Ob Künstliche Intelligenz intelligent ist oder doch bloß einigermaßen gelehrig, ob Androiden also eher belesenere als klügere Menschen sind – darüber herrscht unter Fachleuten weitestgehende Einigkeit. Stellvertretend für viele spricht Sandra Wachter, Oxford-Professorin für Datenethik, also lieber von "Künstlicher Dummheit". So könne man sich besser bewusstmachen, "wofür sie geeignet ist und wofür nicht". Mathematisch komplexe Lösungen: ja. Menschlich komplexe Lösungen: nein.
Schade für Friendly Bo.
Allerdings nicht halb so schade wie für seine Nutzerin Mila. Im Sky-Original "Tender Hearts" mietet sie beim titelgebenden Tech-Konzern den "Lovedroid" genannten Roboter, um ihr kaputtes Liebesleben inklusive sexueller Frustration aufzupeppen, lernt am Beispiel seiner Makellosigkeit jedoch die Freuden der Fehlerkultur zu schätzen. Es ist eine heiter bis wolkig umgesetzte Idee von Eva Lia Reinegger, wenngleich keine allzu neue. Seit Mary Shelley vor 205 Jahren das literarische Vorbild aller Cyborgs erfunden hatte, wurde ja allein ihr Frankenstein hundertfach verfilmt.
Auch sonst sind die Bildschirme voll kybernetischer Kunstfiguren mit humanem Antlitz, die der realen Welt Spiegel vorhalten – zuletzt in Maria Schraders Meisterwerk "Ich bin dein Mensch". Wobei Maren Eggerts Liebesandroide dem in Pola Becks Achtteiler nicht nur aufs scharf gescheitelte Haar ähnelt. Auch innerlich verbindet die Ersatzkerle mehr als ein Organismus aus Plastik und Platinen. Exakt auf seine Userin programmiert, soll der freundliche Bo nicht nur ein besserer, sondern perfekter Zeitgenosse für die einsame Frau von übermorgen sein.
In ihrem Smart-Home mit Smart-Mirror, Smart-Wecker, Smart-Kühlschrank, Smart-Brille und Smart-Orthese redet zwar alles immerzu auf sie ein. Allerdings nicht wie ihr Ex, dem die Mittdreißigerin so nachtrauert, dass ihm kein Kerl das Wasser reichen kann. Keiner aus Fleisch und Blut zumindest. Als Mila vom Loveandroid erfährt, versucht sie es daher mit Modell Bo und ist hellauf begeistert. Auf wunderbar nüchterne Art liebevoll verkörpert vom Soapgewächs Madieu Ulbrich ("Unter uns"), ist er seiner "Real", wie die Kundin bei Tender Hearts heißt, schließlich stets zu Diensten.
Bo hört zu, Bo fragt nach. Bo redet, Bo schweigt. Bo ist selbstlos, achtsam, kultiviert, uneitel, aber bildschön und dank einer Auswahl variabler Penisaufsätze zur sexuellen Höchstleistung befähigt, also ungefähr das Gegenteil heterosexueller Knalltüten mittleren Alters, mit denen sich Mila herumplagen muss. Wegen seiner Überlegenheit ist es für sie sogar akzeptabel, dass Bo es "liebt, dreimal die Woche gebadet und eingecremt zu werden", wie es die Gebrauchsanleitung beim Aufladen empfiehlt. Oder nach dem Candlelight-Dinner "den Beutel auszuleeren, wo alles reinfällt", wie der vollgeladene Android die Verdauungshilfe im Tonfall einer freundlichen Bitte um den Salzstreuer umschreibt.
Was für ein Mann, der auch Schwäche zeigen kann! Alles in Butter also? Eben nicht! Denn Reinegger und Beck schaffen es beispielhaft, die postfossile, postindustrielle, postheroische Jagd nach Vollkommenheit mit Stil, Sinn, unique selling points popkulturell zu hinterfragen. Je geschmierter Bos lernender Algorithmus zu laufen scheint, desto mehr sehnt sich Mila nach Menschlichkeit, also Makeln. Schließlich ist ihre Near Future auch so schon ein Inferno (selbst)optimierter Oberflächlichkeiten, das alle Beteiligten freiwillig in der feuerfesten Rüstung trügerischer Einzigartigkeit betreten.
Wenn die Videospiel-Programmiererin chattet, dann mit denglischem Gefasel à la "bei den Bugs sind drei, vier repeats easy drin, see ya, later", weshalb Flohmärkte "Flea Markets" heißen, auf denen sich genderfluide Freigeister wie Milas Kumpel, sorry: buddy Toni (Vladimier Korneev) tummeln, als wäre die Zukunft eine Daueranimation architekturpreisgekrönter Smart Citys. Wenn Bettina Marx (Kostüm), Markus Dicklhuber (Szenerie) und Sylvia Grave (Maske) Pola Becks Zukunft – Klimakrise hin, Energiekrise her – zum hedonistischen Kreuzberg 2039 ausstatten, verkriecht sich der Zweifel am Überfluss ins Gemüt urbaner Konsumgören, um dort Geschwürgröße anzunehmen. Und hier wird "Tender Hearts" geradezu brillant.
Während Milas Leben einer allzeit geöffneten Shoppingmall gleicht, verleiht ihr Friederike Kempter fragile Unsicherheit, mit der sie alle Türen wieder verrammelt. Gefangen darin, beginnt Mila zu hinterfragen, was richtig sein soll. Gefangen darin, erkennt sie, wie ihr radikal diverses Milieu andere – Androiden zum Beispiel – ausgrenzt. Gefangen darin, lässt sich ihre Schwester Anja (Heike Makatsch) zwar ständig die Schamlippen straffen, beneidet Mila beim Elternbesuch im Baumhaus aber um deren Lovedroid und lernt im Hochglanz seiner Schönheit die eigenen Fehler ebenso wie jene von Gatte Torben (Jan-Peter Kampwirth) schätzen, mit dem sie lange nach der Geburt des zweiten Kindes bald wieder (guten) Sex hat.
Dass "Tender Hearts" seine Kundschaft durch Roboteraugen bis ins privateste Detail beobachtet, komplettiert Reineggers Fortschrittsskepsis, die sie uns aber nie mit erhobenem Zeigefinger vermittelt, sondern durch kleinste Details. Wie ein japanisches Wohnambiente, das überall an den effizienzgetrimmten Postfordismus 75 Jahre zuvor erinnert. Okay, die Firmenzentrale ist arg plump auf Retrofuturismus gebürstet; doch insgesamt erzählt Sky mit jedem der acht Teile klüger vom Uncanny Valley. So wird die Akzeptanzlücke zwischen echter und künstlicher Intelligenz bezeichnet – ob sie nun klug ist oder dumm.
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Die acht Folgen von "Tender Hearts" stehen ab dem 6. April bei Sky Q und Wow zum Abruf bereit. Die lineare Ausstrahlung erfolgt donnerstags um 20:15 Uhr in Doppelfolgen bei Sky Atlantic.
Die komplette erste Folge wurde auch kostenfrei auf YouTube veröffentlicht.