Sieben Jahre ist es her, dass sich Bettina Alber, die Serienchefin des Schweizer Fernsehens, und der Drehbuchautor Adrian Illien eine gewaltige Aufgabe stellten: Gemeinsam wollten sie nach Ideen für Serien-Stoffe mit internationalem Potenzial suchen. In der kleinen Alpenrepublik entstehen zwar immer wieder fiktionale Programme, doch über die Landesgrenzen hinaus sind in der Vergangenheit nur wenige davon bekannt geworden.

Wie gut, dass Alber und Illien auf Thomas Manns "Der Zauberberg" stießen. Fast genau 100 Jahre nach dessen Veröffentlichung waren die beiden vom Setting des Bildungsromans derart begeistert, dass sie sich entschlossen, auch ihre Geschichte zu Beginn des 20. Jahrhunderts in einem Sanatorium, umgeben vom faszinierenden Davoser Gebirgspanorama, anzusiedeln. Und tatsächlich birgt schon alleine diese Kulisse gute Chancen, großes Fernsehen mit beeindruckenden Bildern entstehen zu lassen. Erst recht, wenn das Produktionsbudget mit umgerechnet rund 19 Millionen Euro so üppig ausfällt wie bei keiner Schweizer Serien zuvor.

Schon die ersten Minuten von "Davos 1917", so der Titel des Stoffes, zeigen, dass dieses Geld gut investiert wurde. Jan-Eric Mack, Anca Miruna Lăzărescu und Christian Theede, die das Regie-Trio bilden, haben das Sanatorium ebenso wie die naturgewaltigen Alpen eindrucksvoll und beängstigend zugleich in Szene gesetzt – und erstaunlicherweise weitgehend darauf verzichtet, das Kriegsgeschehen mehr als nötig in den Mittelpunkt zu schieben. Gleichwohl ist der Krieg omipräsent, alleine schon wegen der verletzten Soldaten, die im Keller des Sanatoriums behandelt werden.

Auch die Schweizer Krankenschwester Johanna Gabathuler, mit viel Leidenschaft verkörpert von Dominique Davenport ("Sisi"), hat leidvolle Erfahrungen mit dem Krieg gemacht. Hochschwanger kehrt sie von ihrem Rotkreuz-Einsatz an der Westfront nach Davos zurück, wo ihre Familie das Curhaus "Cronwald" betreibt. Noch im Kreissaal lässt ihr Vater die uneheliche Tochter wegbringen – weil das Kind aus seiner Sicht nicht in die geplante Ehe mit dem einflussreichen Politiker Thanner (Sven Schelker) passt. Die aber ist dringend nötig, um das finanziell schwer angeschlagene Curhaus zu retten.

Davos 1917 © SRF/ARD Degeto/Amalia Film/Contrast Film/Letterbox Filmproduktion/Pascal Mora Das Sanatorium "Cronwald" in Feststimmung: Der Neujahrsball ist in vollem Gang.

Einzig in ihrer Arbeit im Sanatorium geht Johanna daraufhin auf – auch, weil sie Rückendeckung vom charismatischen Dr. Mangold (David Kross) erhält. Als sie wenig später jedoch erfährt, dass sie nach der Hochzeit ihre Arbeit als Krankenschwester aufgeben soll, fürchtet Johanna, niemals ein selbstbestimmtes Leben führen zu können. Da kommt Gräfin Ilse von Hausner (Jeanette Hain) gerade recht. Sie schreibt ihr, den Aufenthaltsort von Johannas Kind zu kennen, verschweigt jedoch, in Wahrheit als Agentin für den deutschen Geheimdienst zu arbeiten.

Auf diese Weise entspinnt sich eine aufregende Handlung, die angesiedelt ist im Spannungsfeld zwischen undurchsichtigem Agententhriller und emotionaler Liebesgeschichte, ohne jedoch der Versuchung zu erliegen, ins Kitschige abzudriften.

Neben dem Sanatorium erweist sich vor allem das Curhaus als perfekter Schauplatz für die Serie. Es ist jener Ort, an dem viele Strippen gezogen werden, auch wenn die Schweiz inmitten des Weltkriegs doch eigentlich eine neutrale Rolle einnimmt. Doch neutral ist in Davos allenfalls der Schnee. Viel zu spüren ist davon jedenfalls nicht, wenn Generäte, Spione, Deserteure, eine russische Prinzessin oder eben die deutsche Gräfin ihre mal mehr, mal weniger versteckten Spiele treiben. Die großartige Ausstattung der Serie, die in ihrer weitgehenden Perfektion an eine Mischung aus "Charité" und "Babylon Berlin" erinnert, tut ihr Übriges, um das Publikum in diese geheimnisvolle Welt hineinzuziehen.

Dass manche Besetzung etwas weniger gelungen ist, mag darauf zurückzuführen sein, dass sich das Schweizer Fernsehen die ARD Degeto mit an Bord holte, die sehr wahrscheinlich die vermeintlichen Bedürfnisse des deutschen TV-Publikums erfüllen wollte. Wohl auch deshalb wurden die von tiefstem Schwyzerdütsch geprägten Szenen für die ARD-Ausstrahlung vorsichtshalber noch synchronisiert. Doch das trübt Adrian Illiens Mammut-Projekt allenfalls ein kleines bisschen. "Davos 1917" bietet die erhofft großen Fernseh-Momente, und man kann sich nur wünschen, dass die Geschichte in einer zweiten Staffel fortgesetzt wird. Hoffentlich nicht erst in sieben Jahren.

"Davos 1917", Mittwoch und Donnerstag um 20:15 Uhr im Ersten