nicht bei RTL liefe…

Da nämlich muss Regisseur Andreas Senn, der mit Serien wie "Beat" oder "Neues aus Büttenwarder" eigentlich seine Unberechenbarkeit bewiesen hat, den Stoff im Dienst der Publikumserwartungen ständig durch eine Hafenkulisse jagen, die eher an Nick Tschillers Hollywood-Hamburg erinnert als das der bedächtigeren "Nachtschicht" – beides spürbare Vorbilder dieses televisionären Schwanzvergleichs. Wann immer Reents‘ Klausen über den Mauern der Männergesellschaft Exekutive voll – leider arg überzeichneter – Alpharüden in Führungspositionen an gläserne Decken stößt und dennoch Haltung bewahrt, ist "Sonderlage" demnach auf soziokulturell bedeutsame Art fesselnd.

Sobald kernige Außendienst-Bullen jedoch unter rivalisierenden Clans ermitteln und die Terrorkarte damit zu Björn Höckes Herzerfreu an "kriminelle Ausländer" weiterreichen, köchelt RTL im eigenen Saft aus Blut, Schweiß, Testosteron und ballert sich so in die Irrelevanz. Damit ist der Angriff auf die öffentlich-rechtliche Kernkompetenz abendfüllender Krimis nicht nur krachend gescheitert, sondern trotz der faszinierenden Henny Reents förmlich explodiert. Denn Obacht: die Fortsetzungen von "Dünentod" und "Sonderlage" – sie werden nochmals schlechter.

RTL zeigt zwei Folgen von "Dünentod - Ein Nordsee-Krimi" am 31. Januar und 7. Februar jeweils um 20:15 Uhr, am 14. und 21. Februar gibt es zwei Folgen von "Sonderlage - Ein Hamburg-Krimi" ebenfalls ab 20:15 Uhr zu sehen. Bei RTL+ gibt es bislang den ersten "Dünentod"-Film, die weiteren folgen eine Woche vor Ausstrahlung.