Die Wüste lebt. Der Himmel weint. Das Unterholz wispert. Und Berge, klar, sie rufen. Wenngleich nur zurück, auch Echo genannt, aber egal: Seit Urzeiten schon neigen wir dazu, unsere Umgebung menschlich zu beseelen, auch als Anthropomorphismus bekannt. Der Muttstein jedoch lebt und weint, wispert und ruft nicht nur andauernd vom Dach der österreichischen Gebirgswelt herab. Dieser Berg, er rächt.

Das deutet zumindest eine Dramaserie an, in der es ab heute in der Arte-Mediathek ohnehin nie mit rechten Dingen zugeht. Rätselhafter formuliert: Unterm "Schnee", so heißt sie, ruht irgendwas Unerklärliches, und zwar buchstäblich. Rund 40 Jahre, bevor die Wiener Ärztin Lucia (Birgit Hobmeier) ins Heimatdorf ihres Gatten Matthi (Robert Stadlober) zieht, damit die Tiroler Gebirgsluft das Asthma der gemeinsamem Tochter Alma (Laeni Geiseler) lindert, ist eine Umweltaktivistin verschollen. Lange her.

So lang, dass niemand mehr davon spricht. Bis die Vermisste der Grundschülerin im Schlaf erscheint und ihr mitteilt, sie liege unterm schwindenden Eis des klimawandelgeschädigten Gletschers begraben, wo das Mädchen die Ermordete auf magische Art findet und alte Wunden aufreißt. Hat Mariannes Tod etwa damit zu tun, dass sie Matthis Eltern einst daran hindern wollte, ihr Skigebiet zu erweitern, wie Bruno (Karl Fischer) und Maria (Maria Hofstätter) es mithilfe gewaltiger Sprengungen nun abermals planen?

Der Sache geht Kommissar Prochazka (Stipe Erceg) mal nach, was Michaela Tascheks Writer’s Room vordergründig zum Krimi macht. Hintergründig häufen sich indessen paranormale Begebenheiten, weshalb "Schnee" zügig zum Mystery-Thriller anschwillt, den Catalina Molina und Esther Rauch auch absolut vorschriftsmäßig inszenieren. Giorgio Giampàs dräuender Sound, Leah Strikers sedierte Kamera, Birger Müllers fahles Licht, David Hilgers wattierter Ton: wäre das Regelfachwerk die StVO – die Filmverkehrsteilnehmer hätten nicht einen Punkt in Flensburg.

Dummerweise ist ihr Rechtsgehorsam nicht Vor-, sondern Nachteil dieser viereinhalbstündigen Schleichfahrt durch geografisch wie seelisch vernebelte Alpentäler. Denn offenbar haben sich alle Gewerke vorgenommen, deutsche Vorbilder wie "Hausen" oder zuletzt "Was wir fürchten" so oft in einen Eimer "Dark" zu tunken, bis die Form alle Funktionen frisst. Mit jeder Minute wird der Sechsteiler somit zur erwartbarsten Effekthascherei, seit John Carpenters Mädchenschlachter Mike Meyers an "Halloween" immer und immer und immer wieder aufgestanden ist.

Wenn das Wetter im Sekundentakt wechselt

Doch während es 1978 noch gruselig, ja schockierend war, ist vieles, was an "Schnee" für Unbehagen sorgt, unfreiwillig komisch. Alte Bücher enthalten da stets noch viel ältere Sagensammlungen, aus denen verlässlich handlungsrelevante Fotos fallen, während hinter Gardinen menschenleerer Straßen andauernd irgendwer bedeutungsschwer durch ein Kaff blickt, das zwar keinen Supermarkt, aber eine Pathologie hat, in der nie Licht brennt. Warum auch? Wer hier, was ständig geschieht, unbeleuchtete Keller und Hütten betritt, orientiert sich ohnehin lieber im Dunkeln. Auch gejoggt wird daher nie tagsüber, dafür mutterseelenallein.

Dass Erceg als Ermittler auftaucht, redet, dreinblickt wie 101 Jahre früher der Stummfilm-Nosferatu Max Schreck, bleibt also komplett sinnbefreit, aber systemimmanent. Alles in Abertausend D-Movies erprobt, alles ähnlich überraschend wie Schnee im Skigebiet, den der Klimawandel zwar dramaturgisch zur Mangelware macht. Aber nur, wenn auch vom Klimawandel die Rede ist. Sobald Suchtrupps hingegen hoch droben am rufenden Berg vermisste Kinder suchen, setzen mächtige Blizzards ein, die in derselben Sekunde aber auch schon wieder abbrechen und grüne Hügel hinterlassen.

Das wirft Fragen auf. Etwa jene, ob die Continuity-Beauftragte eigentlich ihre Augen schloss, als sich strahlend blauer und dicht bedeckter Himmel am (gewiss wetterwendigen Drehort Dolomiten) innerhalb einer einzigen Szene bis zu elfmal abwechseln. Spätestens im Blockbusterfinale furioso fiele es daher kaum weiter auf, würde Vincent Price aus der apokalyptischen Szenerie springen, um dieses mysterythrillerregelkonforme Schauermärchen mit seinem Spukschlossgrinsen zu adeln. Umso mehr rätseln Szenekundige womöglich, warum Brigitte Hobmeier hier bloß mitmacht.

Vielleicht hat die vielfach preisgekrönte Dramenschauspielerin ja die falschen Drehbücher gelesen. Vielleicht war sie Primary Pictures und X-Filme noch Gefallen schuldig. Vielleicht will sie ihr seröses Schaffen aber auch nur ab und zu mal mit banalem Bullshit erden – wer weiß… Ihr ausdrucksstarkes Minenspiel jedenfalls, das Werke aller Art allein zu tragen vermag, muss hier permanent ins Leere einer Filmhandlung verzweifeln, die den Namen nicht verdient, so kracht darin ständig der Theaterdonner.

Er ist kaum lauter als die Ankündigung von ARD, Arte und ORF, Mutter Natur nehme für den menschengemachen Klimawandel "Rache und bringt eine schreckliche Wahrheit ans Licht". Nur um ohrenbetäubend anzufügen, das Ganze erfolge "mit viel Frauen-Power" – ein Begriff aus dem Präkambrium der Gleichberechtigungsbewegung, die das überwiegend weibliche Team noch weniger verdient hat als Robert Stadlobers vielfach überkandideltes Spiel. Deshalb: Bitte genau hinhören, wenn dieser Berg ruft. Er meint nämlich: abschalten!

Alle sechs Folgen von "Schnee" stehen ab sofort in der Arte-Mediathek bereit. Die lineare Ausstrahlung folgt am 16. und 23.11. ab 20:15 Uhr bei Arte, Das Erste zeigt sie in Dreierpacks am Mittwoch, 29.11 und am darauffolgenden Freitag, 1.12. ab 22:20 Uhr.