Ein großer Segen der Streamingdienste ist es ja, dass in allen Teilen der Welt tolle Inhalte produziert werden - und die inzwischen auch überall gesehen werden können. Dass aber ausgerechnet eine südkoreanische Serie auch heute noch die erfolgreichste fiktionale Eigenproduktion von Netflix ist, dürfte auch die Verantwortlichen in Los Gatos überrascht haben. Auf mehr als 1,6 Milliarden gesehene Stunden kam "Squid Game" seinerzeit innerhalb von 28 Tagen nach der Veröffentlichung. 

Dass es angesichts des riesigen Erfolgs weitergehen würde, war dann auch irgendwann klar. Doch bevor bei Netflix die neuen Folgen der zweiten Staffel zu sehen sind, kommt mit "Squid Game: The Challenge" nun erstmal die Reality-Gameshow-Variante der Serie, die sich in Sachen Optik in Aufwand in keinster Weise vor dem Original verstecken muss. 

Das Konzept der Spielshow ist schnell erklärt: 456 Kandidatinnen und Kandidaten nehmen an der Show teil, am Ende winkt ein Gewinn von 4,56 Millionen US-Dollar. 10.000 Euro wandern pro ausgeschiedenem Teilnehmer in den Jackpot. Es ist nicht nur eine der höchsten Gewinnsummen in der Gameshow-Geschichte überhaupt, es dürfte auch der größte Cast einer solchen Sendung sein. Netflix wirbt damit auch recht offensiv in den Presseunterlagen, in den Folgen selbst spart man sich dankenswerterweise jedoch die Superlative. Man muss damit auch gar nicht um sich schmeißen, die Zuschauerinnen und Zuschauer sehen schon ganz alleine, wie groß das Format geworden ist. 

Squid Game The Challenge © Netflix/Pete Dadds In dieser Londoner Halle mit fünfstöckigen Betten wurde 16 Tage lang gedreht.

Das geht schon in der großen Halle los, in der die teilnehmenden Personen übernachten. Fünfstöckige Betten und Gemeinschafts-Toiletten lassen Gefängnis-Flair aufkommen, hier lehnt sich "Squid Game: The Challenge" stark an die Original-Serie an. So wie auch bei den Spielen. Gleich zu Beginn müssen die Kandidatinnen und Kandidaten zu "Red Light, Green Light" antreten - was immerhin dafür sorgt, dass das Teilnehmerfeld empfindlich gemindert wird. Auch andere Spiele (Dalgona Cookies, Murmeln) dürften die Zuschauerinnen und Zuschauer aus der Serie kennen, andere dagegen sind neu. 

Starkes Storytelling, ohne aufgesetzt zu wirken

Es ist eine sehenswerte Kombination: Mal wissen die Teilnehmer sehr genau, was auf sie zukommt. Ein anderes Mal denken sie, sie wüssten was kommt - und die Macherinnen und Macher überraschen sie mit etwas völlig anderem, was die Strategie einiger Personen gehörig auf den Kopf stellt. Und ein anderes Mal (Folge 5!) wundert man sich, wie so viele Spielerinnen und Spieler die Grundregeln von "Squid Game" einfach missachten und sich so ins Verderben stürzen. Grundsätzlich besteht aber kein Zweifel: Netflix hat nicht nur das Set, sondern auch die Idee hinter "Squid Game" ziemlich originalgetreu nachgebaut. Ganz nach dem Motto: Never change a running system. Das zeigt sich auch in der klassischen Musik, die es immer wieder spielt - und bei der man das Gefühl bekommen kann, es ginge wirklich um Leben und Tod. 

Tatsächlich sterben bei der Reality-Gameshow die Kandidatinnen und Kandidaten aber nicht, sie scheiden lediglich aus. Das ist anfangs noch ziemlich kreativ und visuell gelöst. "Squid Game: The Challenge" braucht auch keine lange Einführung, schon nach weniger als fünf Minuten geht’s mit dem ersten Spiel los. Außerdem sind die Macherinnen und Macher über die gesamten ersten fünf Folgen ziemlich gut darin, sich auf einige wenige Personen zu konzentrieren und ihre Geschichten zu erzählen. Da gibt es das Mutter-Sohn-Gespann, die Muskel-Prollos, den Alleingänger, die besten Freunde oder den Italiener, der sich das Essen der anderen unter den Nagel reißt. Die schiere Anzahl an Personen hat außerdem den Vorteil, dass man immer wieder neue Menschen in den Mittelpunkt einer Erzählung rücken kann. Grundsätzlich gibt es eine gute Mischung aus Interview-Szenen, Spielen und weiteren Vorkommnissen. Und das vielleicht wichtigste: Die Show fühlt sich dabei immer echt und nicht gescripted an. 

Im Cliffhanger-Game spielt Netflix vorne mit

Um zwischen den Spielen keine Langeweile aufkommen zu lassen, gibt es auch noch sogenannte Tests, die den Kandidatinnen und Kandidaten gestellt werden. Die sind immer unterschiedlich und niemand kann so genau wissen, was dabei tatsächlich passiert. Insofern ist damit Risiko und Chance gleichermaßen verbunden. Gut ist "Squid Game: The Challenge" auch im Cliffhanger-Game: Immer dann, wenn es besonders spannend ist und eine Entscheidung ansteht, ist die Folge vorbei. Das dürfte für einen zusätzlichen Sog sorgen. Und immer wieder zeigt sich, wie wahlweise eklig oder wunderschön Gruppendynamiken sein können. 

Insgesamt ist "Squid Game: The Challenge" wunderbar und hochwertig produziert. Alles andere wäre bei den beteiligten Produktionsfirmen (Studio Lambert, The Garden Production) aber auch eine Überraschung gewesen. Gerade Studio Lambert hat sich in den vergangenen Jahren durch intelligent produzierte Reality-Spielshows einen Namen gemacht und verantwortete unter anderem Produktionen wie "The Circle" (Channel 4, Netflix) oder auch "The Traitors" (Peacock). "Squid Game: The Challenge" ist zwar in Summe nicht ganz so revolutionär wie einst die Serie, dennoch hebt sie das Reality-Gameshow-Genre auf eine neue Ebene. Insofern ist die Sendung auch für alle ein Muss, die die Serie nicht gesehen haben. 

Die ersten fünf Ausgaben von "Squid Game: The Challenge" stehen ab sofort bei Netflix zum Abruf bereit. In zwei weiteren Tranchen am 29. November und 6. Dezember folgen die restlichen Episoden.