In einer Welt alltäglicher Extreme gibt es drei Auswege, um überhaupt noch etwas zu spüren und gegebenenfalls gar Aufmerksamkeit damit zu erlangen: Man entflieht dem permanenten Ausnahmezustand durch harmoniesüchtige Abkehr, auch Eskapismus genannt. Man betritt dafür den steinigen Pfad katastrophaler Steigerungslogik, auch als Extremismus bekannt. Außerdem wäre da noch die Kombination aus beidem, und nein – sie heißt nicht "Ich bin ein Star, holt mich hier raus!".

Sondern: "7 vs. Wild".

Unter diesem leicht sperrigen, aber verheißungsvollen Titel, hat ein Trio um den Magdeburger Outdoor-Youtuber Fritz Meinecke vor drei Jahren das Reality-Genre revolutioniert. Mitte 2021, als ein Virus namens SARS-CoV-2 den Begriff der Isolation zum Normalzustand gemacht hatte, lud er Gleichgesinnte zum Survival-Wettkampf. Wie im US-Vorbild "Alone" zogen sieben (männliche) Teilnehmer mit (maximal) sieben Hilfsgütern (wie Messer) sieben Tage (plus Finale) in Schwedens Wildnis, um dort zu überleben.

Anders als im Dschungelcamp allerdings waren die Naturburschen allerdings mit sich, ihrer Kopfkamera und bis zu elf Millionen Youtube-Views pro Episode komplett allein unter Bäumen, Elchen, Myriaden von Mücken. Was ein Jahr später – abzüglich der Elche natürlich – in Staffel 2 auf wetterwendischer Karibik-Insel eher schlimmer als besser wurde und nicht nur deshalb etwas Beispielloses schuf: Glaubhaft plausibles Reality-TV.

Wenn Meineckes Einzelkampfbrigade nun dienstags und freitags in Doppelfolgen bei Amazon Freevee in der Einöde Kanadas versucht, mit dem Notwendigsten im Gepäck der Abgeschiedenheit zu trotzen, wird es also authentisch. Versprochen! Das isolierte Septett wurde zwar durch Zweierteams ersetzt, die in Gestalt des Sesselzockers Knossi, seinem Pizzaketten-Buddy Trymacs oder Kirmestechno-DJ Reeze Influencer ohne Outdoor-Affinität enthalten.

Namen wie Survival Mattin und Die Naturensöhne, ganz zu schweigen vom Dauerläufer Joey Kelly, deuten aber an, dass sich ihre Konkurrenz draußen im Grünen wohler fühlt als drinnen an Konsolen. Doch auch denen dürfte Vancouver Island, wo die 16 Folgen Monate zuvor gedreht wurden, einiges abverlangen. Meinecke meint es nämlich mit spürbarer Überzeugung ernst, wenn er sich und andere an die Grenzen der individuellen Belastbarkeit bringt.

Elementen von sengender Mittagshitze bis zum nächtlichen Monsun teilweise nur mit Feuerstahl und Machete bewehrt die moskitozerstochene, sonnenverbrannte, gramgefurchte Stirn zu bieten und Existenzielles wie Bett und Wasser aus Treibgut oder Pfützen sintflutartiger Regenfälle zu generieren – im tropisch aufgepeitschten Panama führte all dies schließlich zu Situationen echter Verzweiflung ohne Notwendigkeit, sie schauspielerisch aufzurüsten.

Ob es nun abermals um Nahrungszufuhr fernab gefüllter Supermarktregale, die Bastelei regelmäßiger Challenges aus (täglich kubikmeterweise) angespültem Wohlstandsmüll oder Versuche geht, sich ohne Hammer und Nagel vor Wind und Wetter zu schützen: der unterhaltsame Ernst aus Existenz und Spielen, dürfte trotz Notfallkoffer, Teamgefährten, Satellitentelefon als Exit-Option selbst Freiluftprofis herausfordern.

Verglichen mit IBES simuliert Fritz Meineckes Dschungelcamp somit zivilisatorische Grenzbereiche, die vergleichsweise wenig Theaterdonner brauchen und schon deshalb aktuell das Unterhaltsamste sind, was werbefinanzierte Realitätsinszenierungen erlauben – röche "7 vs. Wild" nicht so streng nach dem Morast rechter Schwurbelei. Angefangen beim Organisator höchstpersönlich. Nicht nur, dass Meinecke den Edelmut des gespendeten Preisgeldes der Auftaktstaffel an Umweltprojekte unterm Bleifuß seiner Verurteilung für illegale Autorennen zerstampft. Der selbsterklärte Gutmenschenverächter neigt digital nachweisbar zum Sexismus und findet den Vorwurf toxischer Männlichkeit entsprechend kaum despektierlich.

Kein Wunder, dass er mit Bewerbungen der xenophoben Querdenkerin Vanessa Blank oder vom berüchtigten NS-Nostalgiker Willi Hesse ebenso wenig Probleme hatte wie mit dem Waffendealer Jörg Sprave als Co-Administrator (wozu die Produktionsfirma CaliVision auch auf auf mehrfache DWDL-Nachfrage lautstark schweigt). Kein Wunder, weil "7 vs. Wild" habituell eben endzeitsehnsüchtige Prepper anlockt, also ein Menschenbild physischer statt kognitiver Krisenbewältigung transportiert.

Daran ändern auch die freilufterfahrenen Quotenfrauen Hannah Assil und Ann-Kathrin Bendixen nichts. Zumal dem geplanten Teilnehmer Andreas Kiehling im Umgang mit Letzterer Grenzüberschreitungen vorgeworfen wurden – immerhin mit der Konsequenz, dass der Dokumentarfilmer unmittelbar vor Drehstart abreisen musste. Die Freevee-Mutter Amazon Prime will zwar weder Vorfälle noch -würfe kommentieren. Fritz Meinecke aber macht in einem verblüffend offenen Live-Stream klar, weshalb Kieling nicht im kanadischen Busch Apokalypse spielen darf.

Warum dasselbe für Sprave und Hesse gilt, kommt im 45-minütigen Video leider nicht zur Sprache. Es spricht aber auch so für die Reflexionskräfte des qualitativ plausiblen Reality-Formats mit der quantitativen Wucht von bisher gut 200 Millionen Abrufen. Wem Meineckes latent toxischer Testosteronkult dennoch suspekt bleibt, sollte sich umso mehr selbst ein Bild davon machen. Überlebenstraining ist ja nicht per se rechtspopulistisch. Und wer der Krone der Schöpfung dabei zusehen mag, wie letztere ersterer Zacken auf Zacken zieht, wird ohnehin bestens bedient.

"7 vs. Wild - Teams" startet am 31. Oktober bei Amazon Freevee. Ab dem 29.11. sind die Folgen auch bei YouTube zu sehen.