Empowerment, das neue Wort für Selbstermächtigung der Machtlosen, wird gern durch liberale Gesellschaften gerufen, ohne richtig loszubrüllen. Um die Mächtigen, offenbar sensible Seelen, nicht aufzuschrecken, macht es sich allenfalls an Feiertagen wie Christopher-Street-Day weithin hör- und sichtbar Luft. Selten zuvor war Empowerment demnach lauter, bunter, schriller als dort, wo es gemeinhin dezenter zugeht: im deutschen Showfernsehen – nicht gerade ein Inbegriff emanzipatorischer Durchschlagskraft.

Schließlich erschöpfte sich sein Glamour bislang in Gottschalks Haar und Michelle Hunziker. Das aber ändert sich radikal, wenn heute "Drag Race Germany" startet. Produziert von MTV, kämpfen darin elf männlich gelesene, weiblich dekorierte Prinzessinnen um die Königskrone des pompösesten Paradiesvogels im deutschsprachigen Raum. Und wer fünf Tage zuvor der Premiere in Berlin beiwohnte, bekam zwar Ohrensausen, aber den perfekten Eindruck davon, was wir zwölf Folgen lang erleben.

Viele Dutzend aufgebrezelter Drag Queens sammelten sich am Zoo Palast, um Teil einer ersehnten Kopie zu sein. Fast 15 Jahre, nachdem das afroamerikanische Travestie-Monument RuPaul sein Castingformat zum Pflichttermin der LGBTQ-Szene des Planeten Pop gemacht hatte, zeigt Paramount+ den – je nach Lizenz – dritten bis elften Ableger mit Bewerbungen aus Deutschland, Österreich, der Schweiz. Und was da zwischen Tierpark und Ku’damm abging, stellte selbst die exzesserprobte Hauptstadt in den Schatten.

Kostümdichte wie beim CSD, Blitzlichtgewitter wie bei der Berlinale, Promiauflauf wie, nun ja, bei ProSieben, aber gut. Ein wenig abseits und doch mittendrin ging es Stars und Sternchen der Kategorie A (wenig) bis D (massig) um den Kraftausdruck gesellschaftspolitischer Partizipation schlechthin. Mal offen ausgesprochen, mal optisch ausgedrückt suchte er den Kontrast zum Biedermeier der Fünfzigerjahre und behielt die Oberhand.

"RuPauls Franchise zeigt, dass Show nicht nur gute Unterhaltung, sondern echtes Empowerment sein kann", haucht mit Conchita Wurst der hellste Showstern unterhaltsamen Empowerments ins DWDL-Mikro und wirkt trotz Glitzergewand wie gewohnt hinreißend, aber diskret. Ross Antonys Schuluniform à la Angus Young im Bällebad dagegen kreischt fast so laut wie der Privatfernsehpanelkönig durchs Stimmengewirr, dass seine "absolute Lieblingssendung endlich auch hierzulande für Empowerment, Visibility, also Angstfreiheit" sorge.

Während Nora Tschirner oder Karoline Herfurth auf dem paramountblauen statt berlinaleroten Teppich bei aller akustischen Zurückhaltung auch noch maskuliner aussehen als alle Drag Queens, dem dezent gewandeten Stand-up-Veteranen Thomas Hermanns also näher sind als, sagen wir: dem Containergewächs Kader Loth, die auf Fotomeutenbefehl ihre Schlauchbootlippen schürzt, durch die kein Wort von Empowerment dringt, muss darum das Moderations-Duo auf die Euphorie-Bremse der Empowerment-Party treten. Ein bisschen zumindest.

Gianni Jovanovic, Barbie Breakout, Dianne Brill © IMAGO / Eventpress Gianni Jovanovic, Barbie Breakout, Dianne Brill

"Es wäre toll, wenn wir kein Empowerment mehr bräuchten", meint Queer-Aktivist und Co-Host Gianni Jovanovic, als schwuler Roma doppelt diskriminierungserprobt. Natürlich sei es daher Entertainment, fügt er in schneeweißer Robe hinzu, "aber eben hochpolitisches". Da kann Barbie Breakout, die das Format mit Jovanovic präsentiert, nur beipflichten: "Sichtbarkeit ist jetzt, wo man uns an den Rand der Gesellschaft zurückdrängen will, wichtiger denn je". Deshalb, beschwört sie, "müssen wir ins Rampenlicht".

Das allerdings könnte bei aller Strahlkraft nicht ausreichen, um den Boden jener Fußstapfen auszuleuchten, in die sie tritt. Fürchtet sie deren Größe? "Auf keinen Fall!", sagt die deutsche Drag-Ikone im Brustton ihrer maskulinen Gene. RuPauls Mischung aus "Glamour und Humor" sei zwar vorbildlich. "Aber wir machen unser eigenes Drag Race, nicht ihres." Ein Spin-Off also, keine Kopie. Es sieht ungefähr so aus: Lokal bis überregional bekannte Geschlechtergrenzgängerinnen von Tessa Testicle bis Loreley Rivers liefern sich – Kosmetikreklame, Kreischalarm, Zickenkrieg, fiese Contests inklusive – zwölf dreiviertelstündige Rennen um die Gunst wechselnder Jurys, die Parallelen zu Heidi Klums Supermodelzucht aufweisen, aber mit ganz eigenem Sound.

Im Schiedsgericht sitzt daher kein Modepüppchen, sondern die prollige HipHop-Bitch Shirin David. Und genretypische Figurenklischees – Badass Nikita Vegaz, Küken Barbie Q, Alterspräsidentin Kelly Heelton – sind zwar schon nach Minuten gestanzt, angesichts ähnlicher Benachteiligung aber mit deutlich mehr Solidarität. So wird vom Defilee der Eitelkeiten am Zoo Palast über die Vorführung im ekstatischen Saal bis zum Abspann mit Produkt-PR deutlich, wie viel "Drag Race Germany" mit "GNTM" zu tun hat. Und wie wenig.

Wenn Susanne Schildknecht, bei Paramount für Entertainment Brands verantwortlich, "Drag so viel mehr als ein Realityphänomen" nennt, weil es "couragierte Einzigartigkeit einer ganzen Community" feiert, kriegt sie auf der Bühne aufrichtigen, nicht pflichtschuldigen Applaus. Ob die Selbstvermarktung aller Kandidatinnen, ihr grelles Konsumgörengetue, der Habitus exaltierter Andersartigkeit das schöne Empowerment nicht in den Dienst ökonomischer Wertschöpfung stelle, will man da von Weltmarke Wurst alias Tom Neuwirth wissen.

"Ich fürchte", antwortet die ESC-Siegerin, "wer die Kommerzialisierung solcher Konzepte beklagt, muss mit dem Kapitalismus generell aufräumen." Das jedoch droht ihm vom "Drag Race" schon deshalb nicht, weil es konsequent alle "Fucks" überpiepst und 100.000 Euro Preisgeld auslobt. So brav, so renitent, so tiefgründig, so oberflächlich, so politisch, so naiv, so Arte, so RTLzwei ist die deutsche Kopie eines amerikanischen Selbstbehauptungsevents. Und Fans – das legt ihr Premierenrummelrausch nahe – werden es lieben. Zurecht? Muss man gesehen haben!