Man muss sich Heino Ferch als genügsamen Mann vorstellen. Ein Heldendarsteller vom alten Schlag, der nicht viel mehr braucht zum Schauspielerleben als rohes Ei am Morgen und rotes Fleisch am Abend, dazu drei Hemden, zwei Anzüge plus einen Gesichtsausdruck aus Stoizismus, Starrsinn und Schwermut, mit dem der frühere Turner seit seinem Durchbruch als „Comedian Harmonist“ 1997 ein verblüffend breites Rollenrepertoire bestückt.

Auch im ARD-Sechsteiler „Die Saat“ variiert er das Ferch-Fels genannte Mienenspiel grüblerischer Teilnahmslosigkeit über viereinhalb Stunden hinweg so minimalistisch, dass sein deutscher Kommissar Max Grosz auf norwegischem Auslandseinsatz zur mimischen Melange aus Schmerz, Eis, Granit verschmilzt. Aber es ist ja auch von dystopischer Herzenskälte, was ihm unweit vom Polarkreis widerfährt.

Eben noch hat Good, Better, Best Cop Grosz bei einer polizeilichen Nahkampfübung drei ungeübte SEK-Kollegen abgeknallt, da muss Onkel Max zum Privateinsatz nach Spitzbergen. Denn dort, so lehrt uns Sekunden früher der Vorspann, wurde sein Neffe Victor (Jonathan Berlin) nach einer Verfolgungsjagd durch dunkle Tunnel angeschossen, weil der Umweltaktivist einer Riesensauerei tief unterm Permafrostboden auf die Spur gekommen war. Dort nämlich lagert die Weltgemeinschaft das Saatgut unserer Erde für den Notfall.

Die Saat © ARD Degeto/Odeon Fiction/NRK Ein woker Umweltaktivist namens Vegener: Jonathan Berlin in "Die Saat".

Abermillionen Proben aller erdenklichen Gewächse, die sich offenbar im Visier skrupelloser Konzerne wie dem Agrarchemiemulti BSG befinden. Und weil es der woke Victor – vom erklärungsfreudigen Headautor Christian Jeltsch folgerichtig Vegener genannt – herausgefunden hat, sehen wir ihn die Hälfte der Sendezeit höchstens mal blutend im Keller liegen, wo ihn VVs Ersatzvater Max mithilfe der Lokalpolizistin Thea (Ingrid Bolsø Berdal) sucht, die – hoppela! – jung, blond, einsam, weil unglücklich kinderlos genug ist, um Groszs Vaterkomplex zu triggern.

In dieser Ausgangslage lässt Regisseur Alexander Dierbach sein Familiendrama so mit einem Umweltthriller kollidieren, dass gelegentlich sogar Ferchs Mundwinkel kaum merklich zucken. Schließlich taucht er auch hier unablässig ins Blut-, Schweiß- und Stahlbad einer zivilisations-, wenn nicht kapitalismuskritischen Schlacht konträrer Charaktere. Sie reichen vom aasigen Chemie-Lobbyist Hoffmann (Rainer Bock) über die lautere EU-Kommissarin Kronberg (Friederike Becht) oder den Investigativ-Reporter Ramis (Johann Myers) bis hin zu Wissenschaftlern im Dauerdilemma zwischen Ego und Ethos.

Man kennt diese Konstellation aus einer Vielzahl melodramatischer Serien und Filme vor gesellschaftspolitischer Fototapete meist mit, hier aber ohne Nina Kunzendorf oder Benjamin Sadler im Cast. Sie heißen „Tödliche Geheimnisse“, „Bad Banks“ oder „Schnee“, „Die Toten von Marnow“, „Meister des Todes“ oder „Blackout“ und arbeiten wahrhaftige Skandalpotenziale in Medien, Finanzsektor oder Massentourismus, Pharmaindustrie, Waffenhandel und Energiewirtschaft fiktional auf.

Wenn die deutsche Business-Domina Berkow (herrlich hart: Ulrike Willenbacher) den geplanten Kauf eines US-Konkurrenten mit „es geht bei einer Übernahme nicht um Likes, es ist Krieg“ umschreibt, ist demnach früh zu ahnen, dass BSG für Bayer steht. Vor gut fünf Jahren hatte die AG den umstrittenen Glyphosat-Hersteller Monsanto nach zähem Streit mit Kartellbehörden für 60 Milliarden Euro geschluckt – ungefähr das also, was BSG am Ende mithilfe fragwürdiger EU-Genehmigungen für einen Agrarkonzern aus Texas zahlt.

Organisch diverse Story

Moralisch ist es also mindestens mal lobenswert, dass sich ARD-Degeto gemeinsam mit Odeon Fiction und dem norwegischen NRT einer globalisierten Profitmaximierungsthematik zulasten der Menschheit annimmt. Auch filmisch merkt man der Saat an, dass Alexander Dierbach seit seiner LKA-Serie „Countdown“ vor zwölf Jahren viel Thriller-Erfahrung sammeln konnte. Die organisch (statt kalkuliert) diverse Story hat deshalb nicht nur originelle Twists und Wendungen. Vom schneegedämpften Ton (Miroslav Pibil) über Ian Blumers neugierige Kamerafahrten durch karge Landschaften und kühle Konzernzentralen bis hin zum unaufgeregten Schnitt von Alexander Menkö ist die Serie somit auf sehr solide Art fesselnd.

Da sie sich freiwillig aufs deutsche Politainment-Glatteis begibt, landet ihre Spannung jedoch ständig in unfreiwilliger Komik. Zu Fabian Römers lückenlosem Oha-hier-droht-jetzt-Ungemach-Soundtrack reden selbst polare Landeier geschliffenes Hochdeutsch, vor dem alle männlichen Synchronsprecher zwei Minuten Testosteron gurgeln. Wie im Primetime-Paternalismus üblich, wird jeder Handlungsfortschritt durch Nachrichten aus dem Off verlesen, während EU-Bürokraten ihre Bestechlichkeit durch Koks auf dem Klo plus Schlaganfall im Puff belegen. Und dann kann sich die „Tödliche Macht“ im Untertitel noch nicht mal ein Happyend verkneifen, das es in der Realität allgewaltiger Konzerne seltener gibt als schmallippige Cowboy-Cops à la Ferch.

In „Die Saat“ mahlt er allen Schmerz unserer Spezies mit kantigem Kiefer zum Staub seiner antiquierten Männlichkeit. Wenn halb so alte Norwegerinnen dies derart sexy finden, dass sie dem maulfaulen Grobmelancholiker nach kürzester Zeit ihr Herz ausschütten, sollte man also mal kurz in den Writer’s Room blicken, der – Padautz – aus vier Männern bestand, denen Sätze wie dieser entfahren: „Du siehst nicht gut aus, Max“, meint eine Kollegin zu Beginn. „Gesund kann jeder“, antwortet Grosz und kratzt Ferchs einzigen Gesichtsausdruck ins Kameraglas. Der Kapitänssohn aus Bremerhaven nutzt ihn halt auch in Komödien wie dieser.

"Die Saat" ist ab sofort in der ARD Mediathek zu finden und linear ab 9. Dezember um 20:15 Uhr im Ersten.